Ungleichbehandlung als zentraler Ansatzpunkt für Klage
Wien (rk) - Das Land Wien wird in den nächsten Tagen beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) Klage gegen
die aktuelle RaucherInnen-Regelung der schwarz-blauen Bundesregierung einbringen. Das bestätigten die für
die NichtraucherInnen-Schutzkontrollen zuständige Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima und Wiens neuer Gesundheitsstadtrat,
Peter Hacker, am 4. Juni in einem gemeinsamen Pressegespräch mit dem Verfassungsexperten Bernd-Christian
Funk.
Anlass für die Klage ist die Aufhebung des 2015 unter der SPÖ/ÖVP-Regierung beschlossenen, generellen
Rauchverbots in der Gastronomie durch die jetzige schwarz-blaue Bundesregierung. Das generelle Rauchverbot hätte
mit 1. Mai 2018 in Kraft treten sollen. „Es war absolut unverantwortlich, das längst beschlossene Rauchverbot
zu kippen. Wir wissen aus zahlreichen Kontrollen, dass die Trennung zwischen RaucherInnen- und NichtraucherInnen-Bereich
nicht funktioniert, die Belastung in sogenannten NichtraucherInnen-Bereichen enorm ist und daher werden wir nun
- nach gründlicher Prüfung durch renommierte VerfassungsjuristInnen den Klagsweg im Sinne der Gesundheit
der Menschen in diesem Land bestreiten“, so Sima. Wiens neuer Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ergänzt: „13.000
Todesfälle pro Jahr durchs Rauchen und vor allem die Belastung der Passivraucher sprechen eine eindeutige
Sprache. Schwarz-Blau opfert die Gesundheit hunderttausender ÖsterreicherInnen, Österreich bleibt Schlusslicht
beim Rauchverbot – das ist beschämend“, so Hacker. Einer der zentralen Ansatzpunkte der Klage ist die offensichtliche
Ungleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen in der Gastronomie, die weiterhin dem Rauch ausgesetzt sind – vor allem
seit ein generelles Rauchverbot in allen anderen Arbeitsstätten mit 1. Mai 2018 in Kraft getreten ist. Gleiches
gilt auch für die Gäste.
Die beiden StadträtInnen erläuterten die weitere Vorgehensweise: So soll am 12. Juni der Beschluss über
die Klagseinbringung in der Sitzung der Landesregierung erfolgen. Anschließend wird die Klage an den Verfassungsgerichtshof
übermittelt.
Jährlich 13.000 Tote durchs Rauchen
Die gesundheitlichen Folgen des Rauchens stehen außer Frage und sind ebenso bekannt wie dramatisch. Jährlich
gibt es österreichweit 13.000 Todesfälle durch das Rauchen, 1.000 Menschen sterben jedes Jahr an den
Folgen des Passivrauchens: „Die Zahlen sprechen für sich, ein effektiver NichtraucherInnenschutz auch in der
Gastronomie ist unumgänglich. Diesen schafft man aber nur mit einem gänzlichen Rauchverbot und nicht
mit larifari Lösungen wie der derzeitigen Regelung der Bundesregierung“, so Hacker. „Ich selbst bin Raucher
und gehe, egal ob vor oder nach dem Essen, selbstverständlich zum Rauchen vor die Tür, anstatt die Menschen
in meiner Umgebung zu räuchern“, so Hacker weiter.
Dabei hätte das Rauchverbot schnell positive Auswirkungen mit sich gebracht. Vergleiche mit andern Ländern
zeigen einen raschen Rückgang von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Längerfristig auch einen Rückgang
bei Lungen- und Atemwegserkrankungen. Akute Krankenhausaufnahmen würden weniger: Berechnungen einer Gruppe
um Prof. Phillip Stiegler von der Universität Graz zufolge könnten 50 Herzinfarkte, 80 Schlaganfälle
und 150 Lungenentzündungen pro Woche durchs Rauchverbot vermieden werden.
1. Ansatzpunkt der Klage: Ungleichbehandlung
Die offensichtliche Ungleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen in der Gastronomie ist auch der erste und ein
zentraler Ansatzpunkt, an dem die Klage ansetzt. Denn die Wahlfreiheit – rauchen oder nicht rauchen – ende dort,
wo andere dadurch betroffen oder gefährdet werden, erklärt der hinzugezogene Verfassungsjurist Bernd-Christian
Funk: "Im Kern geht es um den Schutz des Personals“. Denn es ist nicht ersichtlich, warum es ArbeitnehmerInnen
in der Gastronomie zuzumuten ist, gesundheitsgefährdendem Passivrauch ausgesetzt zu sein, während dies
an allen anderen Arbeitsstätten nicht der Fall sein darf: „Die von der schwarz-blauen Bundesregierung für
die Gastronomie definierten Ausnahmen vom Rauchverbot sind unseres Erachtens gleichheits- und damit verfassungswidrig,
weil für die ArbeitnehmerInnen kein ausreichender Schutz vor Gesundheitsgefährdungen besteht“, erklärt
Sima. „Diese Ansicht teilen auch renommierte VerfassungsjuristInnen“.
„Darüber hinaus ist es sachlich nicht nachvollziehbar, inwiefern sich ausgerechnet der bewiesenermaßen
krebserregende Passivrauch, von anderen gesundheitsgefährdenden und krebserregenden Arbeitsstoffen unterscheiden
soll“, kritisiert Hacker. Diese Differenzierung kann sachlich nicht gerechtfertigt werden. Die Ungleichbehandlung
führt zu einer massiven Beeinträchtigung der Gesundheit der Bevölkerung – und im Gegensatz zum Gast
haben ArbeitnehmerInnen hier auch keine Wahlfreiheit, denn sie verbringen klarerweise den ganzen Arbeitstag in
den Gastronomieräumen. Das Fatale dabei – wer acht Stunden lang im RaucherInnen-Bereich tätig sein muss,
kommt durch Passivrauchen auf eine ähnliche Belastung als hätte man 20 Zigaretten geraucht, worauf Primar
Lamprecht von der Linzer Universitätsklinik in einem Zeitungsinterview hinweist.
2. Ansatzpunkt: Qualmen im Lokal – Rauchverbot in Kinos und Tanzschulen
Zusätzlich ergibt sich aus der aktuellen Gesetzeslage auch eine Ungleichbehandlung gegenüber anderer
Gewerbe – der zweite Ansatzpunkt für die Klage. So gilt die Ausnahmeregelung der Gastronomie nicht für
vergleichbare Gewerbe wie Tanzschulen oder Kinos mit Ausschank – „Dort herrscht absolutes Rauchverbot und das ist
auch gut so, dieser Umstand zeigt aber eine weitere Schwachstelle im Gesetz auf“, so Sima.
3. Ansatzpunkt: Verschlechterung des NichtraucherInnenschutzes ist verfassungswidrig
Der dritte Ansatzpunkt für die Klage der Stadt Wien ist die Tatsache, dass die Beibehaltung der Gastronomieregelung
den NichtraucherInnenschutz schwächt und die schwarz-blaue Bundesregierung diese Verschlechterung weder in
der Novelle noch in den Begleitmaterialien schlüssig begründet hat: „Eine sachlich nicht begründete
Verschlechterung ist verfassungswidrig“, so Sima.
4. Ansatzpunkt: Kinder müssen besonders vor schädlichem Rauch geschützt werden
Bei all der Ungleichbehandlung die im neuen Gesetz zu finden ist, ist sie ausgerechnet da, wo sie unbedingt
geboten wäre, hingegen nicht zu finden – denn Kinder und Erwachsene werden gleichstellt – der vierte Ansatzpunkt
für die Klage. Denn sowohl Kinder als auch Erwachsene haben per Gesetz (TNRSG) vollen und unbegrenzten Zugang
zum RaucherInnen-Bereich in Lokalen: „Das ist aus gesundheitlicher Sicht insofern besonders problematisch, da Kinder
viel empfindlicher und deshalb auch dementsprechend schützenswerter sind als Erwachsene. Hier nicht zu differenzieren
ist grob fahrlässig gegenüber ihrer Gesundheit“, so Hacker. „Die Gastronomieregelung ist in Hinblick
auf den medizinischen Wissensstand und die allgemeine Entwicklungen in Europa zum NichtraucherInnenschutz ein Relikt
aus vergangener Zeit das Österreich zum Aschenbecher Europas macht“, so Hacker weiter.
Kontrollen & Feinstaubmessungen: 62 % Verstöße und dicke Luft
In den letzten Monaten hat die Stadt Wien verstärkt Kontrollen bezüglich der Einhaltung des Tabak-
und NichtraucherInnenschutzgesetzes durchgeführt: „Mit erschreckendem Ergebnis – bei Schwerpunktkontrollen
etwa im März gab es bei rund Zweidrittel (62%) aller überprüften Lokale Verstöße gegen
den NichtraucherInnen-Schutz“, so Sima. Das Gesetz wird also in den meisten Fällen einfach nicht eingehalten,
Strafen werden in Kauf genommen. Die Leidtragenden sind die NichtraucherInnen unter den Gästen und das Personal.
Laut Gesetz darf kein Tabakrauch in den Nicht-RaucherInnen-Bereich gelangen. Wie aktuelle Untersuchungen zeigen,
verhindern Zwischentüren genau dies aber nicht. Im Gegenteil – Feinstaubmessungen der MedUni Wien und der
‚Initiative gesunder Wettbewerb in der Gastronomie‘ in Nicht-Raucherbereichen von Lokalen, förderten Erschreckendes
zu Tage: Die Feinstaubbelastung im Nicht-RaucherInnen-Bereich waren viermal höher, als im Freien vor den Lokalen.
Dabei waren die Nicht-RaucherInnen-Bereiche mit einer Zwischentüre vom Raucherbereich getrennt: „Eine räumliche
Trennung zwischen RaucherInnen- und NichtraucherInnen-Bereich ist offensichtlich nicht zielführend, stehen
doch meist Türen offen oder sind so undicht, dass der Zigaretten-Rauch ungehindert in die NichtraucherInnen-Räume
strömt“, so Sima. „Das verdeutlicht die Absurdität der aktuellen Situation um den NichtraucherInnenschutz
– auch wenn LokalbetreiberInnen sich ans Gesetz halten und Maßnahmen wie räumliche Trennungen setzen,
sind diese erwiesenermaßen wirkungslos. Einzig sinnvolle Lösung ist daher ein komplettes Rauchverbot“,
sind sich Sima und Hacker einig.
Dramatische Feinstaubbelastung in Innenräumen
Für Sima ist es in diesem Zusammenhang außerdem mehr als absurd, dass in Wien die schwarz-blaue
Opposition immer wieder Feinstaubwerte auf der Straße kritisiert, im Innenraum aber munter weiter belasten
wollen. Die Luftgüte im Freien sei in Wien übrigens hervorragend, Wien hat im letzten Jahr zum sechsten
Mal in Folge alle Feinstaubwerte eingehalten, nicht einmal zu Silvester oder Neujahr gab es Feinstaubüberschreitungen
im Außenraum. Ganz anders in den Innenräumen, in denen geraucht wird, hier sind die Feinstaub-Werte
dramatisch: Während in reinen NichtraucherInnen-Lokalen im Mittel 10 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen wurden,
waren es in den RaucherInnen-Räumen von sogenannten ,gemischten‘ Lokalen 321 µg/m³ mit Belastungsspitzen
bis zu 3082 µg/m³. (!) Doch nicht nur das: Sogar in den NichtraucherInnen-Bereichen dieser gemischten
Lokale wurden hier Werte von durchschnittlich 68 µg/m³ gemessen. Zum Vergleich: Draußen, im Freien,
lagen die Messwerte bei rund 15 µg/m³ - gesetzlich erlaubt sind 50 µg/m³. Somit sind die
Werte im NichtraucherInnenbereich von gemischten Lokalen über viermal so hoch wie im Freien.
Umfragen: Deutliche Mehrheit fürs Rauchverbot – Volksbegehren im Oktober
Aktuelle Umfragen belegen, dass die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher für ein
generelles Rauchverbot in der Gastronomie ist. 70 Prozent sind laut GfK-Umfrage für eine komplett rauchfreie
Gastronomie. Dass der Anteil bei jenen Menschen, die noch nie geraucht haben, mit 78 Prozent noch etwas höher
liegt, verwundert nicht. Aber auch bei den (regelmäßigen) RaucherInnen sagen immerhin 47 Prozent, dass
sie ein komplettes Rauchverbot in der Gastronomie befürworten würden. Diese Umfrageergebnisse spiegeln
sich auch in der großen Unterstützung der „Don’t Smoke“-Initiative aus, die innerhalb kürzester
Zeit 591.146 Unterstützungserklärungen erhalten hat. Diese zählen bereits als gültige Unterschrift
für das eigentliche Nicht-Raucher-Volksbegehren das vom 1. bis 8. Oktober 2018 an allen Bezirksämtern
des Landes unterzeichnet werden kann.
Nächste Schritte
12. Juni: Beschluss der Klage in der Sitzung der Landesregierung – Übermittlung der Klage an den Verfassungsgerichtshof
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