Der Bundespräsident hält im Haus der Europäischen Union eine Grundsatzrede zu
Europa. Das Motto der Veranstaltung wenige Tage vor der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich
lautet „Europa: Was sonst?“
Wien (apa/prk) - "Wir brauchen dringend digitale Grundrechte." Bundespräsident Alexander
Van der Bellen sieht die Freiheit der persönlichen Meinungsbildung durch Internetriesen wie Facebook und Google
gefährdet, wie er am 18. Juni in einer Grundsatzrede zu Europa im Haus der Europäischen Union in Wien
erklärte.
"Europa: Was sonst?" lautete das Motto der Veranstaltung wenige Tage vor der turnusmäßigen
Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich. Der Bundespräsident stellte den Begriff der Freiheit
als einen, "der Europa geprägt hat wie kein anderer", in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.
Diese Freiheit bedeute auch "die Freiheit zu wissen, auf welcher Grundlage unsere Meinung und letztlich unser
Bewusstsein gebildet wird".
Diese Freiheit sieht der Bundespräsident bedroht, etwa durch "die sogenannten Algorithmen, die etwa bei
Facebook bestimmen, welche Nachrichten wir wann zu sehen bekommen". Vieles deute darauf hin, "dass diese
Unternehmen durch ihre intransparenten Algorithmen alles fördern, was Kontroverse, was Aufregung, was Polarisierung
erzeugt. Das Ausgleichende, Differenzierte, Sachliche wird ausgeblendet", weil die Konzerne dadurch mehr Aufmerksamkeit
erreichen und letztlich mehr Geld verdienen wollten.
Die von ihm geforderte "Wiedererlangung der Freiheit, uns unsere Meinung auf Basis von Fakten und nicht Fake-News
zu bilden", so Alexander Van der Bellen, werde aber nicht von Einzelstaaten erreicht werden, sondern nur "durch
eine Europäische Union und der Kraft und dem Willen der Vielen".
Freiheit wird „scheibchenweise“ reduziert
Die Freiheit des Einzelnen sieht Van der Bellen aber auch durch die "Salamitaktik" - "und das ist
keine Anspielung auf Ungarn" - gefährdet, durch die "scheibchenweise Kleinigkeiten abgezwackt werden
und es fällt nicht weiter auf", wie der Bundespräsident sagte, ohne konkret auf entsprechende Aktivitäten
rechtskonservativer Regierungen einzugehen. "Bis am Ende nichts mehr da ist von dieser Freiheit und es zu
spät ist."
In Bezug auf die in Europa im Vormarsch befindlichen nationalistischen Bewegungen, die die EU für obsolet
erklärten und nationale Souveränität über den europäischen Gedanken stellten, meinte der
Bundespräsident. "Diesen Standpunkt kann man vertreten, wenn man dazusagt: Der europäische Zwergstaat,
wenn er allein ist, ist einfach allein und sonst gar nichts - und als Zwergstaat Spielball mächtigerer Staaten."
Prinzipiell forderte Alexander Van der Bellen die Nationalisten Europas "und andere Vertreter der Zwergstaaterei"
auf: "Hören sie auf damit, darauf zu beharren, dass nur Sie im alleinigen Besitz der Wahrheit sind (...)
Akzeptieren Sie die Welt, wie sie ist, in allen ihren Brüchen und Ungereimtheiten, in all ihrer anstrengenden
Unordentlichkeit und seien Sie offen für Ihr Gegenüber."
In diesem Sinn brach der Bundespräsident auch eine Lanze für die "österreichische Lösung",
die, anders als radikale Standpunkte, "zur Kenntnis nimmt, dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß,
in Null und Eins geteilt ist, sondern dass Grauwerte und Schattierungen existiere, ja existieren müssen".
Europa könne in diesem Sinn ruhig "ein bisschen österreichischer werden", meinte Alexander
Van der Bellen.
Ohne die Flüchtlingsproblematik explizit anzusprechen, bezeichnete sich der Bundespräsident als "glücklichen
Menschen", der das Privileg gehabt habe, "als freier Mensch auf dem schönen Kontinent Europa geboren"
zu sein. Europäer zu sein, meinte Van der Bellen, "ist ein Glück, das wir uns im Nachhinein verdienen
müssen." Unter anderem dadurch, zur Kenntnis zu nehmen, "dass wir nicht allein sind auf dieser Welt.
Und dass wir deshalb niemanden alleine lassen dürfen."
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