Allianz Chefvolkswirt Heise: Europa - weiterer Konjunkturaufschwung in Sicht - Österreich
behält hohe Wachstumsdynamik - Ausblick: Politische Lähmung könnte Konjunktur gefährden
Wien (allianz) - 2017 ist die Weltwirtschaft so stark gewachsen wie seit dem Jahr 2011 nicht mehr. In den
vergangenen Monaten hat allerdings die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung, unter anderem
angesichts der protektionistischen US-Handelspolitik und geopolitischer Risiken, deutlich zugenommen. „Wir gehen
davon aus, dass die Vernunft die Oberhand behalten wird und durch Verhandlungen eine spürbare Eskalation der
Konflikte vermieden werden kann“, erklärte Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE, am 20. Juni vor
Journalisten in Wien. Unter dieser Prämisse dürfte sich die Expansion des globalen Handels mit Waren
und Dienstleistungen, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, weiter fortsetzen. Im Euroraum sieht die Allianz
aktuell im Vergleich zu rein wirtschaftlichen Gefahren die politischen Risiken als schwerwiegend an, so Heise.
Europa: Konjunktur nur vorübergehend ins Stottern geraten
Volkswirtschaftlichen Prognosen zufolge wird sich der Konjunkturaufschwung im Euroraum, der bereits seit 2014
anhält, weiter fortsetzen. Konkret erwartet die Allianz für heuer einen BIP-Anstieg von 2,1 Prozent und
1,9 Prozent im kommenden Jahr. „Die Konjunktur ist im ersten Jahresviertel nur vorübergehend ins Stottern
geraten“, zeigt sich Heise zuversichtlich. Vor allem die Besserung am Arbeitsmarkt spreche für eine Erholung.
So wird die EWU-Arbeitslosenquote 2019 voraussichtlich unter 8 Prozent fallen, wobei das Tempo des Rückgangs
abnimmt. Zusammen mit leicht verstärkten Lohnsteigerungen bei verhaltenen Inflationsraten ergebe sich eine
gute Grundlage für den privaten Konsum. Mit diesem wiederum gehen günstige Absatzperspektiven für
Unternehmen und Investitionsanreize einher. Die Investitionstätigkeit wird zugleich durch weiter vorteilhafte
Finanzierungsbedingungen und die hohe Kapazitätsauslastung im Industriesektor unterstützt.
Impulse durch Geld- und Fiskalpolitik
Expansive Impulse werde es im Euroraum laut Allianz auch durch die Geld- und Fiskalpolitik geben. So vollzieht
sich der Ausstieg der EZB aus ihrer ultra-lockeren Geldpolitik weiterhin in Minischritten. Ende dieses Jahres dürfte
die Europäische Zentralbank zwar ihr Anleihekaufprogramm einstellen, Tilgungszahlungen bei Fälligkeit
werde sie aber weiter reinvestieren. „Eine erste Leitzinserhöhung ist erst ab Mitte 2019 zu erwarten“, so
Heise. Die unlimitierte Liquiditätsbereitstellung für Banken werde bis mindestens Ende 2019 fortgeführt
werden, eine Reduktion der EZB-Bilanzsumme sei nicht vor 2020 zu erwarten.
Nach einem jahrelang weitgehend neutralen Kurs entfaltet nun auch die Finanzpolitik eine leicht expansive Wirkung.
Zu den günstigen Rahmenbedingungen tragen zudem die geringen Euro-Wechselkursbewegungen bei. Die Allianz Experten
gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Tendenz zur Abwertung der Gemeinschaftswährung lediglich
vorübergehend war.
Alles in allem sei nicht mit einer deutlichen EWU-Konjunkturabkühlung zu rechnen, betont Heise. Auf längere
Sicht über 2019 hinaus bestehe laut Allianz aber das Risiko, dass die gute Phase des Konjunkturzyklus zu Ende
gehe. Dann wäre nicht genug Zeit, um die Geldpolitik wieder zu normalisieren. Entweder kämen dann Straffungsschritte
der EZB zusammen mit einer Konjunkturabschwächung oder die Niedrigzinsphase würde sich noch mehr festigen.
Österreich: weiter kräftiges Wirtschaftswachstum
Im Gegensatz zu vielen anderen EWU-Ländern konnte die österreichische Wirtschaft die hohe Wachstumsdynamik
des vergangenen Jahres auch im ersten Quartal 2018 beibehalten. „Die Binnennachfrage erweist sich weiter als sehr
robust. Die Investitionen profitieren von der überdurchschnittlich hohen Kapazitätsauslastung in der
Industrie und der Konsum von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt“, kommentiert Heise die wirtschaftliche Situation
hierzulande. Die Phase der Hochkonjunktur setzt sich damit in Österreich weiter fort. Für das laufende
Jahr rechnet die Allianz mit einem kräftigen realen Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent. Damit einher gehen
ein spürbarer Rückgang bei der Arbeitslosigkeit und ein deutlicher Beschäftigungsanstieg.
Europa-Ausblick: krisenresistent, aber politisch gelähmt
In den letzten Jahren hat die gute wirtschaftliche Entwicklung zusammen mit wesentlichen Strukturreformen dazu
beigetragen, dass im Euroraum die Altlasten der Krise und makroökonomische Ungleichgewichte kontinuierlich
reduziert wurden. Ebenso hat ein Trend zu mehr Konvergenz unter den Mitgliedsländern bei zentralen gesamtwirtschaftlichen
Größen eingesetzt. „Obwohl Schwächen wie der immer noch hohe öffentliche Schuldenstand fortbestehen,
spricht einiges dafür, dass der Euroraum heute krisenresistenter und stabiler dasteht als vor der Krise im
Jahr 2007“, erklärt Heise. Doch mit den Brexit-Verhandlungen, den politischen Risiken in Italien und der unsicheren
Regierungssituation in Spanien sei Europa so beschäftigt, dass weniger Handlungskraft und Ressourcen für
andere wichtige Angelegenheiten verbleiben.
Die Initiative des französischen Staatspräsidenten Macron, die europäische Integration einen großen
Schritt voranzubringen, werde auf beträchtliche Widerstände stoßen, meint Heise. Obwohl die wirtschaftlich
gute Situation Reformen begünstigen würde, seien nur kleine Integrationsfortschritte wahrscheinlich.
In Italien zeige der aktuelle Zuspruch zu populistischen Parteien in der Bevölkerung die Verwundbarkeit der
Währungsunion von nationaler politischer Seite. Bislang sind die Marktakteure davon ausgegangen, dass eine
italienische Regierung letztlich keinen Kurs fahren wird, der gegen den Euro oder das europäische Regelwerk
gerichtet ist. Diese Wahrnehmung könnte sich nun ändern. Die Entwicklung sei besonders bedauernswert,
weil zentrale Umfragen wie das Eurobarometer der EU-Kommission eindeutig zeigen, dass sich die EWU-Bevölkerung
mehrheitlich klar für den Euro ausspricht.
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