Bundesrat durchleuchtet Strukturreform bei Sozialversicherungsträgern
Wien (pk) - Die Zusammenlegung der aktuell 21 Sozialversicherungen Österreichs auf vier bis fünf
besiegelte der Ministerrat schon im Mai. Wie die gesetzliche Grundlage dieser Reform genau aussehen wird, darüber
diskutiert nicht nur die Öffentlichkeit, auch der Bundessrat setzt sich damit auseinander. Bei einer Aktuellen
Stunde mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein in der Bundesratssitzung vom 28. Juni wurde klar: allen
ist ein hochqualitatives Gesundheitssystem für die Allgemeinheit wichtig, nur bei der Ausgestaltung gehen
die Meinungen auseinander. Während die Regierungsfraktionen ÖVP und FPÖ die Verschlankung der Sozialversicherung
als bedeutenden Schritt zur Leistungssicherung lobten, rügt die oppositionelle SPÖ, Wirtschaftsinteressen
würden künftig in der Gesundheitsverwaltung auf Kosten der Versicherten überhand nehmen. Aus Sicht
der Grünen ist die Reform ein klares Zeichen der Machtpolitik, da bestimmte Sonderversicherungen nicht einbezogen
würden.
Hartinger-Klein widersprach den Vorwürfen energisch: "Wir haben immer das Wohl des PatienteInnen, der
Versicherten im Auge". Durch Verwaltungszusammenlegungen bei den Versicherungen würden Mittel frei, die
der Leistungssteigerung dienten. Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger bleibe dabei erhalten.
Zu Beginn der Sitzung waren die vier neu gewählten Salzburger BundesrätInnen – Andrea Eder-Gitschthaler
(ÖVP), Silvester Gfrerer (ÖVP), Miachel Wanner (SPÖ) sowie Marlies Steiner-Wieser (FPÖ) – angelobt
worden. Zwei von ihnen, Gfrerer und Steiner-Wieser, zogen erstmals in die Länderkammer ein. Damit sind die
personellen Änderungen im Bundesrat im Gefolge der vier Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol, Kärnten
und Salzburg nun abgeschlossen. Die Grünen sind aktuell nur noch mit zwei MandatarInnen in der Länderkammer
vertreten, damit haben sie auch das Recht auf die Einbringung schriftlicher Anfragen verloren.
Den höchsten Frauenanteil unter den drei verbliebenen Fraktionen hat die ÖVP mit 42,86%, insgesamt ist
der Frauenanteil in den letzten Monaten auf 32,8% gesunken. 20 der 61 MandatarInnen sind weiblich.
Fairness bei der Krankenversicherung laut Hartinger-Klein klares Ziel der Reform
Soziale Gerechtigkeit stellte Sozialministerin Hartinger-Klein ins Zentrum der geplanten Strukturreform bei den
Kranken-, Pensions-, und Unfallversicherungskassen. "Veränderungen tun weh", doch die Kritik der
Opposition sei nicht nachvollziehbar und verunsichere nur die BürgerInnen, rügte sie. Die Fusionierung
sei eine "Jahrhundertreform", die im Sinne der österreichischen Bevölkerung mit Bedacht auf
Qualität und Effektivität der Versorgung angegangen werde, hätten doch zahlreiche Studien den Veränderungsbedarf
bewiesen. Das Prinzip der Selbstverwaltung bei den Versicherungsträgern werde gewahrt, unterstrich Hartinger-Klein,
auch die Pflichtversicherung bleibe erhalten. Einsparungen würden nicht auf Kosten der Versicherten gehen,
sondern durch intelligente Zusammenlegungen im Back-Office-Bereich für eine bürgernahe Verwaltung sorgen.
Keinesfalls plane man Entlassungen unter den MitarbeiterInnen der Versicherungsträger.
"Wir brauchen ein gerechtes, faires System", hob Hartinger-Klein hervor, daher seien gleiche Leistungen
für gleiche Beiträge unabdingbar, gerade im niedergelassenen ärztlichen Leistungsfeld. Neue Tarifkataloge
verhandle ihr Haus deswegen mit der Ärztekammer, wobei Fachleute die Definition extramuraler medizinischer
Leistungen übernähmen. Den Kassenärzten wolle man ermöglichen, sich mehr den PatientInnen widmen
zu können, also nicht mehr ihr Einkommen auf die Zahl Behandelter abstellen zu müssen. Überdies
gelte es, die ländliche Versorgung zu sichern.
In Hinblick auf die verbleibende Zahl der Sozialversicherungen – vier oder fünf – gibt die Ministerin der
Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA) Zeit bis Ende August, um Reformkonzepte zu liefern, die dem eigenen Versorgungsauftrag
Rechnung tragen sollten. Über den Sommer werde die Regierung ihre Reformvorhaben in Gesetzesform gießen,
sodass ab nächstem Jahr mit der Umsetzung begonnen werden kann.
ÖVP und FPÖ setzen auf Ausbau der Primärversorgung
Macht und Interessenspolitik hätten die Strukturreform viele Jahre verhindert, richtete Sandra Kern (ÖVP/N)
den Blick zurück, ehe sie das Sozialversicherungswesen der Zukunft erläuterte: eine eigene Kammer werde
es für Selbstständige geben, eine für den öffentlichen Dienst inklusive Eisenbahner, sowie
die Pensionsversicherungsanstalt, die österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) als Verschmelzung aller
neun Gebietskrankenkassen und eventuell die Allgemeine Unfallversicherung (AUVA). Doppelgleisigkeiten würden
dabei beseitigt und der niedergelassene Bereich gestärkt, ist Kern zuversichtlich. Der Zwei-Klassen-Medizin
sage man der Kampf an, weil mehr Fairness in einem finanziell nachhaltig gesicherten Sozialsystem Einzug halte.
Weder Leistungskürzungen, Entlassungen im Versicherungspersonal oder Gebührenerhöhungen plane die
Regierung, vielmehr seien ihr "gleiche Leistungen für gleiche Beiträge" wichtig. So würden
unterschiedliche Zuschüsse der Vergangenheit angehören.
Einen jahrelangen Stillstand habe man im Bereich der Sozialversicherungen bisher gesehen, meinte ebenso Bernhard
Rösch (FPÖ/W), als er die Notwendigkeit einer zügigen Strukturänderung hervorhob. Die Reform
titulierte er daher als "Meilenstein", zumal Einsparungen ohne Leistungsverlust damit einhergehen würden.
Die Versorgung verbessere sich dank der Verschlankung überkommener Strukturen. Gemäß des solidarischen
Ansatzes in Österreich seien die Sozialpartner bei den Verhandlungen mitbedacht, wies Rösch auf die Bedeutung
eines gut funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens hin.
Die Strukturreform habe bereits die frühere Regierung in ähnlicher Weise geplant gehabt, verwies Ferdinand
Tiefnig (ÖVP/O) auf Überlegungen des ehemaligen Sozialministers Alois Stöger (SPÖ) zu einer
Trägerfusion. Veränderungen würden aber jetzt erst angestoßen, verspricht er sich eine Stärkung
der Primärversorgung. Wichtig ist Tiefnig nämlich, dass "der Landarzt wieder ins Land kommt".
Regional würden gleiche Leistungen, hohe Standards der Gesundheitsversorgung und der Ausbau der Kassenärzte
und -ärztinnen gesichert, bekräftigte Georg Schuster (FPÖ/W). Die Reform der Sozialversicherungen
trage zur sozialen Gerechtigkeit bei, sagte er und konnte vor diesem Hintergrund die Ablehnung der SPÖ nicht
nachvollziehen. Zum Schaden für SteuerzahlerInnen und PatientInnen ist aus Schusters Sicht der aktuelle Umfang
an Versicherungen in Österreich samt "aufgeblähter Verwaltung" samt ihm zufolge 2.000 FunktionärInnen
und 21 GeneralsekretärInnen "mit dem Durchschnittsgehalt eines Staatssekretärs", wie er ausführte.
Nichtnachbesetzungen würden den Personalstand dem Bedarf angleichen.
SPÖ sorgt sich um Versicherungsleistungen
Zahlen, Daten und Fakten sprächen gegen die angedachte Reform, widersprach René Pfister (SPÖ/N).
Die angekündigte Kosteneinsparung von 1 Mrd € durch eine schlankere Administration sei nicht vorhersehbar,
beliefen sich die Verwaltungsausgaben der Versicherungen doch höchstens auf die Hälfte dieses Betrags.
Die Versicherten müssten dagegen verschlechterte Leistungen für ihre Beiträge in Kauf nehmen, denn
die Umstrukturierungen fielen zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. Das gehe mit der Senkung der Arbeitgeberbeiträge
sowie der geminderten Zahl von Verwaltungspersonal für den medizinischen Bereich automatisch einher. Unter
der Vorgängerregierung hätten die Sozialversicherungsträger nach eigenen Maßstäben bereits
einen Angleichungskurs eingeschlagen, der nun gestört werde.
Bei den Unfallkrankenhäusern der AUVA erkennt der SPÖ-Bundesrat überhaupt keine "funktionierende
Finanzierung" aufgrund der Einsparungsvorgaben, wodurch Unfallopfer auf der Strecke blieben.
"Kann es sein, dass die Reform der Sozialversicherung gar nicht Ihre Reform ist?", fragte Pfister die
Ministerin, und er vermutete Wirtschaftsinteressen als Triebfeder für die Vorhaben. Pfister verabschiedete
sich mit seiner heutigen Rede vom Bundesrat, er wechselt in den niederösterreichischen Landtag. Den Rechten
der ArbeitnehmerInnen widmete Korinna Schumann (SPÖ/W) ebenfalls ihr Augenmerk und warnte vor eine Destabilisierung
des heimischen Sozialsystems durch die jetzige Regierung. VertreterInnen der Versicherten leiteten die Sozialversicherungen
derzeit, spielte sie auf das bestehende Selbstverwaltungsrecht an. Die Reform ziele aber darauf ab, diese Selbstverwaltung
"zu durchbrechen", die Arbeitgeber würden künftig über die Versicherungsgestaltung entscheiden,
meldete sie starke Bedenken über die nach ihrem Dafürhalten zu geringe Zahl von ArbeitnehmervertreterInnen
in den geplanten Gremien an.
Grüne sehen unausgegorenes Reformkonzept
David Stögmüller (G/O) wählte eine pragmatischen Zugang zur Debatte: alle versuchten, das Beste
für das heimische Gesundheitssystem zu erreichen. Tatsächlich gebe es Probleme mit den unterschiedlichen
Versicherungen, etwa bei Genehmigungen von diversen Leistungen oder den seiner Meinung nach gesundheitspolitisch
kontraproduktiven Selbstbehalten einiger Versicherungen. Um die Problemursachen zu beseitigen, wäre eine Verbesserung
der Zusammenarbeit zwischen den Trägern nötig, befand Stögmüller, sodass in Folge das Optimierungspotential
eindeutig wird. Dies sehe die Regierung jedoch nicht vor. Pensionsanstalten und Versicherungsanstalten für
Gemeinde- und Landesbedienstete (KFA) wolle sie nicht antasten, da Machtstrukturen dem entgegenstünden. "Schaffen
wir ein einheitliches System mit gleichen Rechten und Bedingungen", appellierte der Grüne Mandatar, anstatt
eine "totale Zerschlagung" bestimmter Versicherungen in Angriff zu nehmen.
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