Salzburg (sf)) - Wie ein einzelner Mensch, der getrieben ist von Hochmut, Narzissmus und Eitelkeit, eine ganze
Gesellschaft zerstören kann, das sei der Kern des Stückes Die Perser von Aischylos. Ulrich Rasche inszeniert
dieses Stück in diesem Festspielsommer im Landestheater und gibt damit sein Debüt bei den Salzburger
Festspielen. Diese Tragödie, die als das älteste erhaltene Drama der Welt gilt, stellt nach wie vor sehr
aktuelle Fragen.
Die Gesellschaft der Perser, die am Anfang des Stückes beschrieben wird, sei glücklich gezeichnet, sagt
Ulrich Rasche – eine wohlhabende Monarchie mit fast parlamentarischen Strukturen, in der das Volk mit dem König
und einer Art Ältestenrates kommunizieren konnte. Selbst die Nachbarländer schlossen sich dieser Monarchie
an, ohne dass Feldzüge dafür geführt werden mussten. Als der König gestorben ist, kam sein
Sohn Xerxes an die Macht. Dieser fühlte sich seinem Vater unterlegen und vertrat die Werte seines Vaters nicht.
„Er entscheidet sich bewusst gegen die intakte Staatsform, mit der alle zufrieden waren und missachtet die Werte,
für die sein Vater eingestanden ist, das ist der entscheidende Punkt in diesem Stück“, sagt der Regisseur.
„Wie schnell dann der Untergang einer ganzen Gesellschaft gehen kann, ist frappierend.“ Der Sohn entscheidet sich
mit seinem unendlich großen Heer entgegen der Göttergesetze den Bosporus zu überqueren und bricht
damit den Gotteswillen. Die Konsequenz: Das riesige persische Reichsheer geht zugrunde.
Der Zuschauer wird 50 bis 60 Minuten vom Untergang des Heeres hören können. „Das wird sprachlich sehr
drastisch dargestellt. Wir werden Zeuge, wie Menschen verhungern, ertrinken und sich am Ende nur eine Handvoll
nach Griechenland retten kann“, sagt Ulrich Rasche. Und mit Bezug zur aktuellen politischen Situation: „Oft reagieren
wir angstgetrieben, und gehen ohne nachzudenken in die nächste schwierige Situation, das passiert fast reflexartig.
Wir besinnen uns zu wenig auf die positiven Werte, die wir bereits errungen haben“, sagt er. Pressefreiheit, Bildung,
ein demokratisches System – das seien Werte, die aus der Geschichte der Weltkriege errungen wurden. Dafür
müssten wir uns Zeit nehmen, statt reflexartig und mit Angst zu reagieren, wie etwa bei der Flüchtlingsthematik.
Genau das sei es, was Die Perser uns heute erzählen können, sagt der Regisseur.
Aber nicht nur inhaltlich interessiert sich Ulrich Rasche vor allem für die Klassiker von Kleist oder Schiller,
aber auch für die griechischen Klassiker der Antike – die Sprache und der Rhythmus, der dadurch vorgegeben
ist, spielen eine wesentliche Rolle in seinen Inszenierungen. Er arbeitet immer mit einem Komponisten zusammen,
der den Sprachrhythmus in Musik verwandelt. Live-Musiker spielen während der gesamten Inszenierung. Die Musik
hört nie auf. Es entstehen dabei musikalische Loops, die flexibel einsetzbar sind. Diese Musik finde durch
die Bewegung einen Hall im Körper der Schauspieler und so kommt es zu diesem für Ulrich Rasches Aufführungen
typischen Dreieck zwischen Sprache, Körper und Rhythmus, die eine starke Wirkung beim Publikum hervorruft.
Das Landestheater, mit seiner für Ulrich Rasche relativ kleinen Bühne, werde förmlich zum Ächzen
kommen und an die räumlichen Kapazitätsgrenzen gebracht in diesem Bühnenbild, bestehend aus zwei
riesigen Drehscheiben und den Live-Musikern auf der Bühne, sagt Bettina Hering, Leiterin des Schauspiels bei
den Salzburger Festspielen. „Ich finde vor allem die Nähe zum Chor der Ältesten interessant daran. Ulrich
Rasches Inszenierungen sind geprägt von einem physischen Theater, da die Schauspieler auf diesen sich permanent
drehenden Scheiben agieren. Im Falle der Perser werden es zwei sein: Eine im vorderen Teil der Bühne, die
als Orchestra in den Zuschauerraum ragt, auf der die Frauen präsent sind und eine hydraulische auf der Hinterbühne,
auf der die Männer in Form eines großen Chores spielen. Durch die insgesamt kleinere Bühne des
Landestheaters, aber die teilweise Verlegung in den Zuschauerraum, entstehe eine interessante Unmittelbarkeit zur
Körperlichkeit der Schauspieler.
Er habe sich bewusst für die drei Protagonistinnen Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa und Patrycia Ziolkowska
entschieden, obwohl er eigentlich für ein sehr männliches Theater bekannt ist. Bürkle und Tscheplanowa
spielen gemeinsam den Chor des persischen Ältestenrates; Ziolkowska spielt die Königsmutter Atossa. Die
vordere Scheibe ist der Vorplatz des Regierungssitzes, die griechische Orchestra und somit der Ort der Frauen.
Die Inspiration für diese Einteilung sei von diesen „sehr modernen und selbstbewussten Frauen selbst“ ausgegangen,
wie Ulrich Rasche berichtet. Die Frauen sind in seiner Inszenierung diejenigen, die die Konsequenzen des Handelns
der Männer tragen müssen und die am Ende entscheiden, wie es weiter gehen soll. Die hintere Drehscheibe
hingegen ist der Ort der Männer, der Ort des Todes, der Hybris, des Hochmutes. Er habe sich dafür entschieden,
Xerxes nicht durch einen Schauspieler allein zu besetzen. „Ich habe mich für eine zeitgemäßere
Lösung entschieden, es gibt oft nicht nur den einen, der entscheidet, sondern es steht meistens eine Gruppe
dahinter, die den König stützt, daher ist Xerxes und die Armee des Xerxes mit mehreren Schauspielern
besetzt“, sagt der Regisseur. „Ich wollte die Armee nicht als unmündige Masse von Menschen darstellen, daher
habe ich mich für diese Besetzung entschieden.“
„Diese Maschinen auf der Bühne machen uns Menschen zu Objekten“, sagt Ulrich Rasche. Es sei eine Art Weltkugel,
die sich dreht und der Mensch sei eine Art Marionette, die sich abstrampelt. Er zitiert dabei Büchners Fatalismusbrief,
in dem Büchner den Menschen einer höheren Macht ausgeliefert sieht. „Es ist doch ein höchst berührender
Moment zu sehen, wie wir uns abstrampeln und nicht aufgeben und uns am Ende nichts bleibt als der Glaube und die
Hoffnung auf eine bessere Welt“, sagt Ulrich Rasche. Er sei sich bewusst, dass er damit eine negative Sicht auf
die Welt vertrete, aber beim Blick auf die täglichen Bilder aus dem Syrien-Krieg, könne er seine Maschinen
auf der Bühne nicht stoppen. Die Maschinen seien sein Ausdruck der Verzweiflung.
Bei Aischylos tritt der alte König aus seinem Grab auf, um zu entscheiden, wie es weitergeht mit der persischen
Gesellschaft. Ulrich Rasche aber lässt die Frauen, den Chor des persischen Ältestenrates, sich in die
Rolle des Königs hineinversetzen, um eine Lösung zu finden. Mit Empathie überlegen sie, was der
König entschieden hätte, würde er noch leben. Die Frage, ob Frauen demnach die besseren Herrscher
wären, beantwortet er mit einem „Vielleicht“. Man wisse es nicht, aber es sei notwendig das theatral durchzuspielen.
„Ich möchte diese Debatte eigentlich nicht auf eine Geschlechtlichkeit reduzieren“, sagt der Regisseur. Er
möchte anderen Gruppen Gehör verschaffen und nicht immer nur denselben zuhören.
Was Ulrich Rasche mit den Salzburger Festspielen verbinde, fragt Bettina Hering. „Einerseits verbinde ich Salzburg
natürlich stark mit Max Reinhardt, andererseits finde ich, dass es eine gesellschaftliche Leistung ist, die
hier aufgebracht wird, um Kultur herzustellen. Das Bedürfnis, das zu tun, fehlt uns ja immer mehr. Man merkt
hier einfach, dass man als Arbeitender einen anderen Raum und viel mehr Wertschätzung bekommt“, sagt der Regisseur.
Geprobt wurde bereits fünf Wochen lang in Frankfurt. Im Moment ist Ulrich Rasche für die technische Einrichtung
in Salzburg, bevor es ab 27. Juli in die Endproben geht. Die Premiere von Aischylos‘ Die Perser findet am 18. August
im Landestheater statt.
Aischylos Die Perser
Eine Tragödie (472 v. Chr.)
Wiedergegeben von Durs Grünbein
Neuinszenierung
In deutscher Sprache mit englischen Übertiteln.
Koproduktion mit dem Schauspiel Frankfurt
Ulrich Rasche, Regie und Bühne
Toni Jessen, Juergen Lehmann, Chorleitung
Ari Benjamin Meyers, Komposition
Sara Schwartz, Kostüme
Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa, Chor des persischen Ältestenrates/ Dareios’ Geist
Patrycia Ziolkowska, Atossa, Königsmutter
Marcel Andrée, David Campling, Torsten Flassig, Pascal Groß, Harald Horváth, Toni Jessen, Max
Koch, Julian Melcher, Max Bretschneider, Sam Michelson, Johannes Nussbaum, Justus Pfankuch, Samuel Simon, Yannik
Stöbener, Alexander Vaassen, Andreas Vögler, Boten / Armee des Xerxes / Xerxes
Guillaume François, Arturas Miknaitis, Sänger
Premiere: 18. August
weitere Vorstellungen: 20., 21., 23., 24., 25., 26., 27. August im Salzburger Landestheater
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