Göttingen (idw) - Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entwickeln optische
Stimulation der Hörschnecke und demonstrieren Hörreaktion tauber Wüstenrennmäuse nach Gentherapie
und Implantation eines optischen Cochlea Implantats. Veröffentlichung in Science Translational Medicine.
Hörminderungen sind ein weltweit stark verbreitetes Krankheitsbild, mit dem fast jeder Mensch früher
oder später konfrontiert wird. Die Sinneszellen des Innenohrs – äußere und innere Haarzellen –
dienen der Schallverstärkung beziehungsweise der Umwandlung des Schalls in elektrische Impulse zur Weiterleitung
an unser Gehirn. Dieselben Haarzellen des Innenohres, die zu Beginn des Lebens ausgebildet werden, müssen
im besten Fall auch im hohen Lebensalter noch ihren Dienst verrichten. Der Grund: Die Zellen können, wenn
sie verloren gegangen sind, nicht neu gebildet werden. Diese Haarzellen sind im Laufe ihres Lebens täglich
starken Belastungen ausgesetzt. Vor allem Lärm führt zu Schädigungen, aber auch Medikamente, Infektionen
oder Durchblutungsstörungen können zum Haarzell- und damit Hörverlust beitragen.
Ein Team von Forschern unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften
der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), konnte nun die optogenetische Anregung des Hörnervs im
erwachsenen Tiermodell etablieren. Damit haben sie eine bedeutende Hürde in Richtung einer zukünftigen
Anwendung des optischen Cochlea Implantats (CI) beim Menschen nehmen können. Die Ergebnisse wurden am 11.
Juli 2018 im Wissenschaftsjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
In der vorliegenden Studie konnten die Wissenschaftler über Injektionen von harmlosen Viruspartikeln in das
Innenohr von ausgewachsenen Nagern Lichtschalter in die Hör-Nervenfasern einbauen. Sie konnten nachweisen,
dass die Lichtstimulation des Hörnervs das gesamte auditorische System bis hin zur Hörrinde, dem Ort
der bewussten Wahrnehmung von Geräuschen, anregt. Zudem konnten die Autoren an ertaubten Tieren zeigen, dass
die Lichtstimulation des Hörnervs ein Hören wiederherstellt. Dazu wurde tauben, optogenetisch manipulierten
Tieren zunächst ein einfaches optisches CI implantiert. Im Anschluss wurden funktionelle Messungen und Verhaltensversuche
durchgeführt. Dabei konnten die Tiere ein zuvor durch akustische Reize erlerntes Verhalten auf eine optische
Stimulation des Hörnervs übertragen. Umgedreht konnten hörende Tiere ein durch optische Stimulation
des Hörnervs erlerntes Verhalten direkt auf akustische Reizung übertragen. Dabei waren Lichtpulse geringer
Leistung von wenigen Milliwatt und kürzester Dauer von weit unter einer Millisekunde in den Experimenten ausreichend
für eine Anregung des auditorischen Systems.
Originalveröffentlichung:
Optogenetic stimulation of cochlear neurons activates the auditory pathway and restores auditory-driven behavior
in deaf adult gerbils. Christian Wrobel#, Alexander Dieter#, Antoine Huet, Daniel Keppeler, Carlos J. Duque-Afonso,
Christian Vogl, Gerhard Hoch, Marcus Jeschke, Tobias Moser, Science Translational Medicine; 11. July 2018 (DOI:
)
HINTERGRUND
Bislang existiert kein ursächlicher Therapieansatz für die Innenohrschwerhörigkeit: Zwar gibt
es dabei Fortschritte in der Forschung, aber der Weg bis zu einer klinischen Nutzung ist noch weit. Patienten,
die an hochgradigem Hörverlust oder gar Taubheit leiden, kann aktuell mit einem elektrischen Cochlea Implantat
(CI) geholfen werden. Das elektrische CI ist ein implantierbares Hörsystem, welches Schall in elektrische
Signale umwandelt und den Hörnerv direkt – unter Umgehung der geschädigten oder verlorenen Haarzellen
– stimuliert. Aktuell nutzen über 500.000 Menschen weltweit ein solches Hörsystem, die meisten von Ihnen
können in ruhiger Umgebung Sprache verstehen. Damit gilt das elektrische CI als die erfolgreichste Neuroprothese.
Bei Umgebungsgeräuschen fällt diesen Patienten das Sprachverstehen jedoch weiterhin schwer und ein Musikgenuss
ist ihnen meist nicht möglich. Diese Nachteile begründen sich auf der weiten Ausbreitung elektrischer
Felder in der Cochlea, was die Zahl der unabhängigen Stimulationskanäle auf typischerweise weniger als
zehn begrenzt. Vergleicht man die gesunde Hörschnecke vereinfacht mit einer Wendeltreppe, bei der jede Stufe
einer Tonhöhe entspricht (bis zu 2.000 können unterschieden werden), dann stimuliert das elektrische
CI statt einzelner Stufen ganze Treppenabsätze. Das heißt: CI-Nutzern gelingt eine Unterscheidung von
Tonhöhen nur sehr grob.
OPTOGENETIK VERSRPICHT VERBESSERTE ANREGUNG DES HÖRNERVS
Eine optische Anregung des Hörnervs würde wesentlich mehr separate Stimulationskanäle ermöglichen
und könnte diesen Flaschenhals des gegenwärtigen CI überwinden. Der Grund: Licht kann besser gebündelt
werden als der elektrische Reiz. Hörnervenzellen sind jedoch nicht lichtempfindlich. Daher müssen diese
mit lichtempfindlichen Proteinen (vereinfacht: „Lichtschalter“) ausgestattet werden. Dies wird durch die Optogenetik
möglich, eine neue Technik, die in den letzten Jahren die Neuro- und Lebenswissenschaften geprägt und
teilweise revolutioniert hat.
Die Forscher um Prof. Tobias Moser haben erstmals die funktionelle Manipulation von Hörnervenfasern mit lichtsensitiven
Proteinen am erwachsenen Tiermodell entwickelt und eine hieraus resultierende Möglichkeit der Hörrehabilitation
demonstriert. Diese Erkenntnisse ebnen den Weg zur Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats mit außerordentlichem
Potential in der Hörrehabilitierung und dessen zukünftiger Anwendung im Menschen.
„Es war unsicher, ob die optogenetische Kontrolle des Hörnervs an einem erwachsenen Tier gelingen könne“,
sagt Dr. Marcus Jeschke, einer der korrespondierenden Autoren und Nachwuchsgruppenleiter am Institut für auditorische
Neurowissenschaften der UMG und am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. „Jetzt müssen wir die optische
Stimulation so anpassen, dass sie eine dem natürlichen Hören möglichst vergleichbare Wahrnehmung
bedingt.“ Dr. Christian Wrobel, einer der Erstautoren, ein HNO-Weiterbildungsassistent, der in dem Projekt seine
wissenschaftliche Ausbildung zum Hochschulmediziner (Clinician-Scientist) absolviert, sagt: „Die Gentherapie und
Optogenetik in der Hörschnecke erwachsener Tiere zu etablieren, war nicht trivial. Ich bin begeistert, dass
ich zur Entwicklung des optischen Cochlea Implantats beitragen konnte.” Alexander Dieter, zweiter Erstautor, Doktorand
des Göttingen Neurowissenschaften-Programms und Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, sagt:
„Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Studie ist, dass die Tiere neben einer elektrisch messbaren Aktivität
des Hörsystems auch eine Wahrnehmung des optischen Reizes hatten, die sie zur Lösung einer Verhaltensaufgabe
nutzen konnten.”
„Es bleibt noch sehr viel zu tun, bevor wir überhaupt über eine klinische Studie nachdenken können“,
sagt Projektleiter Prof. Dr. Tobias Moser: „Selbstverständlich sind einfache optische CIs, wie wir sie eingesetzt
haben, nicht ausreichend. Zusammen mit unseren Kollegen aus Chemnitz und Freiburg, und mit dem neuen OptoGenTech
Team am Göttinger Photonik Inkubator arbeiten wir intensiv an der Entwicklung von optischen Vielkanal-CIs.
Die in der aktuellen Studie erzielten molekularmedizinischen Durchbrüche stimmen uns aber zuversichtlich,
dass der Ansatz zur klinischen Anwendung entwickelt werden kann.”
Noch sind die Wissenschaftler weit von ihrem Ziel eines verbesserten Cochlea Implantats für Schwersthörige
entfernt. Die vorklinische Forschung wurde durch das Projekt „OptoHear“ des Europäischen Forschungsrats, durch
das Leibniz Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), den Sonderforschungsbereich 889 „Cellular Mechanisms
of Sensory Processing“ der UMG sowie das Exzellenzcluster „Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie
des Gehirns (CNMPB)“ gefördert.
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