Andere erkennen, aber nicht sich selbst – ForscherInnen
finden heraus, wie Vielfalt in Genen entsteht, die Selbstbefruchtung verhindern - Veröffentlichung in Genetics
Klosterneuburg (ist) - Selbstbefruchtung ist ein Problem, denn sie führt zu Inzucht. Pflanzen haben
daher Erkennungssysteme die sicherstellen, dass sie sich nur mit genetisch anderen Pflanzen paaren und nicht mit
sich selbst. Die Erkennungssysteme, die dieser Selbstunverträglichkeit zugrunde liegen, sind allgegenwärtig:
sie finden sich in mindestens 100 Pflanzenfamilien und 40 Prozent der Arten. Wie sich die erstaunliche Vielfalt
in diesen Systemen entwickelt, war bisher unbekannt. Ein Forscherteam des Institute of Science and Technology Austria
(IST Austria) hat nun die ersten Schritte unternommen, um zu entschlüsseln, wie sich neue Paarungstypen in
Selbsterkennungssystemen entwickeln. Diese führen zur unglaublichen genetischen Vielfalt in der Natur. Die
Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe von Genetics veröffentlicht.
Landet der Pollen zum Beispiel eines Löwenmäulchens oder einer Petunie auf dem Stigma, keimt er und beginnt
zu wachsen. Das Stigma jedoch enthält ein Toxin (eine SRNase), das das Pollenwachstum stoppt. Der Pollen wiederum
hat eine Gruppe von Genen (sogenannte F-Box-Gene), die Gegenmittel gegen alle Toxine produzieren, außer gegen
das Toxin, welches das eigene Stigma enthält. Er kann daher wachsen, wenn er auf dem Stigma einer anderen
Pflanze landet, aber nicht, wenn er auf dem Stigma der eigenen Pflanze landet. Es mag nach einem harschen System
klingen, aber das Toxin-Antidot-System stellt sicher, dass sich Pflanzen nur mit genetisch anderen Pflanzen paaren.
Dies ist wichtig, da Selbstbefruchtung zur Inzucht führen würde, die sich negativ auf die Nachkommen
auswirkt.
In solchen Nicht-Selbsterkennungssystemen arbeiten die männlichen (Pollen) und weiblichen (Stigma) Gene als
Team zusammen, um die Erkennung zu bestimmen. Bestimmte Varianten der männlichen und weiblichen Gene bilden
jeweils einen Paarungstyp. Nicht-Selbsterkennungssysteme haben eine erstaunliche Vielfalt an Paarungstypen. Daher
lautet die große Frage in ihrer Evolution: Wie kann ein neuer Paarungstyp entstehen, wenn dies eine Mutation
auf beiden Seiten erfordert? Gibt es zum Beispiel eine Veränderung in der weiblichen Seite (Stigma), produziert
diese ein neues Gift, für das kein Pollen ein Gegenmittel hat - also kann keine Paarung stattfinden. Muss
also stattdessen zuerst eine Veränderung der männlichen Seite (Pollen) erfolgen, sodass ein neues Gegenmittel
entsteht, welches dann auf eine entsprechende Veränderung des Stigmas (weibliche Seite) wartet? Aber wie funktioniert
diese Koevolution, wenn Evolution ein Zufallsprozess ist? Gibt es eine bestimmte Reihenfolge von Mutationen, die
eher zu einem neuen Paarungstyp führt?
Um zu entschlüsseln, wie solche komplexen Systeme der Nicht-Selbsterkennung entstehen, kooperierte Melinda
Pickup, Postdoc in der Gruppe von Nick Barton am IST Austria und experimentelle Pflanzenbiologin, mit den TheoretikerInnen
und ehemaligen Postdocs in der Barton-Gruppe Katarina Bodova, jetzt Assistant Professorin an der Comenius Universität
in Bratislava, Tadeas Priklopil, jetzt Postdoc an der Universität Lausanne, sowie David Field, jetzt Assistant
Professor an der Universität Wien. Dieses Projekt ist ein Beispiel für eine Situation, in der Interdisziplinarität
der Schlüssel zum Erfolg ist, denn die Beantwortung der biologischen Frage erfordert die Fähigkeiten
von WissenschaftlerInnen aus sehr unterschiedlichen Forschungsbereichen: aus der Evolutionsgenetik, der Spieltheorie
und der angewandten Mathematik. "Dieses Projekt zeigt, wie die Zusammenarbeit von WissenschaftlerInnen mit
sehr unterschiedlichen Hintergründen biologische Erkenntnisse mit mathematischen Analysen verbinden kann,
um ein faszinierendes evolutionäres Rätsel zu lösen", erklärt Nick Barton.
Durch theoretische Analyse und Simulation untersuchten die ForscherInnen, wie neue Paarungstypen in einem Nicht-Selbsterkennungssystem
entstehen. Sie fanden heraus, dass es verschiedene Wege gibt, auf denen sich neue Paarungstypen entwickeln können.
In einigen Fällen geschieht dies durch eine Zwischenstufe der Selbstbefruchtung, in anderen Fällen jedoch
durch Selbstunverträglichkeit. Sie fanden auch heraus, dass sich neue Paarungstypen nur dann entwickelten,
wenn die Kosten der Selbstbefruchtung hoch waren. Die Unvollständigkeit, also das Fehlen von F-Box-Genen,
die Gegenmittel für weibliche Toxine produzieren, ist ebenfalls wichtig für die Entwicklung neuer Paarungstypen:
Komplette Paarungstypen (mit einem vollständigen Satz von F-Box-Genen) blieben am längsten erhalten,
da sie die höchste Anzahl von Paarungspartnern haben. Neue Paarungstypen entwickelten sich leichter, wenn
es wenige Paarungstypen in der Population gab. Auch die demographische Entwicklung einer Population beeinflusst
die Entwicklung von Nicht-Selbsterkennungsystemen: Populationsgröße und Mutationsraten beeinflussen
ihre Evolution.
Obwohl es so scheint, als ob der beste Weg, auf dem neue Paarungstypen entstehen, der ist, bei der eine Pflanze
ein vollständiges Team von F-Box-Genen (und damit Gegenmittel) hat, ist dieses gesamte System komplex und
kann sich durch verschiedene Wege verändern. Interessanterweise fanden die ForscherInnen in ihren Simulationen
zwar, dass neue Paarungstypen entstehen können, die Vielfalt der Gene in ihren theoretischen Simulationen
war aber geringer als die in der Natur beobachtete Vielfalt. Für Melinda Pickup ist diese Beobachtung faszinierend:
"Wir haben das System verstanden, aber es gibt noch viele offene Fragen und das Geheimnis der hohen Vielfalt
in der Natur existiert weiterhin."
Über das IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem
Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften,
Mathematik und Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell
und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum
Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut
die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist
Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California
in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz.
Originalpublikation: Evolutionary
Pathways for the Generation of New Self-Incompatibility Haplotypes in a Non-self Recognition System. Katarína
Bodová, Tadeas Priklopil, David L. Field, Nicholas H. Barton and Melinda Pickup. Genetics, DOI:10.1534/genetics.118.300748
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