Private Fotografie in Österreich 1930-1950
im Volkskundemuseum Wien von 10. Oktober 2018 bis 17. Februar 2019
Wien (volkskundemuseum) - Die Geschichtsschreibung in Österreich zwischen 1930 und 1950 verzeichnet
zahlreiche politische Brüche. Doch in der privaten Fotografie dieser Jahre ist wenig zu sehen vom Austrofaschismus,
von den Februarkämpfen, dem Anschluss, von Krieg und Nachkrieg. Haben die weitreichenden politischen Veränderungen
also überhaupt Auswirkungen auf die Gestaltung privater Fotografien und Fotoalben gehabt?
Seit Ende 2016 untersuchen die Fotohistoriker Herbert Justnik und Friedrich Tietjen diese Fragen. In der Fotosammlung
des Volkskundemuseum Wien haben sie dazu einen Fundus an Familienalben und Einzelbildern angelegt. Dieser umfasst
mehrere hundert Objekte und wird laufend erweitert. Seit Februar 2018 werden Privatpersonen eingeladen, um über
die Rolle und Bedeutung solcher Bilder und Alben in ihren Familien zu sprechen. Am 9. Oktober 2018 eröffnet
im Volkskundemuseum Wien die Ausstellung "Alle antreten! Es wird geknipst!" Private Fotografie in Österreich
1930-1950, die Material und erste Ergebnisse des Forschungsprojektes präsentieren wird.
Die Ausstellung
Die Ausstellung wird hunderte von Bildern zeigen. Bilder von Picknicks, von Firmungen, Sonntagsausflügen,
Porträts, Silberne Hochzeiten, Urlaubsreisen und ähnliche Motive, die die private Fotografie dominieren.
Die Arbeit, die Routinen des Haushalts, Elend, Krankheiten und Tod sind hingegen offenbar nur selten bildwürdig,
und ebenso wenig auch öffentliche politische Ereignisse wie Demonstrationen, Straßenkämpfe oder
Wahlkampagnen. Die private Fotografie stellt sich als ein Medium dar, das nicht den konkreten Alltag abbildet,
sondern seine Ausnahmen. Die Fotos zeigen weniger die konkreten Lebensumstände, sondern entwerfen das "Gute
Leben" für zukünftige Momente der Erinnerung. Bilder dieser Art werden den meisten BesucherInnen
vertraut sein. Die Ähnlichkeit solcher Bilder ist einerseits ein Hinweis darauf, dass die Vorstellungen von
einem "Guten Leben" in den meisten Familien ähnlich waren.
Andererseits sind die mit den Fotos verbundenen Praktiken höchst unterschiedlich. In manchen Alben werden
wie in einem Fotoroman Geschichten erzählt; in anderen sind die Bilder nach heute nicht mehr nachvollziehbaren
Prinzipien geordnet und bleiben unbeschriftet. Manche Alben zeigen starke Gebrauchsspuren und wurden offenbar immer
wieder hervorgeholt und angeschaut; bei anderen sind die Ecken der Seiten noch scharf, als habe sie fast nie jemand
in die Hand genommen.
Es gibt Alben, deren Bilder ganz offensichtlich von nur einer Person aufgenommen wurden; andere Alben werden aus
Fotografien verschiedenster Art montiert und geben so einen Hinweis, dass selbst in Familien, die keine Kamera
besaßen, Alben mit Bildern angelegt werden konnten, die von FreundInnen oder in Fotostudios aufgenommen worden
waren.
Das Material
Solche Alben können etwa so aussehen wie das einer unbekannten Frau aus Wien, die vermutlich in den 1950er
Jahren ein Album arrangierte. Hier wechseln private Aufnahmen von Radtouren und dem Bau eines Hauses mit Studioporträts
und anderen professionellen Bildern. In süßer Erinnerung schwelgend reimt sie zu Stadtaufnahmen aus
Wien: "Es ist meine Heimatstadt, / die mein Herz bezaubert hat. / Du bleibt mein geliebtes Wien, / wenn ich
auch in der Ferne bin." Unter dem Bild eines blühenden Baumes steht: "Schön sind die Blüten,
doch rasch vergänglich." Und auf einer Seite steht neben Bildern von Erntearbeiten auch die Aufnahme
von einem Autounfall: "Oh, das war mehr als Pech! Warum so schnell??? Es kostete sein junges Leben!!!"
Es bleibt unklar, an wen sich das Album wendet: Die ausführlichen, eher poetischen als didaktischen Kommentare
lassen erkennen, wie wichtig der Prozess der Produktion für die Autorin gewesen ist; die eher nachlässige,
wenig repräsentative Gestaltung lässt vermuten, dass sie sich selbst und vielleicht noch einige enge
Angehörige adressierte. Vermutlich kam das Album nach ihrem Tod in eine Räumung und von dort auf den
Flohmarkt.
Die Ausstellung im Volkskundemuseum Wien wird als Teil des Forschungsprojektes begriffen, das einerseits Methoden
für die wissenschaftliche Erschließung solcher Bilder entwickelt. Zum anderen dient sie dazu, solche
wissenschaftlichen Prozesse öffentlich erfahrbar und zugänglich zu machen.
Denn das Display der Ausstellung wird als eine Art Forschungslabor funktionieren, das allen Interessierten erlaubt,
sich in diese Forschungen mit ihren eigenen Erfahrungen und Fragen einzumischen. Die Wände der Ausstellungsräume
werden so gestaltet sein, dass die Bilder als Prints oder Kopien immer wieder aufs Neue beispielsweise nach chronologischen
und ikonografischen Kriterien arrangiert werden können. Begleitend werden Interview-, Gesprächs- und
Vortragsformate Methoden kollektiver und kollaborativer Forschung ausloten und die Rolle von Fotografien und Alben
als Medien der privaten Erinnerung diskutieren. Darüber hinaus wird es in den Ausstellungsräumen Arbeitsplätze
geben, an denen WissenschaftlerInnen und Interessierte mit den Alben und Bildern arbeiten und dabei auf eine Handbibliothek
mit Literatur zurückgreifen können.
Ebenso wird es weitere Termine geben, bei denen Privatalben eingebracht und gemeinsam mit den Kuratoren gesichtet
werden können.
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