Wie oft wird welches Musikstück heruntergeladen? Ein an der TU Wien entwickeltes Statistik-Modell
verhindert Betrug und sorgt dafür, dass Musikschaffende ihre faire Bezahlung erhalten.
Wien (tu) - Die Musikbranche hat ein Betrugsproblem. Wenn Musik elektronisch vertrieben wird, ist es kaum
möglich, die Verkaufszahlen exakt zu überprüfen. Der Streit darüber beschäftigt die Musikindustrie
seit Jahren: Musiklabels und Bands mussten sich bisher darauf verlassen, dass die großen Musikplattformen
die richtigen Zahlen weitergeben und korrekte Honorare überweisen. Eine Technologie der TU Wien soll nun allerdings
Klarheit schaffen: Die Statistikerin Nermina Mumic entwickelte im Rahmen Ihrer Dissertation gemeinsam mit Prof.
Peter Filzmoser und Dr. Radostina Kostadinova mathematische Werkzeuge, mit denen man Betrügereien mit hoher
Zuverlässigkeit aufdecken kann. Damit soll die Musikbranche nun transparenter und fairer werden.
Digitale Plattformen dominieren den Markt
So lange Musik noch ausschließlich auf CDs oder LPs verkauft wurde, war die Sache einfach: Die Anzahl der
verkauften Tonträger ließ sich problemlos abzählen und stückweise verrechnen. Doch wie kann
eine aufstrebende Rockband heute nachvollziehen, wie oft ihre Werke auf großen internationalen Plattformen
wie itunes, Spotify oder youtube angeklickt worden sind?
Nermina Mumic vom Institut für Stochastik und Wirtschaftsmathematik der TU Wien arbeitete im Rahmen eines
FFG Projekts mit der Musikvertriebs-Firma Rebeat Innovation zusammen. Riesengroße Datensätze mit über
100 Millionen Einzelbeobachtungen aus der Musikbranche wurden analysiert. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit
ist nun ein Betrugsbekämpfungs-Tool, das die Musikbranche revolutionieren soll.
Auf das Verhältnis kommt es an
Die Plattenlabels bekamen schon bisher Abrechnungen, wie viel Umsatz an welchen Tagen gemacht worden ist. Ob die
Angaben stimmen, ließ sich bisher kaum kontrollieren. „Natürlich kann man sich den zeitlichen Verlauf
der Verkaufszahlen ansehen, und beobachten, ob es Auffälligkeiten gibt. Aber das nützt wenig“, erklärt
Nermina Mumic. „Wir haben festgestellt, dass die entscheidende Information im relativen Verhältnis zwischen
den Verkaufszahlen der einzelnen Anbieter liegt.“
Wenn sich ein Lied auf einer Online-Plattform doppelt so häufig verkauft wie auf einer anderen, dann wird
sich dieses Verhältnis typischerweise nicht abrupt ändern. Die Verkaufszahlen entwickeln sich näherungsweise
parallel – kometenhaft steigende Klickzahlen auf Youtube sollten normalerweise auch mit rasant steigenden Downloadraten
auf itunes einhergehen. Alles andere ist verdächtig.
„Aber das alleine genügt auch noch nicht“, betont Nermina Mumic. „Die Sache ist noch komplizierter: Es gibt
wöchentliche oder monatliche Schwankungen, die ganz normal sind.“ Man musste also ein kompliziertes statistisches
Modell entwickeln, das übliche Schwankungen von betrügerischen Datenschummeleien unterscheiden kann.
„Wenn man die Daten mit bloßem Auge untersucht, findet man auf den ersten Blick viele merkwürdige Auffälligkeiten,
aber viele von ihnen sind ganz normal“, sagt Mumic. „Um statistisch erklärbare Unregelmäßigkeiten
von echten Fehlern oder Betrügereien zu unterscheiden, benötigt man statistische Werkzeuge, die es bisher
in dieser Form noch nicht gab.“
Hohe Trefferquote
Um die neuen statistischen Werkzeuge zu testen, wurden manche der Originaldaten aus der Musikindustrie probeweise
manipuliert. „Unsere Software hat über 92% der Manipulationen aufgedeckt“, sagt Mumic. „Das ist eine extrem
gute Quote, und wir glauben, sie noch weiter verbessern zu können.“ Die einzige Möglichkeit, die Software
zuverlässig zu überlisten wäre eine Absprache zwischen allen Musik-Anbietern weltweit, sämtliche
Daten auf genau abgestimmte Weise zu fälschen – und das ist extrem unrealistisch.
Rebeat ist im Gespräch mit verschiedenen Musik-Unternehmen, ein großes Interesse an der neuen Software
zeichnet sich bereits ab. Auch Anwaltskanzleien, die darauf spezialisiert sind, die Anliegen von Musikschaffenden
durchzusetzen, interessieren sich für die neuen statistischen Methoden. „Wir hoffen, dass es durch die Verwendung
der neuen Software gar nicht erst zu Betrügereien kommt und dass wir dazu beitragen können, die Musikindustrie
fairer zu machen“, sagt Nermina Mumic.
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