Projekt zur Theorie der "Angulon"-Quasiteilchen wird durch angesehenen Förderpreis
unterstützt – Theoretische Physik mit einer Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten
Brüssel/Klosterneuburg (ist) - In dieser Förderrunde gehen gleich zwei Starting Grants des Europäischen
Forschungsrats (European Research Council, ERC) an Professoren des Institute of Science and Technology Austria
(IST Austria). Einer der Preisträger ist der theoretische Physiker Mikhail Lemeshko, der seit 2014 am IST
Austria arbeitet. In seinem Projekt, das der ERC mit knapp 1,5 Millionen Euro unterstützen wird, wird er eine
allgemeine Theorie des Angulons aufstellen. Dieses Quasiteilchens hat er während seiner Forschungstätigkeit
am IST Austria entdeckt. Das Angulon soll dabei helfen, bisher unlösbare Probleme in verschiedenen Bereichen,
von der Chemie bis zur Technologie der Datenspeicherung, zu bewältigen.
Rotation ist in der Natur allgegenwärtig. Sie spielt bei der Bewegungen der Elektronen in einem Atom ebenso
eine Rolle wie bei der Bildung von Galaxien. In der mikroskopischen Welt, die von den Gesetzen der Quantenmechanik
beherrscht wird, sind die Wechselwirkungen rotierender Teilchen extrem schwierig zu modellieren. Dies war das Problem,
das Mikhail Lemeshko vor drei Jahren dazu brachte, das Quasiteilchen „Angulon“ einzuführen. Ein Quasiteilchen
ist ein Konzept in der Physik, das dazu beitragen kann, die Beschreibung von Vielteilchensystemen wesentlich zu
vereinfachen und somit Berechnungen zu ermöglich, die vorher nicht durchführbar waren.
Um beispielsweise die Rotation eines komplexen Moleküls in einer Flüssigkeit zu beschreiben, müssten
PhysikerInnen im Prinzip die Wechselwirkungen von Billionen miteinander wechselwirkender Teilchen modellieren,
was zeitaufwendig, wenn nicht sogar unmöglich wäre. Alternativ können sie versuchen, das Problem
in Bausteine ??einzuteilen, die miteinander nur schwach interagieren. Das Angulon ist ein solcher Baustein. Es
besteht aus einem rotierenden Molekül, und der umliegenden Flüssigkeit, die den Drehimpuls trägt.
Es erlaubte Lemeshko bereits, experimentelle Daten aus 20 Jahren zu erklären, was einen starken Beweis dafür
lieferte, dass Angulons tatsächlich im Experiment entstehen.
Ein Weg um Speicher schneller zu machen
In seinem vom ERC geförderten Projekt möchte Lemeshko eine umfassende Theorie der Angulons entwickeln
und sie auf eine Vielzahl ungelöster Probleme in Physik und Chemie anwenden. Ein Beispiel ist die Herausforderung,
den Speicher von Smartphones und Computern zu beschleunigen. Speichermedien bestehen aus magnetischen Momenten,
den Spins, die entweder nach oben oder nach unten zeigen. Schreibt man in den Speicher, wird die Ausrichtung der
Spins durch Anlegen eines Magnetfelds verändert, dieser Prozess ist jedoch langsam. Forschung zu schnelleren
Technologien wird bereits seit Jahren betrieben, hat aber noch nicht zu Produkten geführt, die in elektronischen
Geräten verwendet werden können, da zu viele Phänomene noch nicht verstanden sind. In einigen dieser
Rätsel spielen Rotation beziehungsweise Drehimpuls eine Rolle, und somit könnte das Angulon in diesem
Fällen helfen. Die Anwendung des Angulons zur Erklärung dieser Phänomene wird die Forscher einen
weiteren Schritt in Richtung des Verständnisses magnetischer Prozesse und möglicherweise der Entwicklung
schnellerer Speichertechnologien voranbringen.
Eine andere Anwendung kommt aus der Chemie. Die Art und Weise, wie Moleküle miteinander reagieren, wird durch
ihre relative Orientierung in der Lösung bestimmt, die sich mit ihrer Rotation ändert. Auch in diesem
Fall könnte das Angulon Berechnungen und Vorhersagen ermöglichen, die zuvor unmöglich schienen.
Das Ziel ist, irgendwann in der Zukunft chemische Reaktionen kontrollieren zu können.
"Es gibt viele Probleme, die unlösbar erscheinen, wenn man sie auf direkte Art und Weise angeht, aber
die Einführung von Quasiteilchen macht sie handhabbar", sagt Mikhail Lemeshko.
Mikhail Lemeshko kam vor vier Jahren an das IST Austria, nachdem er drei Jahre lang als unabhängiger Postdoc
an der Harvard University gearbeitet hatte. Im vergangenen Jahr wurde er mit dem Ludwig Boltzmann-Preis der Österreichischen
Physikalischen Gesellschaft ausgezeichnet. Seine Forschungsgruppe beschäftigt sich mit der Physik von Quantenverunreinigungen,
die einen Bahndrehimpuls besitzen. Derzeit umfasst die Gruppe zwei Postdocs und drei Doktoranden und wird mit den
neuen ERC-Mitteln voraussichtlich erheblich wachsen.
Über das IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem
Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften,
Mathematik und Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell
und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum
Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut
die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist
Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California
in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz.
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