Orientalistik, Mikrobiologie, Ökogenomik und Politikwissenschaft erhalten EU-Förderung
Brüssel/Wien (universität) - Die Assyriologin Nicla De Zorzi, die Mikrobiologin Jillian Petersen,
die Biochemikerin Filipa Sousa und die Politikwissenschafterin Alice Vadrot erhalten je einen mit rund 1,5 Millionen
Euro dotierten ERC Starting Grant. Die EU-Förderungen werden in Grundlagenforschung investiert, um so unterschiedliche
Themen wie mesopotamische Literatur, die Lebensprozesse von Mikroorganismen oder die internationale Umweltpolitik
zu erforschen. Insgesamt gingen damit bisher 50 ERC Grants an die Universität Wien.
"ERC-Grants sind ein wichtiger Indikator für die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Universität
und ermöglichen Spitzenforschung. Ich freue mich, dass wir nun insgesamt 50 ERC Grants an der Universität
Wien haben. Dass sich in der aktuellen Ausschreibung gleich vier erfolgreiche Wissenschafterinnen mit internationalem
Hintergrund durchsetzen konnten, ist besonders bemerkenswert", so Rektor Heinz W. Engl.
Mesopotamische Literatur, Magie und Mantik
Die Assyriologin Nicla De Zorzi beschäftigt sich mit der "gelehrten" Literatur des Alten Mesopotamiens,
vor allem aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. Das mit dem ERC Starting Grant geförderte Projekt wirft neues Licht
auf essentielle Aspekte dieser Literatur und dem ihr zugrundeliegenden Weltbild. Insbesondere werden die ForscherInnen
der innovativen Fragestellung nachgehen, wie die kulturspezifische analogistische Weltsicht, derzufolge ähnliche
Dinge (und Wörter) in einem unendlichen Netz miteinander verbunden sind und aufeinander wirken, im strukturellen
Aufbau literarischer, magischer und mantischer Texten zum Ausdruck kommt. Dies wird ein besseres Verständnis
der Funktionen dieser Literatur ermöglichen. Das ERC-Projekt ist in seinem Kern philologisch, bezieht aber
auch Linguistik, Geschichte, Anthropologie und Digital Humanities ein. Ein Schwerpunkt des Projekts liegt auf einem
systematischen Vergleich mit Nachbardisziplinen, der ein besseres Bild der ideen- und kulturgeschichtlichen Rolle
des Alten Mesopotamiens zeichnen soll.
Über Nicla De Zorzi
Die gebürtige Italienerin studierte Assyriologie und Klassische Philologie an der Universität Ca'
Foscari in Venedig, wo sie 2011 promovierte. 2009 kam sie als Praedoc für Altorientalistik an die Universität
Wien. 2012-2014 forschte sie an der LMU München im Rahmen eines Marie-Curie-Fellowships. Seit 2014 arbeitet
sie wieder am Institut für Orientalistik der Universität Wien. 2017 erhielt sie einen FWF Stand Alone
Grant für das Projekt "Bestiarium Mesopotamicum: Tieromina im Alten Mesopotamien".
Wie Tier und Mikroben gemeinsam (über)leben
Jillian Petersen untersucht, wie verschiedene Organismen zu beiderseitigem Nutzen zusammenleben. Praktisch
jedes Tier – auch der Mensch – lebt in sogenannter Symbiose mit Bakterien, die unsere Gesundheit, den Stoffwechsel
und die Evolution maßgeblich positiv beeinflussen. Das ERC Starting Grant Projekt hat zum Ziel, bisher unerforschten,
aber fundamentalen Prozessen von Symbiosen auf den Grund zu gehen. Petersen hat dazu in ihrem Labor ein einzigartiges
Modell-System etabliert, in dem marine Mondmuscheln bestimmte Bakterien in ihren Kiemen beherbergen, die die Muscheln
wiederum mit Nährstoffen versorgen. Diese Symbiose existiert seit hunderten Millionen Jahren und ist eine
der ältesten in der Natur bekannten. Dies ermöglichte es den Mondmuscheln sich in allen Meeren weltweit,
von Mangroven bis zur Tiefsee, zu verbreiten und sich dank der Bakterien an unterschiedlichste Umweltbedingungen
anzupassen. Ein besseres, grundlegendes Verständnis der Funktion und Evolution von Symbiosen ist essentiell,
um "gute" Bakterien in zukünftige Technologien und Therapien für medizinische Zwecke einzusetzen.
Über Jillian Petersen
Jillian Petersen wurde in Brisbane, Australien, geboren. Nach dem Mikrobiologie-Grundstudium an der University
of Queensland hat sie 2009 am Max-Planck-Institut in Bremen, Deutschland, promoviert. Nach einem Postdoktorat am
MPI Bremen startete sie 2015 ihre eigene, WWTF-geförderte Arbeitsgruppe an der Universität Wien. Sie
ist Assistenz-Professorin im Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung. In ihrer Forschung
untersucht sie Tier-Mikroben-Interaktionen in der Tiefsee und ökonomisch wichtigen Ökosystemen in Küsten
weltweit. Ihr Ziel ist es besser zu verstehen, wie sich Tier und Bakterien in der Evolution gemeinsam entwickelt
haben und in einer komplexen Umwelt zueinander finden.
Bioenergetik von Mikroorganismen
Filipa Sousa forscht an der Universität Wien zum Thema Bioenergetik und Ökologie von Mikroorganismen.
Ziel des durch den ERC Starting Grant geförderten Projekts "Evolution of physiology: the link between
Earth and Life" ist es herauszufinden, wie Mikroorganismen wie zum Beispiel Archaea Energie für Stoffwechselleistungen
verfügbar machen können, und wie diese Prozesse im Laufe der erdgeschichtlichen Entwicklung entstanden
sind. Dieses Projekt wird maßgeblich dazu beitragen, das Verständnis für den Ablauf und die Entwicklung
von Lebensprozessen zu schaffen und diese begreifbar zu machen. Die Erforschung der Entwicklung von Lebensprozessen
ist sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft von Bedeutung.
Über Filipa Sousa
Filipa Sousa wurde in Lissabon, Portugal, geboren. Sousa studierte Verfahrenstechnik (Chemical Engineering)
und promovierte anschließend in Biochemie. Nach ihrer Hochschulausbildung forschte sie ab 2011 als Postdoktorandin
am MRC-Laboratory of Molecular Biology in Cambridge und wechselte 2012 an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Seit 2016 ist Sousa in der Abteilung für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien WWTF-Forschungsgruppenleiterin.
Macht und Wissenschaft in der internationalen Umweltpolitik
Alice Vadrot wird im Rahmen ihres ERC Projekts "The Politics of Marine Biodiversity Data: Global and National
Policies and Practices of Monitoring the Oceans" (MARIPOLDATA) Verhandlungen über ein Abkommen zum Schutz
der Hohen See nutzen, um das Zusammenspiel von Macht und Wissenschaft in der internationalen Umweltpolitik zu erforschen.
Trotz vorhandenen wissenschaftlichen Wissens über die dramatischen Folgen von Meeresverschmutzung, Klimawandel
und Überfischung für die marine Biodiversität, einigte sich die internationale Staatengemeinschaft
erst im April dieses Jahres auf die Etablierung eines neuen Abkommens, in dem man sich bis 2020 auf die Errichtung
von Meeresschutzgebieten und in Fragen geistiger Eigentumsrechte an genetischen Ressourcen und des Zugangs zu wissenschaftlichen
Daten und Forschungstechnologien einigen möchte. Vadrot entwickelt in ihrem Projekt einen neuen multiskalaren
und interdisziplinären Ansatz, der ihr erlaubt die (geo-)politische Rolle globaler und nationaler Forschungs-
und Dateninfrastrukturen zu erforschen und das Ineinanderwirken von Wissenschaft und Politik im Zeitalter der Digitalisierung
neu zu denken.
Über Alice Vadrot
Die Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot ist als Tochter einer Österreicherin und eines Franzosen in
Deutschland geboren und hat in Wien und Paris studiert. Sie promovierte an der Universität Wien mit einer
Arbeit über die Etablierung des Weltbiodiversitätsrats, einer zwischenstaatlichen UN-Organisation zur
wissenschaftlichen Politikberatung im Bereich des Umwelt- und Artenschutzes. Vadrot war von 2015 bis 2018 Erwin
Schrödinger Stipendiatin des FWF und hat während ihres zweijährigen Forschungsaufenthalts am Centre
for Science and Policy an der University of Cambridge inhaltliche und methodologische Ansätze ihres künftigen
ERC-Projekts erforscht.
Insgesamt bereits 50 ERC Grants für die Universität Wien
Seit 2007 wurden bisher 26 ForscherInnen mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet. Dank 14 Advanced Grants,
3 ERC Proofs of Concept und 7 ERC Consolidator Grants liegt die Universität Wien bei nunmehr 50 ERC-Förderungen.
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