ForscherInnen am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften – entwickelten ein neuartiges neues Organoid für die Krebsforschung
Wien (imba) - Gehirntumoren gehören zu den aggressivsten und tödlichsten Krebserkrankungen. Vor
allem bei jungen Menschen zählen sie zu den häufigsten Tumorneuerkrankungen. Besonders gefürchtet
ist das Glioblastom, das sich durch ein sehr rasches Tumorwachstum auszeichnet und besonders schwer zu behandeln
ist. Mittlerweile weiß man, dass Gehirntumoren durch eine Vielzahl verschiedener Mutationen in Kombination
mit äußeren Faktoren ausgelöst werden. In den letzten Jahren haben riesige Krebsgenom-Sequenzierungsprojekte
Tausende von Mutationen katalogisiert, die in Patiententumoren gefunden wurden. Schließlich sind es jene
Mutationen, die darüber entscheiden, ob sich gesunde Zellen über kurz oder lang zu Krebszellen entwickeln,
die schließlich wuchern, gesundes Gewebe verdrängen und sich systemisch ausbreiten. Bis dato fehlte
den WissenschaftlerInnen ein geeignetes Model, um die Wirkung dieser Mutationen im menschlichen Gehirn zu erforschen.
Die am IMBA erstmals entwickelten Gehirn-Organoide könnten nun auch für die Krebsforschung eine treibende
Rolle spielen. Die Forschungsgruppe rund um Jürgen Knoblich hat kürzlich ein neues Modellsystem für
Hirntumoren entwickelt. Das Novum: Die neue Technologie erlaubt es den ForscherInnen, den Prozess der Krebsentstehung
im Gehirn nun in der Petrischale nachzuspielen. Die ForscherInnen können dadurch praktisch dabei zusehen,
wie dem Organoid ein Tumor wächst.
Neues Modelsystem für die Krebsforschung
In einer Veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature Methods berichtet die Forschungsgruppe
über die neuen „neoplastischen Gehirn-Organoide“, die sie zur Untersuchung von Gehirntumoren entwickelt haben.
"Diese kleinen Organoide reproduzieren einzigartige Aspekte des menschlichen Gehirns detailgetreu, wie z.
B. seine verschiedenen Zelltypen und Entwicklungsstadien. Sie erlauben uns daher, die Art und Weise, wie Tumoren
entstehen, nachzuvollziehen und bieten ein System, um neue Therapien zu erproben,“ so Jürgen Knoblich, Interimistischer
Wissenschaftlicher Direktor am IMBA und Letztautor der Studie.
Mutationen sind genetischen Defekte, die durch natürliche Fehler beim Kopieren von DNA oder durch die Aktivität
von Krebsgenen entstehen oder andere Ursachen haben. Sie lösen bei gesunden Zellen schwerwiegende Veränderungen
aus, die dazu führen, dass sie außer Kontrolle geraten und sich erstaunlich schnell teilen. Doch jedes
Mal, wenn sich eine solche Zelle teilt, kann sie neue Mutationen erzeugen, was die WissenschaftlerInnen vor ein
Rätsel stellt. "Einige dieser Mutationen sind Triebkräfte in Tumoren, sie entscheiden, ob Krebs
entstehen wird", sagt Shan Bian, Erstautor der Studie, "andere sind einfach Nebenwirkungen. Diese unterschiedlichen
Mutationen in menschlichem Gewebe gezielt zu erfassen, war bis dato ein Problem."
Mutationen kartieren und Medikamente testen
Die neuentwickelten neoplastischen Organoide bieten ein unglaubliches Potenzial, diesen Fragen systematisch
nachzugehen. Durch moderne Genom-Editing Systeme wie etwa CRISPR / Cas9 und sogenannte Sleeping Beauty Transposons
werden Mutationen, die häufig bei Krebspatienten gefunden werden, in die Zellen gebracht. So können einzelne
Gene oder Genkombinationen geändert werden, manche Gene werden abgeschaltet während die Aktivität
von anderen Genen erhöht wird, und zwar unabhängig von bekannten Gendefekten. So wollen die ForscherInnen
zwischen krebsauslösenden und weniger gravierenden Mutationen unterscheiden. Sobald sich ein Tumor entwickelt
hat, können die WissenschaftlerInnen bestimmte Mutationen genau unter die Lupe nehmen, um festzustellen, ob
der jeweilige Gendefekt auch für das langfristige Überleben des Tumors essentiell ist. Denn jede genetische
Veränderung, die dazu führt, dass der Tumor schrumpft oder verschwindet, könnte ein guter Kandidat
für zukünftige Therapien sein.
Organoide für eine personalisierte Krebsmedizin
Die WissenschaftlerInnen testeten dieses Prinzip mit einem Medikament namens Afatinib, das derzeit in klinischen
Studien zur Behandlung von Glioblastomen eingesetzt wird. Sie fanden heraus, dass nach 40 Tagen Verabreichung des
Medikaments die Anzahl der Tumorzellen in jenen zwei Mutationskombinationen signifikant zurückging, in denen
ein Molekül namens EGFR überexprimiert wird- denn Afatinib hemmt EGFR. Die ForscherInnen wiederholten
das Experiment mit vier zusätzlichen Wirkstoffen, die EGFR hemmen und derzeit in Therapien zum Einsatz kommen.
Während ein Medikament namens Erlotinib die Anzahl der Tumorzellen signifikant reduzierte, waren die Effekte
anderer Wirkstoffe minimal.
"Diese Ergebnisse zeigen, dass Gehirn-Organoide auch einen erheblichen Nutzen für die Krebsforschung
beziehungsweise die öffentliche Gesundheit haben. Vor allem, weil es nun möglich ist, Organoide von Patienten
mit Gehirntumoren herzustellen und daran die Wirksamkeit verschiedener Therapie-Kombinationen zu testen",
sagt Jürgen Knoblich. „Nun wäre es ein wichtiger Schritt, weitere klinische Partnerschaften zu fördern.
Wir sind davon überzeugt, dass unsere Modelle in Zukunft Anhaltspunkte für die klinische Behandlung von
Hirntumoren liefern könnten.“
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