Neue Optionen für die Medikamentenentwicklung und Behandlung von Schwangerschaftserkrankungen
Wien (meduni wien) - Die Plazenta ist das verbindende Organ zwischen Mutter und Embryo. Ihre Hauptfunktionen
sind der Austausch von Nährstoffen, Gasen und Stoffwechselprodukten sowie die Produktion von Hormonen und
anderen Substanzen, die für die Embryonalentwicklung von essenzieller Bedeutung sind. Fehlfunktionen der Plazenta
gelten als Hauptursache für Komplikationen in der Schwangerschaft und können zu Fehlgeburten oder anderen
schweren Störungen führen, die sowohl die Mutter als auch das Baby gefährden. Bis heute sind die
grundlegenden Mechanismen dieser Erkrankungen weitgehend ungeklärt. Nicht zuletzt deshalb, weil es bis jetzt
noch kein zuverlässiges humanes Zellkulturmodellsystem gab. Nun ist es ForscherInnen der MedUni Wien gelungen,
ein 3D-Modell der humanen Plazenta zu entwickeln.
Das 3D-„in vitro“-Modell der frühen humanen Plazenta entstand in Kooperation der Forschungsgruppen von Martin
Knöfler an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien (Abteilung für Geburtshilfe
und Gynäkologie) und von Paulina Latos vom Zentrum für Anatomie und Zellbiologie der MedUni Wien.
Erstes Organoidmodell der Plazenta – andere Gewebekulturmodelle als Basis
„In den vergangenen Jahren wurden zusehends 3D-Gewebekulturmodelle, genannt Organoide, von verschiedensten
humanen Organen etabliert. Diese Organoide bestehen zumeist aus nur wenigen Zelltypen des jeweiligen Gewebes und
sind deshalb einfacher strukturiert als das Ursprungsorgan selbst“, erklären die ForscherInnen. Auf dieser
Basis ist es dem Team der Medizinischen Universität Wien gelungen, erstmals auch ein derartiges Organoidmodell
der Plazenta, bestehend aus der vorherrschenden plazentaren Zellpopulation, dem sogenannten Trophoblasten, zu entwickeln.
Knöfler und Latos erklären: „Als reines Trophoblast-Organoid ohne Blutgefäße und Bindegewebsanteile
spiegelt dieses Modell den Trophoblast-spezifischen Plazentaaufbau in der Petrischale wider.“ Gelungen ist dies
durch die Optimierung jener Kulturbedingungen, die schon bei Organoidmodellen anderer Gewebe erfolgreich angewandt
worden waren.
Ein wesentlicher Vorteil der Plazenta-Organoide ist deren Fähigkeit zur Selbstorganisation, Selbsterneuerung
und konstanter Vermehrung, betonen die MedUni Wien-WissenschafterInnen, da diese sowohl Stamm- als auch Vorläuferzellen
beinhalten. Zusätzlich eignen sich diese 3D-Strukturen auch zur Darstellung der drei Hauptzelltypen innerhalb
der humanen Trophoblastpopulation.
Die bahnbrechenden Vorteile dieses Organoidsystems konnten die ForscherInnen der MedUni Wien mit einer Studie untermauern,
in der die Rolle des WNT-Signalwegs (der in vielen Geweben entscheidend für die Entwicklung und das Wachstum
ist) in der Selbsterneuerung und Differenzierung der Trophoblastorganoide erhärtet wurde. Dieses Organoidmodellsystem
kann außerdem pharmakologisch und genetisch manipuliert werden. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten,
physiologische und pathophysiologische Vorgänge in der humanen Plazenta zu untersuchen.
„Dass es bisher keine Zellkulturmodellsysteme für die humane Plazenta gegeben hat, machte es bislang schwierig,
wenn nicht sogar unmöglich, die Ursachen von Fehlfunktionen zu studieren. Die Situation ist durch die Etablierung
dieses Plazenta-Organoidsystems entscheidend verbessert und wird künftig unter anderem die Arzneimittelentwicklung
und in weiterer Folge medizinische Behandlungsmöglichkeiten bei gefährlichen Schwangerschaftserkrankungen
vorantreiben“, betont Knöfler, einer der international führenden Experten in der Plazentaforschung
und Letztautor der Studie.
Stem Cell Reports
“Self-Renewing Trophoblast Organoids Recapitulate the Developmental Program
of the Early Human Placenta”, Sandra Haider, Gudrun Meinhardt, Leila Saleh, Viktoria Kunihs, Magdalena Gamperl,
Ulrich Kaindl, Adolf Ellinger, Thomas R. Burkard, Christian Fiala, Jürgen Pollheimer, Sasha Mendjan, Paulina
A. Latos and Martin Knöfler; Stem Cell Reports 2018. https://doi.org/10.1016/j.stemcr.2018.07.004
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