Neue einfache Reaktion, um "verwandte" biologisch aktive Molekülen herzustellen
Wien (universität) - In vielen Naturprodukten und Medikamenten spielen Dicarbonyle eine wesentliche
Rolle – die Herstellung einiger solcher Verbindungen ist aber eine Herausforderung. In ihrer aktuellen Studie ist
es Nuno Maulide und seinen Mitarbeitern von der Fakultät für Chemie der Universität Wien gelungen,
eine neue Syntheseroute für diese Moleküle zu entwickeln. Sie nutzen dazu oxidierte Schwefelverbindungen,
ohne dass Schwefel selbst im Produkt auftaucht. Die Ergebnisse dazu erscheinen aktuell in der renommierten Fachzeitschrift
"Science".
Wir benötigen ständig neue Moleküle: Innovative Medikamente müssen entworfen und getestet,
funktionelle Materialen hergestellt werden – eine Aufgabe für organische ChemikerInnen. Diese analysieren
zunächst die funktionellen Gruppen im Zielmolekül und wählen danach ihre Strategie, um eine neue
Substanz zu synthetisieren.
Für manche Moleküle ist es nicht so einfach, eine passende Strategie zu finden, wenn die Abstände
der Funktionalitäten nicht der "natürlichen" Polarität der möglichen Ausgangsstoffe
entsprechen. Das klassische Beispiel hierfür sind Verbindungen mit zwei Kohlenstoff-Sauerstoff-Doppelbindungen
(sogenannte "Carbonyl"-Gruppen), die durch vier Kohlenstoffe voneinander getrennt sind. "Diese sogenannten
1,4-Dicarbonylverbindungen sind wesentlich schwerer herzustellen als die entsprechenden 1,3- oder 1,5-Analoga,
denn in diesen Fällen ist eine sogenannte "Umpolung" eines der Reaktionspartner notwendig",
erklärt Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Fakultät für Chemie der Universität.
Dies ist ein großes Manko, besonders da 1,4-Dicarbonyle in vielen Naturprodukten, Medikamenten und einer
Reihe an medizinisch verwendeten Enzyminhibitoren vorkommen.
Nuno Maulide und seine Mitarbeiter vom Institut für Organische Chemie der Universität Wien haben nun
eine neue Syntheseroute für diese Moleküle entwickelt, bei der oxidierte Schwefelverbindungen, sogenannte
Sulfoxide, als Reagenzien zum Einsatz kommen. "Wir machen uns mehrere Eigenschaften des Schwefels zunutze,
ohne dass Schwefel selbst im unserem Produkt auftaucht", erklärt Immo Klose, DOC-Stipendiat der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften und Co-Autor der Studie: "Diese Reaktion ist faszinierend: Es ist nicht auf den
ersten Blick ersichtlich, wie aus den Ausgangsstoffen das Produkt entsteht". In der Tat verlässt der
Schwefel während der Reaktion das reaktive Zwischenprodukt, ChemikerInnen sprechen in diesem Fall von einer
"traceless reaction" ("spurlosen Reaktion").
Die Forscher konnten außerdem zeigen, dass jedes der vier möglichen Isomere selektiv durch die Wahl
des richtigen Sulfoxids erhalten werden kann. "Unsere Sulfoxide haben zwei Wahlmöglichkeiten: den Schwefel
und die beiden benachbarten Kohlenstoffe. Daraus ergeben sich vier mögliche Kombinationen", erklärt
Dainis Kaldre, ehemaliger Postdoc am Institut für Organische Chemie und Co-Erstautor. "Das Besondere
ist, dass jede dieser vier Möglichkeiten zu einer anderen Konfiguration im Reaktionprodukt führt“, sagt
Kaldre. Die Möglichkeit, alle Isomere mit derselben Methode herzustellen, macht diese Reaktion extrem nützlich
und vielseitig.
Neue Wirkstoffmoleküle freigeschalten
"Die Vielfalt unserer Methode kann für eine enome Anzahl an neuen möglichen Wirkstoffbausteinen
genutzt werden, die vorher nicht zugänglich waren", erklärt Maulide. Für die aktuelle Publikation
in Science stellte die Arbeitsgruppe um Maulide auf einfachem Wege Matrix-Metalloproteinase-Inhibitoren her. "Zuvor
gab es keine gute Möglichkeit diese Verbindungen herzustellen; es war vor allem schwierig, eine bestimmte
Konfiguration selektiv zu erhalten. Mit unserer Methode lassen sich alle vier möglichen Produkte nach Belieben
herstellen", freut sich Maulide.
Die reaktive Spezies, mit der die Sulfoxide zur den Produkten überführt werden, gehört zu den exotischen
Zwischenstufen der "Vinylkationen". Maulide erforscht diese im Rahmen des prestigeträchtigen ERC
Consolidator Grants, der mit rund zwei Millionen Euro Forschungsgeld dotiert ist. "Es ist bemerkenswert, wie
einfach Grundlagenforschung an exotischen Molekülen zu Durchbrüchen für unsere Gesellschaft führen
kann", so Maulide abschließend.
Publikation in "Science": "Stereodivergent
synthesis of 1,4-dicarbonyls by traceless charge–accelerated sulfonium–rearrangement": Dainis Kaldre, Immo
Klose und Nuno Maulide. In Science 2018, DOI: 10.1126/science.aat5883
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