Cambridge/Harvard/Wien (meduni wien) - Eine weltweite Studie des internationalen „Brainstorm Consortiums“ analysierte
erstmals das Genom von 1,1 Millionen PatientInnen mit psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen und konnte
zeigen, dass zwischen bestimmten Erkrankungen des Gehirns genetische Beziehungen bestehen. So korrelieren signifikant
etwa psychiatrische Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen miteinander. Aus Österreich war der
Kinder- und Jugendpsychiater Andreas Karwautz von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
der MedUni Wien an der Studie beteiligt, die kürzlich im absoluten Top-Journal „Science“ publiziert wurde.
Die Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen, wie zum Beispiel Anorexie, Depression oder Schizophrenie, wurde bisher
vorwiegend phänotypisch anhand der Symptome vorgenommen. Das ergab jedoch zumeist auch eine gewisse Unschärfe,
weil viele Klassifikationsmodelle die tatsächlichen Krankheiten nicht ausreichend beschreiben. Andreas Karwautz,
Kinder- und Jugendpsychiater der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni und
Mit-Autor der Studie: „Es gibt keine ‚reine‘ Depression, oder „reine“ Anorexie, die nicht Symptome anderer psychischer
Störungen aufweist. Eine Diagnose ist immer heterogen“.
Die groß angelegte, internationale Studie des Brainstorm Consortiums, eines Zusammenschlusses mehrerer Arbeitsgruppen
der Harvard University und des Massachusetts Institute of Technology, analysierte nun Daten zum Genom von rund
265.000 psychiatrischen und neurologischen PatientInnen sowie 785.000 gesunden Menschen. Untersucht wurde, ob Erkrankungen
mit bestimmten genetischen Merkmalen miteinander zusammenhängen. Für die aktuelle Studie wurden gemeinsame
Erbanlagen von fünfzehn neurologischen und zehn psychiatrischen Erkrankungen überprüft. Von der
MedUni Wien kam Datenmaterial von PatientInnen mit Essstörungen aus der Universitätsklinik für Kinder-
und Jugendpsychiatrie.
Die StudienautorInnen setzten drei Schwerpunkte der Untersuchung: So wurden die psychiatrischen und neurologischen
Krankheiten als jeweils eigene Gruppe betrachtet und dann im Vergleich zueinander. Das zentrale Ergebnis: Es gibt
bei einigen psychiatrischen Erkrankungen große genetische Gemeinsamkeiten, wodurch das Risiko sich erhöht,
im Fall einer Krankheit auch an der entsprechend korrelierten zu erkranken. Das gilt für Schizophrenie, depressive
Episoden, bipolare Störung, Angststörung und ADHS. Nicht aber für das Tourette-Syndrom und Autismus.
Diese wiesen kaum genetische Korrelationen auf. Depression und Angststörung wiederum sind genetisch eng verwandt,
auch wenn die Symptome unterschiedlich sind. Dasselbe gilt für Magersucht und Zwangsstörung, sowie für
Schizophrenie und bipolare Störung.
Resultat des zweiten Schwerpunktes ist, dass neurologische Erkrankungen sich gemäß der Studie allgemein
stärker in ihrer Gruppe voneinander genetisch unterscheiden. Die dritte Schwerpunkts-Analyse zeigte, dass
sie sich auch von den psychiatrischen Störungen genetisch unterscheiden, mit Ausnahme der Migräne. Da
fanden sich Korrelationen mit ADHS, Tourette-Syndrom und depressiven Episoden. Die Studie zeigte also, dass es
bei speziellen genetischen Anlagen zu Überlappungen kommt, wodurch die traditionellen diagnostischen Klassifikationen
neuerlich in Frage gestellt werden. Ebenso kann man anhand des Materials erkennen, dass genetisch korrelierende
Erkrankungen, zum Beispiel Psychosen, ähnliche Symptome aufweisen, die sowohl bei Schizophrenie als auch bei
Alzheimerdemenzen auftreten.
Karwautz erklärt: „Diese Genom-Analyse mit erstmals relevant hohen Fallzahlen ist eine gute Basis für
eine Verbesserung der psychiatrischen Klassifikationsmodelle mittels einer neurobiologisch fundierten Diagnostik.
Es freut mich als Forscher im Rahmen meiner Arbeit an der MedUni Wien zu dieser weltweiten Anstrengung beitragen
zu können“.
Science: Verneri Anttila, Andreas
Karwautz, Benjamin M. Neale et al. The Brainstorm Consortium. Analysis of shared heritability in common disorders
of the brain. Science 2018. DOI: 10.1126/science.aap8757.
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