Adaptiver Genaustausch über Artgrenzen: Chance für den Fortbestand von Arten?
Vancouver/Wien (universität) - Alle Tier- und Pflanzenarten sind auf genetische Vielfalt angewiesen,
um sich evolutionär an lebensbedrohliche Umweltänderungen (z.B. Klimawandel) anpassen zu können.
Mutationen alleine wären eine extrem langsame Quelle der überlebenswichtigen "adaptiven" Genvarianten,
vor allem bei langlebigen Organismen wie Waldbäumen. Eine Arbeitsgruppe um Christian Lexer von der Universität
Wien konnte nun gemeinsam mit WissenschafterInnen der kanadischen University of British Columbia (UBC) anhand von
Pappelarten nachweisen, dass adaptive Genvarianten auch von Genaustausch mit verwandten Arten stammen können.
Die Ergebnisse sind kürzlich in hochkarätigen Fachjournalen erschienen und werden aktuell am zweiten
Internationalen Weltkongress für Evolutionsbiologie in Montpellier diskutiert.
Die Fähigkeit zur Anpassung an sich rasch ändernde Umweltbedingungen ist überlebenswichtig für
alle Tier- und Pflanzenarten, auch für den Menschen. Die dafür notwendigen "adaptiven" Genvarianten
können von seltenen, neuen Mutationen im Genpool stammen, oder sie sind bereits im "Repertoire"
einer Art oder Artengruppe vorhanden. Eine bisher kaum verstandene Quelle adaptiver Genvarianten ist der Genaustausch
über Artgrenzen hinweg, man spricht von "adaptiver Introgression". Das kann geschehen wenn sich
verwandte Arten kreuzen und die F1 Hybride vital und fruchtbar sind, die Artbarriere also noch nicht voll ausgeformt
ist. So werden im Lauf von Generationen Gene oder ganze Chromosomenblöcke auf natürliche Weise zwischen
verwandten Arten ausgetauscht. Dieser Vorgang ist an sich nicht selten und bereits von vielen Tier- und Pflanzenarten
bekannt – sogar unsere eigenen Homo sapiens Vorfahren kreuzten sich mit Neandertalern.
Die Herausforderung für EvolutionsbiologInnen besteht darin, nachzuweisen dass die neu eingebrachten ("introgressierten")
Genvarianten tatsächlich adaptiv sind. Ein solcher Nachweis erfordert 4 verschiedene Beweisspuren: Introgression,
molekularer "Fußabdruck" natürlicher Selektion in den betroffenen Gensequenzen, messbare Effekte
der eingebrachten Genvarianten auf funktionelle Merkmale, Effekte dieser Merkmale auf die biologische "Fitness",
d.h. auf Überleben, Gedeihen, und Fortpflanzungserfolg.
Dem internationalen Forschungsteam des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität
Wien und UBC gelang es, diese Beweiskette bei nahe verwandten nordamerikanischen Arten der "Modellbaumgattung"
Populus (Pappeln) zu erbringen. Die WissenschafterInnen entschieden sich für Pappeln als Modellsystem für
ihre Studien, da es für sie qualitativ hochwertige Genomsequenzen und –karten gibt (ähnlich wie beim
Menschen), da Pappelarten häufig "hybridisieren", und da sie (noch) in großen natürlichen
Populationen auf mehreren Kontinenten vorkommen. Eine wichtige Motivation des Teams lag auch in der enormen ökologischen
Bedeutung adaptiver genetischer Variation bei Waldbäumen: Sie sind Schlüssel- oder "Schirmarten"
in Wäldern, weshalb die genetische Vielfalt bei Bäumen enorme Auswirkungen auf ganze Lebensgemeinschaften,
Ökosysteme, und Nährstoffkreisläufe hat.
Um die Beweiskette für adaptiven Genaustausch zu erbringen, sequenzierten die WissenschafterInnen ganze Genome
von hunderten Pappeln, ermittelten introgressierte Chromosomenblöcke und Gene mit Hilfe neuester bioinformatischer
Verfahren, maßen die Effekte der eingebrachten Genvarianten auf dutzende Merkmale mit Fitness-Relevanz, und
untersuchten deren Zusammenhang mit ökologischen Standortfaktoren wie Temperatur und Tageslänge. Die
Ergebnisse unterstützen klar die Hypothese der adaptiven Introgression bei Bäumen am Beispiel der westlichen
Balsampappel Populus trichocarpa – Hybridisierende Baumarten wie Pappeln können sich also adaptive, ökologisch
wichtige Genvarianten quasi von verwandten Arten "ausborgen". Eine spannende, offene Frage ist nun, wie
oft adaptive Introgression auch bei anderen Baumarten oder generell in der Natur geschieht. Gerade bei langlebigen
Organismen wie bei Bäumen ist die so gewonnene adaptive Vielfalt potentiell eine Chance für den Fortbestand
von Arten angesichts globaler Umweltveränderungen wie dem Klimawandel.
Nicht minder wichtig ist die Frage nach den "evolutionsgenetischen Grenzen" für derlei Vorgänge:
verwandte Arten sind oft durch starke Kreuzungsbarrieren getrennt, an denen viele Gene oder sogar ganze Netzwerke
von "Barriere-Genen" beteiligt sind. Die Barrieren werden stärker je mehr Zeit seit dem letzten
Artbildungs-Event vergangen ist. Dringender Forschungsbedarf besteht daher nach den vielfältigen Wechselwirkungen
zwischen diesen "Barriere-Genen" und den ökologisch vorteilhaften, adaptiven Genvarianten in den
Genomen verwandter Arten. Diese Fragen mit Relevanz für die Grundlagen- und angewandte Forschung werden diese
Woche am "II Joint Congress on Evolutionary Biology" in Montpellier diskutiert.
Übersichtspublikation in "Biology Letters": A Suarez-Gonzalez, C Lexer and QCB Cronk (2018) Adaptive introgression: a plant perspective.
Biology Letters 14:20170688. DOI: 10.1098/rsbl.2017.0688
Originalpublikationen in "Molecular Ecology" und "New Phytologist"
mit direkter Themenrelevanz: Suarez-Gonzalez A, Hefer CA, Lexer C, Cronk
QCB & Douglas CJ (2018) Scale and direction of adaptive introgression between black cottonwood (Populus trichocarpa)
and balsam poplar (P. balsamifera). Molecular Ecology 27:1667-1680
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