„Under Pressure“ im MuseumsQuartier Wien

 

erstellt am
31. 08. 18
13:00 MEZ

Ausstellung über Formen des Autoritären und die Macht der Entscheidung – von 28. September bis 25. November bei freiem Eintritt
Wien (mqw) - Das Zustandekommen von Mehrheiten für autoritär agierende PolitikerInnen, ein offensichtlich autoritär agierender Finanzmarkt sowie autoritäre Tendenzen in der KI-Entwicklung führen zu der Frage, ob neue Formen des Autoritären sich dadurch unterscheiden, dass sie individuelle Freiheiten erlauben oder zumindest diesen Eindruck vermitteln. Die Ausstellung „Under Pressure – Über Formen des Autoritären und die Macht der Entscheidung“ im frei_raum Q21 exhibition space, kuratiert von Sabine Winkler, untersucht, welche Mechanismen, Strategien und Taktiken bei der Einschränkung von Entscheidungsfreiheiten zum Einsatz kommen.

Ausgehend von Dogmen des Neoliberalismus und des Neonationalismus beschäftigt sich die Ausstellung mit Autoritarismen in Politik, Ökonomie, Technologie und Kunst. So führte die vom Neoliberalismus betriebene Marginalisierung des Politischen sowie die Finanzkrise zu einem beschleunigten autoritären Kapitalismus. Der autoritäre Neonationalismus wiederum kann u. a. als eine Reaktion auf diese Entwicklung gesehen werden.

Kontrolle über zukünftige Entscheidungen und Handlungsweisen sowie Einflussnahme sind hingegen das Ziel von algorithmischen Systemen. So werden durch technische KI-Assistenten, wie Siri, Cortana oder Alexa „Bedürfnisse“ von NutzerInnen internalisiert und Entscheidungen vorweg- bzw. übernommen. Laufen wir Gefahr, dass Handlungs- und Denkräume durch Überwachung, Big Data Rankings, Social Credit Systems etc. zunehmend kontrolliert und programmiert werden?

Die Ausstellung untersucht Dispositionen der Entscheidung sowie Formen des Involviertseins und Mittäterschaft in autoritären politischen und algorithmischen Systemen. Welche Entscheidungen werden von uns verlangt, wie werden Entscheidungen automatisiert, in welcher Form tragen wir selbst dazu bei, bewusst oder unbewusst, wie über uns von Seiten ökonomischer, algorithmischer und staatlicher Systeme entschieden wird bzw. inwieweit agieren wir selbst autoritär? Wenn Algorithmen mehr über uns wissen als wir selbst, können sie dann unseren jeweiligen Bedürfnissen angemessener, weil rationaler entscheiden, und was bedeutet das für die Vorstellung des autonomen Selbst?

Könnte nun gerade die daraus folgende Marginalisierung des Subjekts (oder die Loslösung der Subjektivität von Subjekt, Person und Mensch) eine Möglichkeit bieten, Veränderungen herbeizuführen, autoritäre Tendenzen zu verhindern oder wäre zu befürchten, dass sich hegemoniale Systeme dadurch nur verlagern, automatisiert werden, aber nicht verschwinden? In der Kunst zeichnen sich durch die Infragestellung des KünstlerInnen-, KuratorInnen- und BetrachterInnen-Subjekts neue Dispositionen ab. Ob dadurch autoritäre Strukturen im Kunstsystem aufgehoben oder nur verlagert werden, bleibt spekulativ.

In Rod Dickinsons installativer Arbeit „Zero Sum“ werden die AusstellungsbesucherInnen eingeladen, in einer klassischen spieltheorethischen Dilemma-Situation („Volunteer's Dilemma“ oder „The Free Rider Problem“) unterschiedliche Rollen einzunehmen und vier Möglichkeiten einer Dilemma-Situation nachzuspielen, durch die sie von einem virtuellen Moderator geführt werden. Rod Dickinson zeigt, wie durch automatisierte Arbeitssysteme der individuelle Handlungsspielraum eingeschränkt und kontrolliert wird, maskiert als Freiheitszugewinn.

HARD-CORE beschäftigt sich mit Robotic Curating und entwickelte die Software Asahi 4.0, mit der Ausstellungen automatisiert kuratiert werden können. Asahi 4.0 wählt Kunstwerke über einen Zufallsgenerator aus, entsubjektiviert und kollektiviert Entscheidungsprozesse. Im Video „The Universal Blob (2)“ reflektieren fünf personifizierte Entitäten über ein kollektives Selbst und über kuratorische Praxen, die losgelöst von ästhetischen Erfahrungen und Entscheidungen enthierarchisiert werden können. Oder ist auch Asahi 4.0 in seinen Zufallsentscheidungen dominant, nicht wirklich kollaborativ?

Bernd Hopfengärtner und Ludwig Zeller inszenieren in ihrem Video „Life Is Good For Now“ eine spekulative Sicht auf die Schweiz, die sich entschlossen hat, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vollständig umzusetzen. Mont Data, eine Genossenschaft koordiniert den Berg wissenschaftlicher und kommerzieller Daten, wodurch die BürgerInnen mit neuen Entscheidungsmöglichkeiten und -aufgaben konfrontiert werden. Die beiden Künstler zeigen fiktive Erfahrungsberichte aus den Bereichen Medizin, Kultur und Alltag, in denen über die Verfügungsgewalt der eigenen Daten Handlungsmöglichkeiten gegen digitale Kontrolle und Verwertung vorgestellt und antizipiert werden.

Liz Magic Laser inszeniert mit SchauspielerInnen eine therapeutische Situation, in der die TeilnehmerInnen von einer Therapeutin aufgefordert wurden, prägende persönliche Erfahrungen mit gegenwärtigen politischen Frustrationen zusammenzubringen. Basierend auf der Methode der Primärtherapie sollte durch das Wiedererleben von traumatischen Erfahrungen deren negative Auswirkungen verringert werden. In ihrer installativen Arbeit „Primal Speech“ adaptiert Liz Magic Laser die Methode der Primärtherapie als politische Therapieform. Die Bewältigung persönlicher wie politischer Traumata wird trainiert, um sich gegen das Gefühl der Ohnmacht sowie gegen autoritär auftretende Vater-, Erziehungs- und Politikerfiguren, gegen Fremdbestimmung zu wehren. Die Arbeit kann als Kommentar zum US-Wahlkampf und zum Brexit im Jahr 2016 verstanden werden.

In „Déploiements (Deployments)“ zeigt Stéphanie Lagarde Inszenierungen staatlicher Kontrollsysteme im öffentlichen Raum in Form von zwei Simulationsprozessen, die von einer potenziellen Zukunft aus, Einsätze in der Gegenwart durchspielen. Zu sehen sind Piloten der französischen Luftwaffe, die einen Kunstflugeinsatz für den französischen Nationalfeiertag proben. Mit Gesten, Handbewegungen und einer codierten Sprache simulieren sie die Choreografie der bevorstehenden Flugshow. Kombiniert werden diese Bilder mit einer Trainingssoftware für die Polizei, die zur Überwachung von Demonstrationen und Menschenmengen eingesetzt wird. Einerseits werden Bewegungsabläufe und Vorgehensweisen nach bestimmten Mustern automatisiert, andererseits werden über Mustererkennung zukünftige Verhaltensweisen sowohl informiert als auch kontrolliert, um Entscheidungs- bzw. Handlungsrahmen direkt als auch indirekt einzuschränken.

Daniela Ortiz erforscht in ihren Arbeiten Konzepte von Nationalität, Klasse, Rasse, Gleichstellungs- und Bürgerrechtspolitik. Sie untersucht, wie das europäische System der Migrationskontrolle und kolonialer Rassismus auf Mustern der Ausgrenzung basieren. In ihrer als Bilderbuch konzipierten Arbeit „The ABC of Racist Europe“ stellt Daniela Ortiz eurozentrischen Narrativen, Narrative aus antikolonialer und antirassistischer Perspektive gegenüber. In der autoritären Ablehnung von Migration manifestiert sich eine Forderung nach kultureller/gesellschaftlicher Entscheidungsmacht einer weißen Mittelstandsschicht, der die politischen Entscheidungsmöglichkeiten abhanden zu gehen scheinen. Daniela Ortiz dekonstruiert hegemoniale Narrative und Praktiken und fordert Gleichstellung radikal ein.

Olivia Plenders Arbeit „Set Sail for the Levant“ basiert auf einem Brettspiel aus dem 16. Jahrhundert mit dem Titel „The Game of the Goose“, das als Vorläufer von Monopoly gesehen werden kann. Gewinnen können nur jene SpielerInnen, die den anderen TeilnehmerInnen das Geld stehlen und in den Vorderen Orient flüchten, um der Strafe zu entgehen. Olivia Plender persifliert ideologische Narrative wie jenes von Monopoly, das Menschen lehrt, wie man in einem kapitalistischen System agieren soll. Zunehmend werden Versprechungen des Neoliberalismus wie Selbstverwirklichung, Erfolg und freie Wahl mit traditionellen Erzählungen, nationalen Mythologien oder kultureller Identität kombiniert. Olivia Plender untersucht, wie offizielle, historische und gegenwärtige Narrative konstruiert sind und welche Hierarchien hinter der „Stimme der Autorität“ stehen.

Pinar Yoldas imaginiert in ihrer Arbeit „Kitty AI: Artificial Intelligence for Governance“ eine Künstliche Intelligenz (KI), die die Weltherrschaft übernommen hat. Im Video spricht eine 3D-animierte Katze über sich selbst und ihre Aufgaben als Regierende einer im Jahr 2039 angesiedelten Megalopolis. Kitty AI tritt als gefühlsbetonte Repräsentantin eines allumfassenden KI-Regimes auf, in dem „Katzenliebe“ und Technologie PolitikerInnen ersetzen sollen. Treffen KI-Systeme die besseren Entscheidungen, weil sie mehr Daten erfassen und auswerten können? Die Verheißungen technischer Lösungskompetenzen von KI sind groß, verschwiegen werden gerne die damit verbundenen Kontrollfunktionen sowie Verlust von Entscheidungsfreiheiten. „Kitty AI“ präsentiert sich als Agentin für optimiertes Regieren in Form emotionaler Fürsorge.

KünstlerInnen
Rod Dickinson (GBR)*, Inci Eviner (TUR), HARD-CORE (NLD, FRA, ISL)*, Minna Henriksson (FIN)*, Bernd Hopfengärtner* und Ludwig Zeller (GER), Vladan Joler (SHARE Lab) (SRB), Isabella Kohlhuber (AUT), Stéphanie Lagarde (FRA), Liz Magic Laser (USA), Daniela Ortiz (PER/ESP), Olivia Plender (GBR), Sebastian Schmieg (GER), Stefanie Schroeder (GER)*, Superflux (IND/GBR, GBR), Nick Thurston und Steven Zultanski (GBR, USA), Pinar Yoldas (TUR/USA)
*Artist-in-Residence des Q21/MQ

Kuratorin: Sabine Winkler

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.Q21.at

 

 

 

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