NHM Wien-Biologe Andreas Kroh präsentiert mit internationalen Kollegen einen Lösungsvorschlag
– Wie die Millionen an Namen von Tier- und Pflanzenarten der Erde erfasst und verwaltet werden könnten, zeigt
ein Ansatz aus der Meeresbiologie
Wien (nhm-wien) - 1792 entdeckte Giuseppe Olivi eine kleine Schnecke an der Küste Venedigs: Die „Kleine
Strandschnecke“, Littorina saxatilis. „Sie ist ein besonders drastisches Beispiel,“ meint NHM-Wien Wissenschafter
Andreas Kroh. „Das Tier taucht mit über 100 unterschiedlichen Namen und Namenskombinationen in der Literatur
auf. Sie ist sehr weit verbreitet und weist eine starke Farb- und Formvariabilität auf, daher wohl die Fülle
an Benennungen.“
Es gibt Millionen von Namen für die Lebewesen auf der Erde – wesentlich mehr, als es unterschiedliche Lebewesen
gibt – und eine Vielzahl an Möglichkeiten, diese Lebewesen zu klassifizieren. Wer nicht unbedingt Expertin
oder Experte für die jeweilige Gruppe von Lebewesen ist, kann bei der Verwendung der wissenschaftlichen Literatur
oder von Datenbanken leicht übersehen, dass mehrere verschiedene Namen dieselbe Art bezeichnen und dass –
umgekehrt – manchmal mehrere verschiedene Arten unter demselben Namen laufen. Das verursacht Probleme, vor allem
wenn es um Arten geht, die als Nahrungsmittel genutzt werden, die Krankheitserreger oder Schädlinge sind,
oder wenn es sich um schützenswerte oder invasive Arten handelt, die einheimischen Lebensräume bedrohen.
In einem, am 10. September 2018 in der renommierten Fach-Zeitschrift „Trends in Ecology and Evolution“ erschienenen
Artikel präsentierten Forscherinnen und Forscher, wie durch internationale Kollaboration an einer zentralen
Datenbank ein globales Inventar zur Klassifizierung aller Arten der Erde geschaffen werden könnte: Mittels
eines kostengünstigen, von Experten betreuten Systems sollen Forscherinnen und Forscher die Hundertausenden
ungültigen und veralteten Namen in den Griff bekommen.
Bis heute gibt es kein komplettes Inventar aller Artnamen, das die gültigen Namen mit ungültigen und/oder
veralteten Namen verknüpft und ständig aktualisiert wird. Ein solches Projekt würde nicht nur eine
Datenbank benötigen, die alle Namen erfasst, sondern auch Expertinnen und Experten (Taxonomen), die das Wissen
besitzen, wie die Namen miteinander verknüpft sind. Leider gibt es dafür keine einfache „Einmal-Lösung“,
weil Tausende von neuen Arten jedes Jahr entdeckt werden und neue Forschungsergebnisse zu Veränderungen in
der Klassifizierung bekannter Arten führen. Ein solches Inventar müsste daher konstant aktuell gehalten
und mit den publizierten Forschungsergebnissen verknüpft werden. Aus diesem Grund ist ein Business-Modell
erforderlich, das auf lange Zeit finanzierbar ist.
Dass die Umsetzung eines solchen Projekts möglich ist, zeigt eine 2007 gestartete Zusammenarbeit in der Scientific
Community der Meeresbiologinnen und -biologen: Seit mehr als 10 Jahren arbeiten 500 Experten aus 41 Ländern
an einer gemeinsamen, zentralen Online-Datenbank namens World Register of Marine Species (WoRMS) – dem weltweiten
Inventar aller Arten im Meer. In dieser Datenbank sind eine halbe Million Namen erfasst, die rund 240.000 verschiedene
Arten bezeichnen. Diese Namen sind in einem hierarchischen System klassifiziert und mit Publikationen und einer
Fülle an weiteren Daten, wie zum Beispiel Bildern, Verbreitungsangaben oder der Information, ob es sich um
eine invasive Art handelt, verknüpft.
Der Inhalt dieses Inventars mariner Arten ist kollektives Eigentum des WoRMS Editorial Board (anstelle von einzelnen
Personen oder Institutionen) und ist in einer speziellen Datenbank am Datenzentrum des Vlaams Instituut voor de
Zee in Belgien beheimatet. Die Editorinnen und Editoren sind über die ganze Welt verstreut und bearbeiten
den Inhalt online – Aktualisierungen passieren minütlich. Die Editoren arbeiten ehrenamtlich (so wie viele
Editoren wissenschaftlicher Zeitschriften), als Service für die Scientific Community. Die Teilnahme erfolgt
nach Einladung und ist prestigeträchtig. Die verantwortlichen Editoren für die jeweilige Art sind in
den jeweiligen Datenbankeinträgen sofort ersichtlich, und Nutzerinnen und Nutzer der Datenbank können
die Editoren bei Fragen daher rasch und unkompliziert kontaktieren.
Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender des WoRMS Editorial Board, Mark Costello, regt an: „Das bewährte
Modell von WoRMS sollte genutzt werden, um das dringend benötigte, globale Register aller Arten der Erde zu
schaffen, das kontinuierlich aktualisiert wird.“
Andreas Kroh, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Geologisch-paläontologischen Sammlung des NHM Wien und
derzeitiger Vize-Vorsitzender des WoRMS Editorial Board, betont, dass eine solches globales Register nicht direkt
innerhalb von WoRMS entstehen müsse, und meint: „Unsere Erfahrung im Umgang mit geistigem Eigentum, den sozialen
Aspekten und einer dynamischen, zentralen Datenbank könnte entscheidend für den Erfolg eines Welt-Register
aller Arten sein.“
Laut Tammy Horton, der derzeitigen Vorsitzenden des WoRMS Editorial Board, „liegt die Lösung für dieses
und andere Probleme in der Forschung in intensiverer Zusammenarbeit innerhalb der Scientific Community“.
Artikel: Costello MJ, Horton T, Kroh A. 2018. Sustainable biodiversity databasing: international,
collaborative, dynamic, centralised. Trends in Ecology and Evolution in press.
https://doi.org/10.1016/j.tree.2018.08.006
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