EP-Berichterstatter Chambon informiert österreichische ParlamentarierInnen über Stand
der Verhandlungen
Brüssel/Wien (pk) - Der Plan zur Änderung der EU-Richtlinie über transparente und verlässliche
Arbeitsbedingungen, die vor allem auf atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse innerhalb
der EU abzielt, werde keineswegs in nationales Arbeitsrecht eingreifen und das Prinzip der Subsidiarität verletzen.
Es gehe um Mindeststandards und Mindestrechte für ArbeitnehmerInnen und nicht um eine Vereinheitlichung des
Arbeitsrechts, bekräftigte der Berichterstatter des EU-Parlaments für den genannten Gesetzesentwurf,
Enrique Calvet Chambon am 14. September gegenüber Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ) und Nationalratsabgeordnete
Angela Fichtinger (ÖVP). In der Richtlinie werde auch eine Klausel enthalten sein, dass kein nationales Recht
verschlechtert werde. Im Fokus stünden Werte wie etwa das Recht auf Arbeitslosengeld, auf eine Pension, auf
geregelte Arbeitszeiten oder auf Kollektivverträge, aber auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben,
hielt er fest. Chambon besuchte heute das österreichische Parlament, um die ParlamentarierInnen über
den Stand der Verhandlungen zu informieren.
Chambon betonte, dass es darum gehe, die Rechte der BürgerInnen zu stärken und insbesondere Regelungen
für neue Arbeitsformen festzulegen. Der freie Personenverkehr könne nicht funktionieren, wenn die Mindestrechte
von ArbeitnehmerInnen nicht eingehalten werden, sagte der EU-Parlamentarier und appellierte an den politischen
Willen, den Fokus auf die reale Situation und nicht auf technische Fragen zu legen. Er war mit Schennach und Fichtinger
einer Meinung, dass das Augenmerk insbesondere auf das Problem der Scheinselbständigkeit gerichtet sein müsse.
Als drängende Frage wird unter anderem auch die sogenannte kapazitätsorientierte Arbeitszeit gesehen.
Große Probleme gebe es unter anderem in der Bau- und in der Tourismusbranche. Es gelte, der Jugend in Europa
eine Perspektive zu geben, denn prekäre Jobs machen bei den 20- bis 30-Jährigen mehr als die Hälfte
aus.
Auch wenn die Verhandlungen schwierig seien, sagte Chambon unter Hinweis auf die unterschiedlichen Sozialsysteme,
Traditionen und Kulturen in den Mitgliedstaaten, sei er optimistisch, dass im EU-Parlament ein Konsens gefunden
werden kann. Jedenfalls werde im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments am 18. Oktober abgestimmt,
dann kommt die Materie ins Plenum und danach können – noch unter österreichischem Ratsvorsitz - die Trilogverhandlungen
beginnen.
Meinungen in Österreich uneinheitlich
Der Richtlinienvorschlag wurde bereits im EU-Ausschuss des Bundesrats zwei Mal intensiv und - zwischen Regierungsparteien
und Opposition – kontrovers diskutiert (siehe Meldungen der Parlamentskorrespondenz Nr. 260/2018 und Nr. 345/2018).
In einer Mitteilung kritisieren ÖVP und FPÖ unter anderem zu viel Bürokratieaufwand und stellen
zahlreiche neue Informationspflichten in Frage. Die SPÖ wiederum unterstützt den Entwurf als wichtigen
Baustein der sozialen Säule der EU, wie Schennach betonte. Er hält eine gewisse Harmonisierung des Arbeitsrechts
im Hinblick auf die Mobilität für notwendig. Die Jugend brauche eine Vision von Europa, nämlich
dass man von der Arbeit, die man macht, auch leben kann, sagte er. Die große Zahl an prekären Arbeitsverhältnissen
hält er schlichtweg für eine Katastrophe. Ihm zufolge ist es jedenfalls notwendig, dass man vom ersten
Tag an einen Vertrag in den Händen hält. Scharf kritisierte er auch die Kettenverträge.
Angela Fichtinger hob die unterschiedlichen Bedingungen zwischen städtischen und ländlichen Regionen
hervor und wies zudem auf die schwierige Situation im Pflegebereich hin, die sich noch verschärfen werde.
Gerade hier erlebe man, wie unterschiedlich die Bedingungen seien, weshalb auch sie Anpassungen für notwendig
hält. Unser aller Blick müsse aber der Jugend gelten, sagte Fichtinger, um ihr Jobmöglichkeiten
zu eröffnen.
Die Vorschläge der EU-Kommission
Der Richtlinienentwurf ist als eine Folgemaßnahme zur Umsetzung der am 17. November 2017 in Göteborg
von Rat, Europäischem Parlament und Kommission proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte
zu sehen. Dessen übergeordnetes Ziel ist laut Kommission, sichere und verlässliche Beschäftigung
zu fördern und gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarkts zu erhalten sowie die Lebens- und
Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Um dieses zu erreichen, soll der Zugang der ArbeitnehmerInnen zu Informationen, etwa hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen,
erleichtert und die Arbeitsbedingungen vor allem in neuen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen
verbessert werden. Angestrebt wird auch die tatsächliche Durchsetzung der Bestimmungen für die Arbeitsbedingungen.
Das Papier sieht etwa die Angleichung des Begriffs ArbeitnehmerIn an die Rechtsprechung des EuGH sowie die Aufnahme
neuer Beschäftigungsformen in den Geltungsbereich der Richtlinie vor. Es soll auch ein schriftliches, erweitertes
und aktualisiertes Informationspaket für die ArbeitnmeherInnen geben – etwa bezüglich der Probezeit,
der Kündigung oder der Fortbildung - und zwar gleich ab dem ersten Tag und nicht, wie bisher innerhalb von
zwei Monaten ab Beschäftigungsbeginn. Strittig in den Verhandlungen ist die Verpflichtung der ArbeitgeberInnen,
auf Ersuchen der ArbeitnehmerInnen über das Vorhandensein sicherer und verlässlicher Arbeitsverhältnisse
schriftlich zu informieren.
ArbeitnehmerInnen sollen sich in Hinkunft auch auf neue Mindestrechte stützen können, darunter unter
anderem auf das Recht auf bessere Planbarkeit der Arbeitszeit, das Recht auf Ruhepausen und bezahlten Urlaub sowie
das Recht auf verpflichtende Fortbildung ohne Lohnabzug. Die Höchstdauer der Probezeit soll sechs Monate betragen.
Auch soll der Arbeitgeber in Hinkunft eine Mehrfachbeschäftigung nicht mehr verbieten dürfen.
Ein weiterer Aspekt des Vorschlags betrifft die Stärkung des Rechtsschutzes. ArbeitnehmerInnen sollen von
den ArbeitgeberInnen verlangen können, schriftliche stichhaltige Gründe für eine Kündigung
oder eine vergleichbare Maßnahme anzuführen.
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