Straßburg/Wien (ögfe) - die aktuelle Plenarsitzung des Europäischen Parlaments hat von 10.
bis 13. September 2018 in Straßburg stattgefunden. Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
(ÖGfE) hat sich das Abstimmungsverhalten der österreichischen EU-Abgeordneten zu ausgewählten Punkten
der Tagesordnung angesehen.
Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn wird eingeleitet
Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Ungarn wegen Verstößen
gegen die Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie und die Grundrechte. Nach Polen ist Ungarn das zweite EU-Mitgliedsland,
auf das ein solches Artikel-7-Verfahren zukommt. Die EU-Mitgliedsstaaten sind nun dazu aufgefordert zu überprüfen,
ob in Ungarn eine anhaltende und schwerwiegende Verletzung der EU-Werte besteht. Das Artikel-7-Verfahren kann in
letzter Konsequenz bis zum Entzug des Stimmrechtes im Ministerrat führen.
Erteilung des Verhandlungsmandats für die umstrittene Urheberrechtsreform
Das Parlament hat sein Verhandlungsmandat für die Reform des Urheberrechts überarbeitet und angenommen.
Es war in der letzten Plenarsitzung vor dem Sommer von einer knappen Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt worden,
da es Bedenken wegen der geplanten Upload-Filter gab. Diese Filter sollen Inhalte bereits vor der Veröffentlichung
auf Urheberrechtsverletzungen prüfen und gegebenenfalls sperren. Dem neuen Mandat wurden Garantien zum Schutz
des freien Informationsaustausches im Internet hinzugefügt. Gleichzeitig wurden die Rechte von Kulturschaffenden
und Medien gestärkt. Große Plattformen wie You Tube, Facebook und Google müssen künftig zahlen,
wenn sie Inhalte von KünstlerInnen und JournalistInnen verwenden. Nachdem diese Plattformen aber auch stärker
für Urheberrechtsverletzungen ihrer NutzerInnen verantwortlich gemacht werden sollen ist davon auszugehen,
dass die Upload-Filter de facto eingeführt werden.
Strengere Regeln für grenzüberschreitende Kapitalströme
Das Plenum verabschiedete neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung. Die Behörden
sollen verdächtige Finanzströme leichter aufdecken und stoppen können, da Bargeldbewegungen künftig
bereits unter der derzeitigen Schwelle von 10.000 Euro deklariert werden müssen. Bei Verdacht auf kriminelle
Aktivitäten kann Bargeld außerdem vorübergehend beschlagnahmt werden. Eine zweite Richtlinie zur
Verhinderung von Geldwäsche wurde ebenfalls von der Mehrheit der Abgeordneten angenommen.
Kritik an „Amercia first“-Politik
Die Mehrheit der Abgeordneten kritisierte die neue „Amercia first“-Politik der USA unter Präsident Donald
Trump. Es sei sehr bedauerlich, dass sich die Vereinigten Staaten aus wichtigen internationalen Abkommen, wie etwa
dem Pariser Klimaabkommen oder dem Nukleardeal mit dem Iran, sukzessive verabschiedeten. Auch die US-Zölle
auf Stahl und Aluminium stießen auf die Ablehnung des Plenums. Die Abgeordneten forderten die USA dazu auf,
die EU und andere Verbündete vollständig von diesen Maßnahmen auszunehmen. Die WTO sei der beste
Ort, um die Handelsstreitigkeiten beizulegen.
Grünes Licht für Europäisches Solidaritätskorps
Das Plenum sprach sich mit großer Mehrheit für die Einführung des Europäischen Solidaritätskorps
aus. Jugendliche (18-30 Jahre) können fortan (ehrenamtlich) an unionsweiten Solidaritätsprojekten in
den Bereichen Bildung, Gesundheit, Umwelt- und Katastrophenschutz sowie der Integration von MigrantInnen teilnehmen.
Für den Zeitraum 2018-2020 stehen hierfür 375,6 Mio. Euro zur Verfügung.
Weitere Höhepunkte der Sitzungswoche
In seiner letzten Rede zur Lage der Union sprach Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über die großen
Herausforderungen, vor denen die EU aktuelle steht. In der Migrationspolitik forderte er Solidarität von den
Mitgliedstaaten ein. Die europäische Grenz- und Küstenschutzbehörde FRONTEX sowie die europäische
Asylagentur sollen ausgebaut werden. Juncker plädierte überdies für den Zuzug von „qualifizierten
MigrantInnen“ und eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika. In der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheits- sowie der Steuerpolitik der EU wünschte er sich eine Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips,
das derzeit viele Entscheidungen blockiere. Auch die Wirtschafts- und Währungspolitik der EU sowie der Euro
als globale Währung müssten deutlich gestärkt werden. Als eine der größten Herausforderungen
bezeichnete Juncker das Tauziehen zwischen liberalen und illiberalen Kräften in der Union. In diesem Zusammenhang
bezog er klar Position und stellte sich hinter die Einleitung des Rechtsstaatsverfahrens, wenn Mitgliedsstaaten
die Werte der EU über einen längeren Zeitraum hinweg verletzen.
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