Gedankenaustausch zwischen Politikern und ExpertInnen im Parlament
Wien (pk) - Nicht erst seit der Aufhebung der Bundespräsidenten-Stichwahl durch den Verfassungsgerichtshof
(VfGH) im Juli 2016 und der wegen fehlerhafter Briefwahlkuverts später notwendigen Verschiebung der Stichwahl-Wiederholung
wird in Österreich über eine Reform des Wahlrechts diskutiert. Lange Zeit nahmen etwa Vorschläge
zur Einführung eines minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts zur Erleichterung von Regierungsbildungen
in der öffentlichen Debatte einen breiten Raum ein. Auch die Forderung nach einem Ausbau des Persönlichkeitswahlrechts
bzw. einer stärkeren Gewichtung von Vorzugsstimmen wird immer wieder laut. Auf einige organisatorische Mängel
bei der Abwicklung der Bundespräsidentenwahl hat das Parlament zwar unmittelbar nach dem VfGH-Erkenntnis reagiert,
eine angedachte größere Wahlrechtsreform fiel aber den vorgezogenen Nationalratswahlen 2017 zum Opfer.
Nun will Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka den Diskussionsprozess wieder ankurbeln. Zum Auftakt lud er
am Abend des 13. September ExpertInnen und PolitikerInnen zu einem Meinungsaustausch in das Palais Epstein ein.
Wo, wenn nicht im Parlament, solle über das Wahlrecht diskutiert werden, hielt Parlamentsdirektor Harald Dossi
in Vertretung des verhinderten Nationalratspräsidenten bei der Eröffnung der Veranstaltung fest.
Größere Änderungen im Wahlrecht zeichnen sich allerdings, folgt man den Ausführungen der Verfassungssprecher
der Parlamentsparteien, nicht ab. Zumindest auf einige technische Reformen könnte man sich in dieser Legislaturperiode
aber doch einigen, glaubt FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan. Seitens der Oppositionsparteien äußerten
Peter Wittmann (SPÖ), Nikolaus Scherak (NEOS) und Alfred Noll (PILZ) jedenfalls Gesprächsbereitschaft.
Die Initiative müsste allerdings aus dem Parlament kommen, wie der Wahlrechtsexperte des Innenministeriums
Robert Stein betonte. Eher zurückhaltend äußerte sich ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl,
er sieht grundsätzlich keinen großen Reformbedarf.
Innenministerium hat Reihe von Reformvorschlägen gesammelt
An Reformvorschlägen mangelt es jedenfalls nicht. So präsentierte Stein eine ganze Liste von Änderungswünschen,
die an das Innenministerium herangetragen wurde, wobei ein Großteil davon dem Komplex "Wahlkarten und
Briefwahl" zuzuordnen ist. Dazu gehören etwa die Forderung nach einem Vorwahltag zur Eindämmung
der Zahl der Wahlkarten, die Auszählung der Briefwahlstimmen bereits am Wahltag und der frühere Versand
von Wahlkarten. Die Sache ist allerdings nicht so einfach, wie Stein anschaulich schilderte – man müsse jeweils
auch die "Nebenwirkungen" etwaiger Reformschritte berücksichtigen. So stelle sich bei einem Vorwahltag
etwa das Problem der Lagerung und Versiegelung der Wahlurnen, zudem sei es fraglich, ob die Wahlbehörden überall
in beschlussfähiger Zusammensetzung tätig werden können. Etliche Wünsche seien überdies
nur umsetzbar, wenn man gewisse Fristen, etwa die Deadline zur Einbringung von Wahlvorschlägen, vorverlege.
Klar ist für Stein, dass die Initiative für eine Wahlrechtsänderung vom Parlament ausgehen muss.
Diese Vorgangsweise sei auch in der Vergangenheit üblich gewesen. Das Innenministerium stelle gerne seine
Expertise bei der Ausarbeitung konkreter Gesetzestexte zur Verfügung. Wichtig ist dem Ressort jedenfalls,
dass Bestimmungen, die ein Eingangstor für Wahlanfechtungen bieten können, vermieden werden.
OSZE urgiert mehr Transparenz bei Wahlkampffinanzierung
Eine Auswahl der Reformvorschläge des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR)
der OSZE präsentierte Martina Barker-Ciganikova. Die Vorschläge sind das Ergebnis der mittlerweile vierten
Wahlberatungsmission von ODIHR in Österreich anlässlich der Nationalratswahl 2017.
Unter anderem urgiert die OSZE mehr Transparenz bei der Wahlkampffinanzierung und effektive Sanktionen bei Verstößen
gegen die gesetzlichen Vorgaben. Der Rechnungshof habe nur eine eingeschränkte Kontrollmöglichkeit im
Hinblick auf die Finanzgebarung der Parteien, zudem gebe es keine speziellen Berichtspflichten bezüglich der
Wahlkampffinanzierung, kritisierte Barker-Ciganikova. Auch seien die Sanktionen, etwa bei Verstößen
gegen die Wahlkampfkostenobergrenze, wenig abschreckend. Ein Dorn im Auge ist Barker-Ciganikova außerdem,
dass KandidatInnen gleichzeitig Mitglied einer Wahlbehörde sein können, keine Wahlbeobachtung durch zivilgesellschaftliche
Organisationen in Österreich möglich ist und es vor einer Wahl kaum Beschwerdemöglichkeiten für
Betroffene, etwa bei Verweigerung einer Kandidatur, gibt.
Ein wesentliches Anliegen ist der OSZE außerdem eine ausdrückliche Garantie für BürgerInnen,
was den Zugang zu Informationen betrifft. Dass es keine Informationsfreiheit gebe, wirke sich auch auf Teile des
Wahlprozesses negativ aus. So würden Entscheidungen und Protokolle von Wahlbehörden nicht öffentlich
gemacht und Medien der Zugang zu Dokumenten verwehrt. In dieselbe Richtung stieß auch die Kritik von Armin
Rabitsch von der privaten Initiative "wahlbeobachtung.org" – er hält die Abschaffung der Amtsverschwiegenheit
und die Schaffung eines Grundrechts auf Zugang zu Informationen für überfällig.
Rabitsch: Wahlkarten sollen bereits am Wahltag ausgezählt werden
Auch im österreichischen Wahlrecht hält Rabitsch einiges für verbesserungswürdig, wobei er
sich für einen konsultativen und partizipativen Reformprozess stark machte. Österreich befinde sich bei
einem internationalen Demokratieranking zwar im Spitzenfeld, allerdings liege es etwa hinter den skandinavischen
Ländern, Deutschland und der Schweiz, skizzierte er. 37 Empfehlungen der OSZE würden zudem einer Umsetzung
harren.
Konkret sprach sich Rabitsch u.a. dafür aus, die Wahlkarten bereits am Wahltag auszuzählen, auch wenn
das gewisse Einschränkungen für Wahlkarten-WählerInnen mit sich bringe. Zudem plädierte er
dafür, das System der Vorzugsstimmen zu vereinfachen, auch neutrale Personen als Wahlbeisitzer zuzulassen,
die Öffnungszeiten der Wahllokale zu vereinheitlichen und alle Wahlbeisitzer gleich zu entschädigen.
Um die Chancen von Frauen auf den Einzug in den Nationalrat zu erhöhen, kann er sich außerdem positive
Anreize über die staatliche Parteienförderung vorstellen.
Noch vor den Europawahlen im Frühjahr geändert werden müssen Rabitsch zufolge die Bestimmungen zur
Briefwahl. Das derzeit in Verwendung stehende Wahlkuvert ohne Lasche widerspricht seiner Einschätzung nach
der Datenschutzgrundverordnung. Der Wahlrechtsexperte des Innenministeriums Stein teilt diese Rechtsansicht allerdings
nicht.
Gerstl ortet Reihe von Widersprüchen bei Reformvorschlägen
Seitens der Parlamentsparteien dämpfte ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl zu große Erwartungen.
"Zu verbessern gibt es immer etwas", meinte er, viele Reformvorschläge würden aber – bei gleichzeitig
sehr unterschiedlicher Interessenslage – einer Verfassungsmehrheit bedürfen. Außerdem ortet Gerstl eine
Reihe von Widersprüchen bei den Reformwünschen. So könne man nicht gleichzeitig eine Stärkung
des Persönlichkeitswahlrechts fordern und gleichzeitig einen zu niedrigen Frauenanteil im Nationalrat kritisieren.
Eine Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses am Wahltag – inklusive Briefwahlstimmen – würde außerdem
bedeuten, dass die Wahlkarten bereits am Mittwoch bei der Behörde eingelangt sein müssen. Damit würde
man viele Leute von der Wahl ausschließen.
Gerstl machte außerdem geltend, dass der Bericht der OSZE-Wahlberatungsmission weitgehend positiv ausgefallen
sei. So wird unter anderem festgehalten, dass die Nationalratswahl bezeugt habe, dass Österreich über
eine lebendige Demokratie verfüge. Zudem habe die OSZE den Wahlvorgang als effizient bewertet und festgestellt,
dass den Wahlbehörden seitens der Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht werde.
Mit einer Wahlbeteiligung von 80% sei Österreich überdies Vorbild.
Wittmann sieht Wunsch nach mehr Transparenz und Rechtssicherheit
Auch SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann ist mit dem Wahlsystem in Österreich grundsätzlich zufrieden.
Das System sei nicht so schlecht, meinte er. Allerdings brauche es regelmäßig Reformen, da sich der
gesellschaftliche Anspruch verändere. So gebe es heute andere Ansprüche an Transparenz und Rechtssicherheit
als noch vor zehn Jahren. Niemand könne sich etwa gegen den Wunsch verwehren, das endgültige Wahlergebnis
bereits am Wahltag zu erfahren, auch wenn dieser im Spannungsverhältnis zu anderen Anliegen stehe. Auch eine
gewisse Harmonisierung des Wahlrechts auf Bundes- und Landesebene und eine Öffnung der Wahlbehörden für
Zivilpersonen entspricht seiner Ansicht nach dem Zug der Zeit. Nicht teilen wollte Wittmann die Einschätzung,
dass es angesichts der aktuellen politischen Lage schwierig sei, Verfassungsmehrheiten für notwendige Reformen
zu finden.
Stefan will Briefwahl eindämmen und lehnt E-Voting ab
Grundsätzlich zuversichtlich äußerte sich auch FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan. Es sieht
zwar keinen besonderen Zeitdruck, geht aber davon aus, dass es noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird,
einige wahltechnische Reformen zu beschließen, etwa was die Stimmenauszählung und die Abholung von Wahlkarten
betrifft.
Stefan selbst ist es unter anderem ein Anliegen, die Zahl der BriefwählerInnen zu reduzieren. Das könnte
man seiner Meinung nach etwa durch eine persönliche Abholung und Abgabe der Wahlkarte bei der Gemeinde erreichen.
Die meisten der derzeitigen Missstände seien mit der Briefwahl verbunden, zudem habe diese den Nachteil, dass
wichtige Wahlgrundsätze wie die geheime und unbeeinflusste Wahl nicht gewährleistet seien, betonte er.
Skeptisch ist Stefan, was eine stärkere Gewichtung von Vorzugsstimmen betrifft. Es sei nicht immer so, dass
sich der Beste durchsetze, sondern der, der die besten Möglichkeiten habe, sich zu präsentieren, gab
er zu bedenken. Das seien oftmals Männer bzw. Kandidaten mit organisatorischem Hintergrund. Ausdrücklich
abgelehnt wird von ihm auch die Möglichkeit des E-Votings, da die WählerInnen nicht die Möglichkeit
hätten, etwaige Manipulationen zu überprüfen.
Scherak urgiert einheitlichen Beginn der Stimmauszählung
Trotz unterschiedlicher Wahrnehmungen und Vorstellungen könnte man etwas weiterbringen, zeigte sich NEOS-Abgeordneter
Nikolaus Scherak gesprächsbereit. Er vermisst allerdings Initiativen der Regierungsparteien. Seit der Bundespräsidentenwahl
habe sich nicht viel getan.
Inhaltlich schloss sich Scherak etlichen Forderungen der ExpertInnen an, etwa was abschreckende Sanktionen bei
Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze, eine Öffnung der Wahlbehörden für neutrale Wahlbeisitzer
und eine bundeseinheitliche Aufwandsentschädigung für Wahlbeisitzer betrifft. Auch kann er sich mehrere
Vorwahltage vorstellen. Ein einziger Vorwahltag könnte seiner Meinung nach allerdings problematisch sein,
da veröffentlichte Exit-Polls WählerInnen beeinflussen können. Als schwierig umsetzbar sieht Scherak
einheitliche Wahlöffnungszeiten, er plädierte aber für einen einheitlichen Beginn der Stimmauszählung
um 17 Uhr.
Noll fordert Senkung der 4%-Hürde für Einzug in den Nationalrat
Dass das Wahlergebnis schon am Wahltag feststeht, sei ihm persönlich nicht so ein großes Anliegen, hielt
Scherak fest. Auch Alfred Noll (PILZ) hat in dieser Frage eine ähnliche Position. Wichtiger sei eine ordnungsgemäße
Auszählung der Stimmen. Auch in anderen Ländern stehe das Ergebnis erst einige Tage nach der Wahl fest.
Noll sind vor allem zwei Punkte wichtig, wie er erklärte: Eine Halbierung der Wahlkampfkostenobergrenze auf
3,5 Mio. € mit verschärften Sanktionen bei einer Überschreitung sowie eine niedrigere Hürde für
kleine Parteien für den Einzug in den Nationalrat. Die aktuelle Vier-Prozent-Hürde habe dafür gesorgt,
dass die Grünen trotz 192.000 Stimmen nicht im Nationalrat vertreten sind, während für 177.000 abgegebene
Stimmen im Burgendland fünf Mandate und für 104.000 abgegebene Stimmen in Vorarlberg vier Mandate verteilt
wurden, brachte er vor. Hätte es eine Zwei-Prozent-Hürde gegeben, würden die Grünen mit ihrer
Stimmenzahl vermutlich sogar in Klubstärke im Nationalrat vertreten sein.
Noll will außerdem die Stimmauszählung öffentlich machen und Unterstützungserklärungen
für wahlwerbende Parteien erleichtern. Auch sollte es möglich sein, für mehrere Parteien eine Unterstützungserklärung
abzugeben. Zudem outete sich der Abgeordnete als Anhänger der Briefwahl. Die Schweiz zeige, dass diese ohne
Probleme funktionieren könne. Mit FPÖ-Abgeordnetem Harald Stefan teilte er hingegen die Ablehnung von
E-Voting.
In der anschließenden Publikumsdiskussion ging es unter anderem um die Frage, welche Rahmenbedingungen es
brauche, um das Wahlergebnis bereits am Wahltag bekanntgeben zu können. Die Stadt Wien sieht sich jedenfalls
außerstande, die rund 200.000 Wahlkarten schon am Wahlsonntag auszuzählen, wie eine Verantwortliche
berichtete. Auch der Umstand, dass viele Briefwahlstimmen ausgeschieden werden müssen, weil die Unterschrift
auf der Wahlkarte fehlt, war Thema. Ein Behindertenvertreter mahnte Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit
ein.
Keine Antwort von Seiten der Regierungsparteien gab es auf die Frage, ob in nächster Zeit mit Initiativen
betreffend mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung und betreffend ein Informationsfreiheitsgesetz zu rechnen
ist. SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann erwartet beim zweiten Punkt jedenfalls steigenden Druck von außen.
In der letzten Legislaturperiode sei man bei den Verhandlungen über die Abschaffung der Amtsverschwiegenheit
schon sehr weit gewesen, es sei nur noch um "Kleinigkeiten" gegangen, sagte er.
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