EU-Kommissar Moscovici und Staatssekretär Fuchs fordern gemeinsame Lösungen bei Digitalwirtschaft
und Körperschaftssteuer
Wien (pk) - Das Thema Steuerflucht leitete am 18. September den zweiten Tag der Interparlamentarischen Fiskalpaktkonferenz
im Austria Center Vienna ein, bei der sich ParlamentarierInnen aus den EU-Staaten Fragen der Stabilität, der
wirtschaftspolitischen Koordinierung und der Steuerung in der Union widmeten. Pierre Moscovici, der für Wirtschafts-
und Finanzangelegenheiten, Steuerung und Zoll zuständige EU-Kommissar, und Staatssekretär Hubert Fuchs
plädierten in ihren Einleitungsstatements für steuerpolitische Fairness und sahen insbesondere auch Handlungsbedarf
bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft und bei der Einführung eines gemeinsamen Körperschaftssteuermodells.
Hans Michelbach betonte als stellvertretender Vorsitzender der Konferenz, Europa müsse sich gemeinsam dem
Problem der Steuerflucht stellen.
Moscovici fordert faire und gerechte Steuersysteme
"Unser gemeinsames Ziel ist steuerpolitische Fairness", schickte Pierre Moscovici voraus. Jeder Steuerpflichtige
müsse die richtigen Steuerbeträge am richtigen Ort abführen, und zwar am Ort der Wertschöpfung
und der Ertragserzielung, stellte er klar. Man habe in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament
und mit den einzelnen Mitgliedsstaaten schon einiges erreicht. So sei etwa ein Rahmen für Steuertransparenz
im Sinne eines umfassenden Austauschs von Steuerdaten eingeführt worden. Darüber hinaus gibt es, wie
der EU-Kommissar erinnerte, mehrere Richtlinien, die explizit auf die Verhinderung von Steuervermeidung sowie Formen
der aggressiven Steuerplanung abzielen. Große Bedeutung misst Moscovici auch der schwarzen Liste jener nicht
kooperativer Staaten bei, die ihren Verpflichtungen zur Verbesserung der Steuersysteme nicht nachkommen.
Was zusätzliche Vorhaben der Union angeht, nannte Moscovici eine grundlegende Reform des Mehrwertsteuersystems
zum Zweck der Vermeidung des so genannten Karussell-Betrugs. Geplant ist auch eine Körperschaftssteuerreform,
die sicherstellen soll, dass Gewinne multinationaler Konzerne einem einheitlichen System unterliegen. Handlungsbedarf
ortet Moscovici zudem bei der digitalen Besteuerung, wo nun die Einführung eines Konzepts der digitalen Niederlassung
im Raum steht. Es gehe nicht an, dass Konzerne ihre Gewinne nicht versteuern. Der EU-Kommissar kündigte schließlich
auch einen Vorschlag für den Übergang zur qualifizierten Mehrheit im Bereich von Steuerfragen an und
appellierte insgesamt an die ParlamentarierInnen, ihren Einfluss zu nutzen, um den Vorschlägen der Union zum
Durchbruch zu verhelfen.
Fuchs: Gewinne dort versteuern, wo sie erwirtschaftet wurden
Auch Staatssekretär Hubert Fuchs brach eine Lanze für gerechte und effiziente Besteuerung und meinte
übereinstimmend mit Moscovici, Großkonzerne sollten ihre Gewinne dort versteuern, wo diese erwirtschaftet
wurden, und nicht dort, wo der Steuersatz am niedrigsten ist. Der Staatssekretär erinnerte, dass allein Österreich
durch Steuerbetrug und Steuerflucht jährlich rund eine Milliarde Euro verliert, und forderte faire Ausgangsbedingungen
für alle. Mit dem automatischen Austausch von Finanzdaten, der länderbezogenen Berichterstattung, der
Nichtabschreibbarkeit von Zinsen und Lizenzgebühren oder etwa dem Register der wirtschaftlichen Eigentümer
seien bereits erste wichtige Schritte gesetzt worden.
Handlungsbedarf sieht Fuchs nun aber vor allem bei der digitalen Wirtschaft, wo es seiner Meinung nach gilt, eine
gemeinsame europäische und in weiterer Folge globale Lösung zu finden, dies etwa durch die Einführung
der digitalen Betriebsstätte. Wichtig ist für Fuchs auch eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage,
die es erleichtern würde, gegen ungerechten Steuerwettbewerb vorzugehen. Von der schwarzen Liste der nicht
kooperativen Länder wiederum erwartet sich der Staatssekretär nicht nur einen Dialog mit Drittländern,
sondern auch eine stärkere Abschreckungswirkung auf jene Staaten, die sich nicht an die Regeln halten.
Michelbach: Europa muss sich dem Thema Steuerflucht gemeinsam stellen
Hans Michelbach begrüßte es, dass der österreichische Ratsvorsitz das Thema der Steuervermeidung
zur Priorität erklärt hat, und stellte pointiert fest, manche EU-Staaten hätten sich durch eine
besondere "Willkommenskultur" in Bezug auf Steuerflucht und Gewinnverlagerung ausgezeichnet. Klar ist
für den stellvertretenden Vorsitzenden der Konferenz, dass jeder nach seinem Leistungsvermögen zur Finanzierung
der Union beitragen sollte. Steuerflucht sei ein Anschlag auf den Zusammenhalt der EU und führe überdies
zu Wettbewerbsverzerrung zum Schaden des Mittelstands und der kleinen, lokal ansässigen Unternehmen. Europa
müsse sich dem Problem gemeinsam stellen, unterstrich er und drängte insbesondere auf eine Regelung für
die Besteuerung der großen Internet-Konzerne, forderte eine gemeinsame Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer
und schlug eine Evaluierung der bisher beschlossenen Maßnahmen zur Vermeidung der Steuerflucht vor.
Auch Abgeordnete für harmonisierte Steuersysteme
In der anschließenden Debatte herrschte Einigkeit über die Dringlichkeit von Lösungen im Bereich
der Digitalbesteuerung sowie bei der Harmonisierung der Körperschaftsbesteuerung. Anliegen der ParlamentarierInnen
waren auch der Kampf gegen Steueroasen sowie die Verschärfung des Tempos bei der Finanztransaktionssteuer.
Hoher Stellenwert wurde zudem dem Informationsaustausch über Steuerdaten, den länderspezifischen Berichten
und der Liste der nicht kooperativen Staaten eingeräumt. Insgesamt gelte es, Steuerschlupflöcher zu schließen
und harmonisierte Steuersysteme in Europa zu schaffen, lautete der gemeinsame Tenor der Diskussion.
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Der digitale Wandel stellt das europäische Sozialmodell auf die Probe
Die Digitalisierung hat bereits weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Beschäftigung
und wird auch weiterhin Europa vor große Herausforderungen stellen. Wie diese bewältigen werden können,
war Thema der vierten Session der zweitägigen Fiskalpaktkonferenz im Rahmen der Parlamentarischen Dimension
des EU-Ratsvorsitzes. Die VertreterInnen der Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten debattierten über Strategien,
wie negative Auswirkungen der Digitalisierung vermieden und die sich aus ihr ergebenden Chancen genützt werden
können. Eine gemeinsame Anstrengung sei notwendig, um das europäische Sozialmodell für die Zukunft
zu rüsten, so der Grundtenor.
Milena Angelova: Bildung braucht einen Paradigmenwechsel
"Die Zukunft hat bereits begonnen" betonte die Vizepräsidentin des Wirtschafts- und Sozialausschusses
der EU Milena Angelova in ihrem Einleitungsstatement. Die Digitalisierung verändere die Arbeitswelt rasch
und grundlegend. Diesen Wandel gelte es, gemeinsam zu bewältigen. Digitalisierung und Automatisieren vernichten
Jobs, sie schaffen aber auch neue und verändern viele Berufsbilder grundlegend. Die Mitgliedsstaaten, die
Sozialpartner und die EU-Institutionen sind daher gefragt, um diese Transformation im Sinne der arbeitenden Menschen
zu lenken.
Die Digitalisierung und Automatisierung wirken sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Arbeitsplätze mit geringer
und hoher Entlohnung nehmen zu, konstatierte Angelova, während das mittlere Segment verliert. Die Digitalisierung
könne für ArbeitnehmerInnen neue Freiheiten und Chancen bringen, sie könne aber auch geringere Arbeitsplatzqualität,
fragmentierte Karriereverläufe und weniger sozialen Schutz bedeuten. Daher gelte es, die Tarifverhandlungspraxis
an die Änderungen der Berufswelt anzupassen.
Des Weiteren sieht Angelova die Notwendigkeit, Bildung und Fortbildung an die digitale Wirklichkeit anzupassen.
Ein zunehmendes Ungleichgewicht zeige sich bereits jetzt daran, dass viele Menschen Arbeit suchen und gleichzeitig
Arbeitgeber nur schwer qualifizierte Arbeitskräfte finden. Zur selben Zeit würden aber bestehende Qualifikationen
nicht ausreichend genützt.
Ein Paradigmenwechsel in der Bildung sei daher unumgänglich, konstatierte Angelova. Sie forderte eine Qualifikationsoffensive,
die niemanden zurücklassen dürfe. Das Bildungssystem müsse Beschäftigung und Bildung miteinander
verbinden und ein lebenslanges Lernen ermöglichen. Statt dem früheren Auswendiglernen von Informationen
ist es zunehmend wichtiger geworden, Soft Skills zu fördern, wie Problemlösungsfähigkeit, Denken
in Zusammenhängen und kritische Urteilsfähigkeit.
Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU befasse sich intensiv mit der Frage, wie die Chancen der Digitalisierung
am besten genützt werden können. Fest steht für Angelova, dass das europäische Sozialmodell
bewahrt bleiben und die Digitalisierung sein weiteres Funktionieren ermöglichen müsse. Daher gelte es,
den Menschen stets in den Mittelpunkt zu stellen. Grundsätzlich verfügten die EU und ihre Mitgliedsstaaten
bereits über das notwendige Instrumentarium, um die relevanten politischen Entscheidungen zu treffen.
MEP Rodrigues: Sozialsystem für alle ist finanzierbar
In einem Impulsreferat wies das Mitglied des Europäischen Parlaments Maria João Rodrigues darauf hin,
dass der digitale Wandel bereits alle Lebensbereiche erfasst. Produktion und Versorgungsketten werden immer stärker
von künstlicher Intelligenz bestimmt. Die Arbeitswelt verändere sich dadurch massiv, etwa durch digitale
Plattformen, die neue, atypische Beschäftigungsverhältnisse erzeugen. Das führe dazu, dass immer
mehr Menschen ohne entsprechende arbeitsrechtliche und soziale Absicherung bleiben, warnte Rodrigues. Europa müsse
sich diesen Herausforderungen stellen. "Ein Europa, das schützt", wie es das das Motto der Ratspräsidentschaft
sei, umfasse auch den sozialen Schutz. Man dürfe nicht zulassen, dass durch eine digitalisierte Arbeitswelt
ein Teil der Beschäftigten aus dem Sozialsystem fällt.
An Antworten werde bereits gearbeitet, sagte die Europaabgeordnete. Die EU-Kommission erarbeite derzeit einen Vorschlag
für eine neue Richtlinie zum Arbeitsrecht. Die Antwort auf die Frage, wie ein umfassender sozialer Schutz
für das 21. Jahrhundert finanziert werden könne, ist ihrer Ansicht nach in Änderungen der Steuersysteme
zu suchen. Rodrigues sprach sich klar für eine Digitalsteuer aus. Sie sei überzeugt, dass ein Sozialsystem
für alle finanzierbar ist, wenn die großen Player ihren Beitrag leisten, sagte sie in diesem Zusammenhang.
Entstehen einer digitalen Kluft soll vermieden werden
Konsens herrschte unter den Abgeordneten darüber, dass bereits weitreichende Veränderungen der Arbeitswelt
und des Arbeitsmarktes durch Digitalisierung, Robotik und Artificial Intelligence im Gange sind. Auswirkungen zeigen
sich in einer immer flexibleren Arbeitszeitgestaltung sowie in der Zunahme atypischer Beschäftigungsformen
und von Teilzeitarbeit. Übereinstimmung herrschte auch, dass diese Entwicklung neue politische Strategien
erforderlich macht.
Eine wesentliche Frage für die Abgeordneten ist, wie die Sozial- und Pensionssysteme nachhaltig abgesichert
werden können. Die Digitalisierung dürfe nicht reiner Selbstzweck sein, sondern müsse auch die Rechte
der ArbeitnehmerInnen und den Zugang zum Sozialsystem für alle sicherstellen, wurde von verschiedener Seite
geäußert. Einige Abgeordnete wiesen auf Risiken der Digitalisierung hin, etwa einen ungleichen Zugang
zu digitalen Ressourcen, die Aushöhlung der sozialen Rechte der ArbeitnehmerInnen und eine Verschlechterung
von Arbeitsbedingungen.
Konsens herrschte darüber, dass alle gesellschaftlichen Kräfte, nicht nur die Politik, gefordert sind,
um die Chancen der Digitalisierung zu nützen und die negativen Auswirkungen abzufedern. Die Sozialpartnerschaft
sei daher weiterhin gefragt, wurde mehrfach geäußert. Allgemeiner Tenor war auch, dass die Bildungssysteme
in die Lage versetzt werden müssen, jungen Menschen die notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln, um in einer
digitalisierten Arbeitswelt bestehen zu können. Lebenslanges Lernen sei ein Teil der Antwort.
Eine Spaltung der Gesellschaft und die Entstehung einer digitalen Kluft müsse jedenfalls verhindert werden,
sei es, wenn es um den Zugang zu Bildung, um die Versorgung ländlicher Regionen oder um Chancengerechtigkeit
zwischen den Generationen und zwischen den Geschlechtern gehe, wie mehrere ParlamentarierInnen anmerkten.
Vorsitzender Karlheinz Kopf dankte abschließend den TeilnehmerInnen der Konferenz für die spannende,
disziplinierte und konstruktive Debatte. Es zeige sich, dass man auch bei sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen
gemeinsame Lösungsansätze finden könne.
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Fiskalpaktkonferenz fordert Nachhaltigkeit und Fairness bei Budget und Steuern
Die Implementierung eines fiskalpolitischen Rahmens, Innovation und Bildung als Treiber für ein wettbewerbsfähiges
Europa, der Kampf gegen Steuerflucht sowie die Herausforderung der Digitalisierung waren die vier zentralen Themen
der Fiskalpaktkonferenz. Im Zentrum der Diskussionen standen dabei die Forderungen nach einer nachhaltigen Budgetpolitik,
einer Vertiefung des digitalen Binnenmarkts und insgesamt mehr Fairness in den europäischen Steuersystemen.
Kopf warnt vor Protektionismus, Schramböck will digitalen Binnenmarkt vertiefen
Karlheinz Kopf, der als Obmann des Finanzausschusses des Nationalrats die Konferenz leitete, plädierte in
seinen Begrüßungsworten für offene Märkte und äußerte sich kritisch zu den aktuellen
protektionistischen Tendenzen mancher Staaten. Zudem sprach er sich für Fairness in Steuerfragen aus und meinte,
kein EU-Land könne diese Aufgabe alleine bewältigen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck
wiederum unterstrich die Notwendigkeit von Innovation und Digitalisierung und trat für eine weitere Vertiefung
des digitalen Binnenmarkts und eine Reindustrialisierung Europas ein.
Thygesen und Haber für klare, aber flexible Fiskalregeln
Bei der Diskussion über den fiskalpolitischen Rahmen der EU rief Niels Thygesen, der Vorsitzende des Europäischen
Fiskalausschusses, dazu auf, die derzeit gute Konjunktur als Zeitfenster für eine nachhaltige Haushaltspolitik
zu nutzen. Er forderte ebenso wie der Vorsitzende des österreichischen Fiskalrats, Gottfried Haber, klare,
aber zugleich flexible Regeln, die den einzelnen Staaten notwendige Spielräume für zyklische Korrekturen
bieten. Der österreichische EP-Mandatar Othmar Karas urgierte einen weiteren Ausbau des Europäischen
Semesters, um die Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der einzelnen Staaten besser zu koordinieren.
Tsanova: Europa muss Innovation und Bildung forcieren
Dass ein wettbewerbsfähiges Europa Investment, Innovation und Bildung braucht, machte Ilyana Tsanova, die
stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Europäischen Fonds für strategische Investitionen
deutlich, die vor allem die Finanzierung neuer, innovativer Unternehmen als große Herausforderung sah. EP-Abgeordneter
Nils Torvalds sprach in seinem Statement von einer Investitionslücke in Europa und rief zu einem Ausgleich
zwischen begünstigten und benachteiligten Regionen auf.
Moscovici und Fuchs drängen auf Fairness im Steuersystem
Die Debatte über die Bekämpfung der Steuerflucht war vom Ruf des EU-Kommissars Pierre Moscovici nach
gerechten und fairen Steuersystemen geprägt, dem sich auch Staatssekretär Hubert Fuchs anschloss. Beide
Referenten drängten auf gemeinsame Lösungen etwa bei der Digitalsteuer und bei der Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage
und meinten, Gewinne der Konzerne sollten dort versteuert werden, wo sie auch tatsächlich erwirtschaftet wurden.
Für den stellvertretenden Vorsitzenden der Konferenz, Hans Michelbach, stand fest, dass Europa die Herausforderungen
nur gemeinsam lösen werden kann.
Angelova: Digitalisierung zwingt Bildung zu Paradigmenwechsel
Einen Paradigmenwechsel in der Bildung als Antwort auf die Digitalisierung verlangte schließlich die Vizepräsidentin
des Wirtschafts- und Sozialausschusses der EU, Milena Angelova, die sich vor allem für eine Qualifikationsoffensive,
die niemanden zurücklasse, aussprach. Man dürfe nicht zulassen, dass durch die digitalisierte Arbeitswelt
ein Teil der Beschäftigten aus dem Sozialsystem fällt, gab die EP-Abgeordnete Maria Joao Rodrigues in
ihrem Impulsreferat zu bedenken.
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