EU-Hauptausschuss vor dem informellen Gipfel in Salzburg
Brüssel/Salzburg/Wien (pk) - Der bevorstehende Brexit und Maßnahmen zur Bekämpfung der Migrationsproblematik
standen einmal mehr im Mittelpunkt des EU-Hauptausschusses , der am Abend des 18. September im Vorfeld des informellen
Gipfels der Staats- und Regierungschefs der EU in Salzburg stattfand. Da es sich um einen informellen Gipfel handelt,
werden keine Beschlüsse gefasst. Bundeskanzler Sebastian Kurz erwartet sich dennoch, dass die Beratungen dazu
beitragen werden, wesentliche Entscheidungen für den Herbst vorbereiten zu können. Der Bundeskanzler
sieht den österreichischen Ratsvorsitz als eine große Chance für Österreich und hofft, dass
man Gräben in der Union werde schließen können.
Die Regierungsparteien bewerteten den bisherigen Ratsvorsitz durchaus positiv. Der Bundesregierung sei ein Agenda-Setting
gelungen, sagte etwa Abgeordneter Reinhold Lopatka (ÖVP) im Hinblick auf die vorliegende Agenda der EU-Führungsspitzen
"Unsere Zukunft gemeinsam gestalten". Gerade was die Migrationspolitik betrifft, gebe es nun europaweit
ein Umdenken. Während man früher lediglich Diskussionen über die Verteilung von Flüchtlingen
diskutiert habe, werde nun viel breiter gedacht. Die Themensetzung sei richtig, stellte Lopatka fest, man merke,
dass das Motto "Ein Europa, das schützt" an Kontur gewinnt. Ähnlich Reinhard Eugen Bösch
und Hannes Amesbauer (beide FPÖ), die meinten, die Bundesregierung habe schon viele bemerkenswerte Akzente
setzen können, die zukunftsweisend sind. Bösch erinnerte auch an die Rede von EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker, der klare Vorschläge zur Sicherung der Außengrenzen gemacht habe.
Kurz: Breiterer Ansatz in der Migrationspolitik anstelle der Verteilungsdebatte
Auch der Bundeskanzler begrüßte den nun wesentlich breiteren Ansatz in der europäischen Migrationspolitik,
denn über die Verteilungsdebatte allein werde man das Problem nicht lösen, meinte er. Er wolle ein Europa
ohne Grenzen nach innen - Voraussetzung dafür seien aber funktionierende Außengrenzen. In diesem Sinne
unterstützt er die Vorschläge Junckers zur Ausweitung des Mandats für FRONTEX und die Aufstockung
auf 10.000 MitarbeiterInnen bis 2020. Er hofft zudem auf eine engere Kooperation mit Transitländern und zeigte
sich durchaus zuversichtlich, dass es gelingen kann, diese Länder als Partner zu gewinnen. Das geplante Afrikaforum
diene dem wirtschaftlichen Austausch mit dem Kontinent neben der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit. Es
gebe einen Wunsch nach einem Neuanfang, unterstrich auch Außenministerin Karin Kneissl.
Was die Bemühungen hinsichtlich eines einheitlichen Asylrechts in Europa betrifft, so dämpfte der Kanzler
die Erwartungen. Hier gebe es nur wenige Fortschritte, konstatierte er. Kurz ging damit auf Wortmeldungen der Abgeordneten
Reinhold Lopatka (ÖVP), Dagmar Belakowitsch (FPÖ), Claudia Gamon (NEOS) und Bruno Rossmann (PILZ) ein.
Rossmann hielt zwar die Stärkung von FRONTEX als einen Schritt in die richtige Richtung, seiner Meinung nach
müssten aber weitere folgen. So sieht er die Notwendigkeit, das Dublin-System zu überarbeiten, ein gemeinsames
Asylsystem zu etablieren sowie eine glaubwürdige Ursachenbekämpfung der Migration und eine geänderte
Handelspolitik einzuleiten.
Ratsvorsitz hofft, harten Brexit vermeiden zu können
Die Brexit-Verhandlungen gestalten sich laut Bundeskanzler Kurz schwierig, dennoch hoffe man, dass man im Herbst
einen Deal werde erzielen können. Jedenfalls werde die britische Premierministerin Theresa May in Salzburg
die Möglichkeit haben, ihre Position darzulegen. Man versuche, einen harten Brexit zu vermeiden, betonte der
Bundeskanzler gegenüber Bruno Rossmann (PILZ), Muna Duzdar (SPÖ) und Reinhold Lopatka (ÖVP). In
jedem Fall bedeute der Brexit einen volkswirtschaftlichen Schaden, der jedoch in Österreich geringer ausfallen
werde als in anderen Staaten. Er würde sich wünschen, dass der Brexit nicht stattfindet. Ob die in der
Öffentlichkeit kursierende Möglichkeit eines weiteren Referendums besteht, liege nicht in der Entscheidungskompetenz
der EU, sagte Kurz.
Kneissl: Anfrage wegen Ungarn-Abstimmung im EU-Parlament war eine rein juristische
Der Abgeordnete der Liste Pilz, Bruno Rossmann, griff auch stark den Bundeskanzler und die Außenministerin
in der Frage Ungarn an. Das EU-Parlament hat kürzlich mit großer Mehrheit für die Einleitung eines
Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gestimmt. Rossmann findet es in diesem Zusammenhang "ungeheuerlich",
dass Kneissl den juristischen Dienst des Rates mit der Prüfung des Abstimmungsergebnisses im EU-Parlament
befasst hat. Diese antieuropäische Haltung, wie Rossmann es betonte, stimme nicht mit der vom Bundeskanzler
immer wieder vorgetragenen proeuropäischen Haltung überein. Dem entgegnete die Außenministerin,
dass es sich dabei nicht um die Frage der Rechtmäßigkeit gehandelt habe, sondern um eine juristische
Routinefrage. Im Falle der Entscheidung des europäischen Parlaments habe man es mit einem Präzedenzfall
zu tun, daher sei es notwendig zu klären, welche Auswirkungen das auf den Ratsvorsitz hat und wie das juristisch
zu handhaben ist. Für eine solche Routinefrage habe sie auch keine Abstimmung mit dem Bundeskanzler gebraucht.
Kurz selbst sieht das Votum im EU-Parlament nicht als eine Verurteilung, sondern als eine politische Entscheidung,
den Weg des Dialogs zwischen der EU-Kommission und Ungarn zu starten.
Und noch einmal Financial Times
Einen Schlagabtausch zwischen Rossmann und Kurz gab es auch, nachdem der Pilz-Abgeordnete abermals die Angelegenheit
in Bezug auf einen Artikel in der Financial Times zur Sprache gebracht hatte, in dem der Bundeskanzler als "far
right chancellor" genannt wurde. Im letzten EU-Ausschuss hatte Kurz damals betont, dass man sich dafür
bei ihm entschuldigt und den Artikel abgeändert habe. Dies stellte Rossmann in Abrede, indem er ein Email
des Autors zitierte, wonach sich dieser keineswegs entschuldigt habe. Bundeskanzler Kurz bekräftigte seine
Darstellung und betonte, er habe mit dem Chefredakteur gesprochen, worauf der Artikel online rasch geändert
worden sei, weil man erkannt habe, dass diese Einschätzung seiner Person falsch gewesen sei. Man habe sich
auch bei ihm entschuldigt. In der Print-Ausgabe hätten selbstverständlich keine Änderungen vorgenommen
werden können.
Thema im Ausschuss war auch der Krisenherd Naher Osten und insbesondere Syrien. Außenministerin Karin Kneissl
unterstrich in diesem Zusammenhang vor allem die Notwendigkeit der humanitären Hilfe beim Wiederaufbau. Im
Außenministerrat habe es dazu auch substanzielle Beratungen gegeben.
Angesprochen von Susanne Fürst (FPÖ) auf seine Reise in die sogenannten Tigerstaaten Asiens sagte Bundeskanzler
Kurz, diese Länder hätten eine enorme Entwicklung hinter sich und daraus könne man lernen. So werde
dort der Fokus auf Bildung insbesondere im technischen Bereich gelegt. Man spüre auch eine massive Freude
an der Innovation und die Entscheidungsgeschwindigkeit sei eine andere als in Europa.
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