Schuld, Versöhnung, Migration unter den Schwerpunkten
Basel/Wien (epdÖ) – Zum ersten Mal haben die evangelischen Kirchen in Europa ein gemeinsames „Friedenspapier“
veröffentlicht. Unter dem Motto „Miteinander in Europa“ erinnern sie an das Ende des I. Weltkrieges vor 100
Jahren und sein schweres Erbe. Mit dem selbstkritisch-kritischen Rückblick wollen die Kirchen zum Aufbau gerechter
Strukturen beitragen. „Angesichts der verheerenden und langfristigen Auswirkungen des Krieges wissen die Kirchen
um die Bedeutung des Einsatzes für den Frieden und der zivilen Konfliktprävention“, heißt es in
dem von der 8. Vollversammlung der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in Basel verabschiedeten
Dokument.
„Territoriale Veränderungen und Grenzziehungen, zerfallende multiethnische Großreiche und neu entstehende
Staaten hätten in Europa und im Nahen Osten zu neuen Ungerechtigkeiten und Verwerfungen geführt – mit
bis heute erheblichen Auswirkungen, heißt es in dem Papier. Durch die Friedensschlüsse vor 100 Jahren
sei kein Frieden entstanden. In dem Dokument geht es um Schuld, Versöhnung, Flucht, Migration, Minderheiten
sowie Demokratie und Zivilgesellschaft.
Den Kirchen ist bewusst, dass „die weltpolitische Situation heute eine sehr andere als vor 100 Jahren ist“. Sie
sehen jedoch im Blick auf den Ersten Weltkrieg Fragen und Herausforderungen, „die in den vergangenen 100 Jahren
immer wieder hervortraten, aber kaum bewältigt wurden“. Die Folgen des Krieges seien in manchen Ländern
bis heute unterschwellig und indirekt gegenwärtig, heißt es.
Beim Schuldthema wird selbstkritisch gefragt, wo Kirchen die Begeisterung für den Krieg unkritisch betrachtet
oder sie gar unterstützt und mit entfacht haben; oder wo sie so sehr dem Zeitgeist verhaftet waren, dass sie
ein politisches System weltanschaulich-theologisch legitimierten.
Flucht und Migration nach dem Ersten Weltkrieg mit bis zu 9,5 Millionen aus- und umgesiedelten Menschen werden
genauso als epochales Ereignis gesehen wie die derzeitige „Zuwanderung von Flüchtlingen“ in Europa. Gefordert
wird „eine gemeinsame europäische, an den Werten der Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen ausgerichtete
Politik“. Und wer Migration verhindern wolle, komme „um die Frage nicht herum, wie unsere europäische Wirtschafts-,
Handels- und Agrarpolitik heute Migration aus anderen Erdteilen und Regionen nach Europa mit verursacht“.
Die Kirchen werden gebeten, die Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung lebendig zu halten und für Demokratie
und Rechtstaatlichkeit und deren Stärkung auf allen staatlichen Ebenen einzutreten. Zum Jahrestag des Kriegsendes
am 11. November wird den evangelischen Kirchen in Europa geeignetes liturgisches Material zur Verfügung gestellt.
Noch bis 18. September tagt die Vollversammlung der seit 1973 bestehenden Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in
Europa (GEKE) in Basel. Ihr gehören über lutherische, methodistische, reformierte und unierte Kirchen
aus über 30 Ländern Europas und Südamerikas an. Die GEKE vertritt damit insgesamt rund 50 Millionen
ProtestantInnen. Die Vollversammlung bestimmt etwa alle sechs Jahre die Grundlinien der Arbeit. Der 13-köpfige
Rat, geführt durch ein dreiköpfiges Präsidium, leitet zwischen den Vollversammlungen die Arbeit,
die von der Geschäftsstelle in Wien koordiniert wird.
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