800-jährige Baugeschichte der Wiener Hofburg erforscht
Wien (öaw) - Mit dem Erscheinen des Bandes „Die Wiener Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier“
im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde ein geisteswissenschaftliches Großprojekt
erfolgreich abgeschlossen. Die Entwicklung des denkmalgeschützten Gebäudekomplexes, von seinen Ursprüngen
als mittelalterliche Kastellburg bis zur Umwandlung in ein modernes Zentrum des öffentlichen Lebens, ist damit
so umfassend erforscht wie nur wenige andere Residenzen weltweit.
In einem der größten geisteswissenschaftlichen Forschungsprojekte der Zweiten Republik widmeten sich
seit 2005 rund 40 Wissenschaftler/innen unterschiedlichster Institutionen und Disziplinen unter der Federführung
des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
(ÖAW) der knapp 800-jährigen (bau-)historischen Vergangenheit der Wiener Hofburg.
Mit modernsten wissenschaftlichen Methoden förderten sie Neues zur mittelalterlichen Entstehung der Residenz
als rechteckige Kastellburg mit vier Ecktürmen im 13. Jahrhundert ebenso zutage, wie zu längst vergessenen
Nutzungsformen, kühnen Bauprojekten – wie dem nie zur Gänze verwirklichten „Kaiserforum“ – und dynastisch-baupolitischen
Ambitionen der Habsburger, die der Hofburg mit ihren heute 18 Trakten, 19 Höfen und 2.600 Räumen ihr
Gesicht verliehen.
Die Erkenntnisse der Untersuchungen werden Wissenschaft und Öffentlichkeit seit 2012 in der im Verlag der
ÖAW publizierten Reihe „Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg“ präsentiert.
Historische Ansichten, Baupläne, Fotos und virtuelle 3D-Rekonstruktionen veranschaulichen in fünf Bänden
auf insgesamt rund 3.000 Seiten die Entwicklung dieser Bauanlage, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert als
Regierungssitz der Herzöge und Erzherzöge von Österreich, der römisch-deutschen Könige
und Kaiser sowie der Kaiser von Österreich im Zentrum der europäischen Politik stand.
Brücke in die Gegenwart
Der nun im Verlag der ÖAW neu erschienene fünfte und letzte Band der Reihe, „Die Wiener Hofburg seit
1918. Von der Residenz zum Museumsquartier“ herausgegeben von der Kunsthistorikerin Maria Welzig, schlägt
die Brücke zur Gegenwart und zeigt, wie die Hofburg auch nach dem Ende ihrer Funktion als habsburgischer Herrschaftssitz
mit ihren zahlreichen Gebäudeteilen, Plätzen und Parks weiterhin ein zentraler Schauplatz der politischen
und kulturellen Entwicklungen Österreichs blieb.
Die Suche nach neuen und großteils nicht realisierten Funktionen für den unvollendeten Gebäudekomplex
in der Ersten Republik, etwa als „Volkspalast“, als „Vergnügungsetablissement“ oder als Kunst- und Kulturzentrum
wird ebenso analysiert wie die Versuche politischer Anknüpfungen an die Zeit der Habsburger durch den Austrofaschismus
oder die Vereinnahmung der Hofburg und ihrer Geschichte durch das NS-Regime zur propagandistischen Machtdemonstration,
die sich unter anderem mit der Rede Adolf Hitlers am 15. März 1938 vom Balkon der Neuen Burg im kollektiven
Gedächtnis verankert hat.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges besann sich die Zweite Republik auf alte Traditionen, indem der Sitz des Bundespräsidenten
im Leopoldinischen Trakt eingerichtet wurde, der seit dem 18. Jahrhundert auch als der „Regierende Trakt“ bezeichnet
wurde. Im Fokus der weiteren Betrachtungen des Bandes stehen kulturgeschichtliche Fragestellungen, wie „Die Hofburg
als Schauplatz in Film und Literatur“, „Die Hofburg als Sinnbild Österreichs?“ oder „Die Hofburg im kulturgeschichtlichen
Spiegel der Spanischen Hofreitschule“. Beleuchtet wird zudem die Entwicklung des Hofburg-Areals zu einem der bedeutendsten
Kulturbezirke des Landes mit der Schaffung des Museumsquartiers in den ehemaligen Hofstallungen.
Maßstab für die Residenzforschung
Die Publikation des letzten Bandes im Jahr des Republikjubiläums Österreichs markiert zugleich den Abschluss
des an der ÖAW durchgeführten Großprojektes. Gefördert unter anderem durch zehn vom Wissenschaftsfonds
FWF finanzierte Einzelprojekte gelang es, das Wissen über die Hofburg so substanziell zu verbessern, dass
das frühere habsburgische Herrschaftszentrum inzwischen als eine der besterforschten Residenzen weltweit gilt.
Ermöglicht wurde das nicht zuletzt dank der engen Zusammenarbeit mit zahlreichen österreichischen Forschungs-
und Kultureinrichtungen, der starken Vernetzung in der internationalen Residenzforschung und interdisziplinärer
Kooperationen, an denen sich Kunsthistoriker/innen und Bauarchäolog/innen ebenso beteiligten wie Historiker/innen,
Theaterwissenschaftler/innen, Kulturwissenschaftler/innen und Digitalisierungsexperten. Ein Bild von den neusten
Ergebnissen der Grundlagenforschung zur Hofburg und von der bewegten Geschichte dieses baulichen Denkmals können
sich interessierte Leser/innen nun auch selbst machen.
Fünf Hofburg-Bände vom Mittelalter bis in die Gegenwart
- Die Wiener Hofburg im Mittelalter. Von der Kastellburg bis
zu den Anfängen der Kaiserresidenz. Hg. von Mario Schwarz, Wien: Verlag der ÖAW, 2015
- Die Wiener Hofburg 1521–1705. Baugeschichte, Funktion und
Etablierung als Kaiserresidenz. Hg. von Herbert Karner, Wien: Verlag der ÖAW, 2014
- Die Wiener Hofburg 1705–1835. Die kaiserliche Residenz vom
Barock bis zum Klassizismus. Hg. von Hellmut Lorenz und Anna Mader-Kratky, Wien: Verlag der ÖAW, 2016
- Die Wiener Hofburg 1835–1918. Der Ausbau der Residenz vom
Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“. Hg. von Werner Telesko, Wien: Verlag der ÖAW, 2012
- Die Wiener Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier.
Hg. von Maria Welzig, Wien: Verlag der ÖAW, 2018
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