Klimawandel fördert Ausbreitung höherwüchsiger Pflanzen in der Arktis
Leipzig/Wien (universität) - Niedrige Gräser und Zwergsträucher bestimmen die Vegetation
der arktischen Tundra. Doch das könnte sich in Zukunft ändern. Mit der Klimaerwärmung sinken die
Selektionsvorteile der bisherigen Strategie dieser Pflanzen, sich an den Boden zu pressen um die wärmere bodennahe
Luftschicht zu nutzen und sich vor kalten Winden zu schützen. Ein großes internationales WissenschafterInnen-Team
unter Beteiligung von BiologInnen der Universität Wien fand nun heraus, dass höherwüchsige Pflanzen
in den vergangenen Jahrzehnten in der Tundra signifikant häufiger geworden sind. Die Studie erscheint aktuell
in "Nature".
Das ForscherInnenteam unter Leitung von Anne Bjorkman vom Senckenberg Biodiversitäts und Klimaforschungszentrum
& Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hat Daten zu funktionellen Eigenschaften
arktischer Pflanzen zusammengetragen und mit Beobachtungen der Vegetationsentwicklung an 117 Tundra-Standorten
in Alaska, Kanada, Island, Skandinavien und Sibirien kombiniert. "Dieser Datensatz erlaubt zum ersten Mal
eine für das gesamte Tundra-Biom repräsentative Untersuchung der Zusammenhänge zwischen funktionellen
Eigenschaften von Pflanzen und Standortbedingungen wie Temperatur und Bodenfeuchte", erklärt Stefan Dullinger,
der gemeinsam mit Karl Hülber, Sabine Rumpf und Philipp Semenchuk vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
der Universität Wien an der Studie mitgearbeitet hat.
Zu den von den BiologInnen untersuchten Eigenschaften gehören beispielsweise Eigenheiten des Blattaufbaus,
der Nährstoffgehalt der Blätter oder die Wuchshöhe der Pflanzen. Wie die Daten zeigen, korrelieren
alle diese Eigenschaften mit Temperaturunterschieden zwischen den Standorten. Die Temperaturerwärmung der
vergangenen 30 Jahre, rund plus 1°C während des Sommers, spiegelt sich bislang aber nur in einer Veränderung
der durchschnittlichen Wuchshöhe der Pflanzen an den 117 unter Dauerbeobachtung stehenden Flächen wider.
"Einerseits werden die Arten, die schon vor 30 Jahren am Standort gewachsen sind, jetzt höher. Und andererseits
sind neue, an sich höherwüchsige Arten in die Beobachtungsflächen eingewandert", erläutert
Sabine Rumpf.
Die arktische Tundra spielt für den Klimawandel eine wichtige Rolle. Fast ein Drittel des weltweit im Boden
gespeicherten Kohlenstoffs sind im Permafrost dieses Bioms gebunden. Ein Schmelzen der Permafrostböden dürfte
daher den Klimawandel weiter anheizen. Die Eigenschaften der Pflanzendecke können diesen Abschmelzprozess
verzögern oder beschleunigen. Die kausalen Zusammenhänge sind noch nicht vollständig klar, aber
eine höhere Pflanzendecke steht im Verdacht eher beschleunigend zu wirken, weil sie Schnee effizienter akkumuliert
und daher ein tiefes Durchfrieren des Bodens verhindert. Hülber: "Es könnte also gut sein, dass
wir hier eine positive Rückkoppelung erleben: Der Klimawandel verändert die Vegetation der Arktis in
einer Weise, die den Klimawandel weiter verstärkt."
Publikation in "Nature":
Anne Bjorkman et al. 2018: Plant functional trait change across
a warming tundra biome. In: Nature DOI 10.1038/s41586-018-0563-7.
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