Technologie wurde bei Arbeitstreffen mit NASA-Zentren in Washington, D.C. bestätigt
Washington D.C./Wien (öwf) - Bei einer Pressekonferenz in Wien präsentierte das Österreichische
Weltraum Forum (ÖWF) am 26. September die zweite Generation seines Raumanzug-Simulators. Der neue Marsanzug-Prototyp
„Serenity“ wird 2020 bei der nächsten internationalen Mars-Missions-Simulation unter österreichischer
Leitung zum Einsatz kommen. Mindestens zwei neue Raumanzug-Simulatoren sind geplant. An dem Projekt sind internationale
und österreichische High-Tech Unternehmen und Bildungseinrichtungen beteiligt. Zu den Projektpartnern zählen
die Eidgenössische Material- und Forschungsanstalt des ETH Bereichs in St. Gallen, Schweiz, Infineon in Villach,
der Förderverein Technik Tirol, die Mechatronik-Abteilung des Management-Centers Innsbruck sowie Dräger
Österreich.
Dass der neue Raumanzug-Simulator dem neuesten Stand der Mars-Analog-Forschung entspricht, wurde auch anlässlich
eines Arbeitstreffens vor zwei Wochen in Washington, D.C. bestätigt, an dem Dr. Gernot Grömer, Administrative
Director des Österreichischen Weltraum Forums, als einziger Repräsentant einer nicht-US-amerikanischen
NGO teilnahm. Dazu Grömer: „Gemeinsam mit KollegInnen von allen großen NASA-Zentren, dem National Space
Council und IndustrievertreterInnen haben wir aktuelle Fragestellungen einer astronautischen Erforschung des Mars
diskutiert. Dabei fand unsere Arbeit große Resonanz.“
Rückeneinstieg erhöht Realitätsnähe von Mars-Missions-Simulationen
In die Entwicklung und Fertigung des neuen Marsanzug-Prototypen fließen die Erfahrungen aus allen 12
Mars-Missions-Simulationen des ÖWFs ein. Zu einer der größten Neuerungen gehört der sogenannte
„Suitport“. Die ÖWF-Analog-AstronautInnen werden den Raumanzug-Simulator nicht wie bisher in einem mehrstufigen
Verfahren in einzelnen Teilen anziehen, sondern vielmehr durch den Rücken in den Anzug einsteigen können.
Dabei wird der Rückeneinstieg so konzipiert, dass er an der Außenschleuse des Simulations-Habitats des
Raumanzuglabors der Universität von North Dakota, USA andocken kann. „Der Einstieg durch den Rücken verkürzt
die Zeit für Anziehen und Ausziehen des Marsanzugs um die Hälfte. Statt zwei bis drei Stunden werden
wir in Zukunft nur noch eine bis eineinhalb Stunden in der Missionsplanung vorsehen. Die gewonnene Zeit kann für
Experimente verwendet werden, die wir während der Mars-Missions-Simulationen durchführen“, erklärte
Grömer und ergänzte, „Auf dem Roten Planeten hat ein Marsanzug, den die AstronautInnen außen am
Habitat andocken, um durch eine Schleuse hineinzuschlüpfen, noch weitere Vorteile: Der Marssand wird nicht
in das Habitat hineingetragen, mögliche Mikroorganismen, die im Habitat an dem Marsanzug haften bleiben könnten,
z.B. durch das Angreifen beim Anziehen, werden nicht hinaus auf den Mars getragen. Kontamination wird bestmöglich
minimiert. Durch ein entsprechendes Design unseres Anzugs sind unsere Mars-Analog-Missionen wieder ein Stückchen
näher an der astronautischen Erforschung des Roten Planeten.“
Ergonomie und optimale Lastverteilung durch Kooperation mit der Empa
Da die Analog-AstronautInnen durchgehend in dem Marsanzug-Prototypen arbeiten, wurde auf die Optimierung von
Tragekomfort und Ergonomie großer Wert gelegt. Hierzu ist das Österreichische Weltraum Forum eine Kooperation
mit der Empa, der Eidgenössischen Material- und Forschungsanstalt des ETH Bereichs in St. Gallen, Schweiz,
eingegangen. Dazu Dr. Simon Annaheim, wissenschaftlicher Gruppenleiter der Forschungsgruppe „Bodymonitoring“ an
der Empa-Abteilung für Biomimetische Membrane und Textilien: „Die Empa hat ein breites Spektrum von Körpermodellen
entwickelt und ist international anerkannter Spezialist für Tragekomfort. Für unsere Forschungsgruppe
war es sehr interessant, mit dem ÖWF als Kompetenzträger für Raumanzugsentwicklung im Kontext von
zukünftigen Mars-Expeditionen zusammenzuarbeiten und das neue Tragesystem von Serenity durch eine entsprechende
Testreihe zu validieren. Diese hat gezeigt, dass der neue Marsanzug-Prototyp eine deutlich bessere Ergonomie und
Lastverteilung erreicht, verglichen mit dem bisherigen Modell.“ Gernot Grömer ergänzte: „Diese Zusammenarbeit
zeigt, dass wir – das ÖWF und die Empa – in zukünftigen Projekten wichtige Forschungsbeiträge zur
Steigerung des Tragekomforts (mechanisch wie auch thermisch) von Anzügen leisten können, welche zukünftige
astronautische Mars-Missionen überhaupt ermöglichen. Wir haben uns daher auch entschlossen, unsere Zusammenarbeit
zu intensivieren.“
Das getestete Tragesystem, das nunmehr für Serenity zum Einsatz kommen wird, stammt von einem langjährigen
Partner des ÖWFs, der Firma Dräger, die als international führendes Unternehmen auf den Gebieten
der Medizin- und Sicherheitstechnik gilt.
Industrial Design für Funktionstüchtigkeit und Effizienz
Mit der kompletten Neuentwicklung des Marsanzug-Prototypen ergaben sich auch zahlreiche Herausforderungen betreffend
Anordnung und Design von Bauteilen sowie effiziente Nutzung des im Marsanzug vorhandenen Platzes. Dazu DI Bernhard
Kaliauer, Industrial Designer für Serenity: „Wir arbeiten in enger Wechselwirkung mit den einzelnen technischen
Abteilungen des ÖWFs am Marsanzug Prototypen. Aufgabenstellungen wie Funktion, Bedienung, Semantik, Anordnung
der Bauteile, Einbindung elektronischer Komponenten, Wartungsfreiheit sowie das ermöglichen von kleinen Reparaturen
durch die AstronautInnen selbst sind Themen die hier wichtig sind. Andererseits soll der Anzug aber auch möglichst
leicht sein, denn schließlich muss sich ja auch noch der Analog-Astronaut mit dem Marsanzug-Prototypen bewegen
können. All diese Aufgabenstellungen sind in das Design eingeflossen. Als Industrial Designer hatte ich auch
die Aufgabe, den Anzug und seine Benutzungsoberflächen so zu gestalten, dass sie selbsterklärend und
simpel zu bedienen sind. Ein einfaches Beispiel: Mechanismen wie z.B. Knöpfe, mit denen etwas geöffnet
oder fixiert werden soll, müssen durch ihr Aussehen klar signalisieren wie sie anzuwenden sind. Soll etwas
gedreht werden, muss das für die Nutzer klar sein, damit sie nicht versuchen, daran zu ziehen und im schlimmsten
Fall dann etwas kaputtmachen. Eine Aufgabe, die scheinbar klar auf der Hand liegt, bei ungenügender Umsetzung
aber zum Problem werden könnte.“
Kooperation mit Bildungseinrichtungen und Unternehmen für Nachwuchs in Wissenschaft und Technik
„Das ÖWF leistet im Rahmen der Entwicklung des Raumanzug-Simulators auch einen wichtigen Beitrag, um Nachwuchs
für Wissenschaft und Technik zu gewinnen“, sagte Gernot Grömer und führte aus, „So haben wir in
Zusammenarbeit mit dem Förderverein Technik Projekte in Tiroler HTLs gestartet, bei denen die SchülerInnen
gemeinsam mit unseren ExpertInnen genau definierte Aufgabenstellungen verwirklichen, deren Ergebnisse dann auch
in den neuen Marsanzug-Prototypen einfließen sollen. So können bereits junge Menschen an realer wissenschaftlicher
und ingenieurstechnischer Arbeit teilhaben und wertvolle Erfahrungen sammeln.“ Hinzu kommen Bachelor-und Masterarbeiten
an Universitäten in Österreich, Deutschland und den Niederlanden.
Masterarbeit bei Infineon, Villach
Ein weiteres wichtiges Element im Rahmen der Entwicklung des neuen Marsanzug-Prototypen ist die „Masterarbeit
für die Entwicklung von Sensoriklösungen unter Weltraumbedingungen“, die das ÖWF gemeinsam mit Infineon
in Villach im August ausgeschrieben hat. Im Fokus der Masterarbeit steht die Erforschung von Standards und Normen
für den Einsatz von Infineon-Chips, die aus dem Automotivebereich kommen, unter Weltraumbedingungen. Auf Grundlage
der Masterarbeit sollen robuste magnetische Sensoren entwickelt werden, die die Bewegungen des Astronauten im Raumanzug
kontrollieren sowie die mechanischen Verriegelungen (z.B. Verschluss des Helms) und den Stromverbrauch überwachen.
Näheres siehe hier.
Nächste Schritte
Mindestens zwei dieser Marsanzug-Prototypen sollen bis Ende Sommer 2019 gefertigt und getestet sein. Zu diesem
Zeitpunkt werden sie auch erstmals zum Einsatz kommen: beim Training des erweiterten Analog-AstronautInnen-Korps.
Die Bewerbungsfrist für neue Analog-AstronautInnen läuft noch bis 10. Oktober.
Die Ausschreibung findet sich hier: https://oewf.org/en/class-of-2019/
Bei der nächsten Mars-Missions-Simulation 2020 werden die Analog-AstronautInnen voraussichtlich bereits
mit Serenity arbeiten.
Zum Namen der neuen Generation sagt Gernot Grömer: „Serenity bedeutet Gelassenheit. Dieser Name ist für
uns Programm, denn bei einem so komplexen Unterfangen wie einer Mars-Analog-Mission behält unser hochqualifiziertes
Team immer die Übersicht und kann auch auf unvorhergesehene Situationen effizient reagieren.“
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