Für ein weltpolitikfähiges Europa:
 Richtlinien und Orientierung von Juncker

 

erstellt am
05. 10. 18
13:00 MEZ

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und ÖGAVN-Präsident Wolfgang Schüssel begrüßen Jean-Claude Juncker im Parlament – Juncker gegen Einstimmigkeitsprinzip in der europäischen Außenpolitik
Brüssel/Wien (pk) - Dass der Euro heute als Weltwährung für Stabilität in Europa sorge, sei unter anderem ein Verdienst von Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Begrüßung Junckers am 4. Oktober im Plenarsaal des Parlaments. Juncker war auf Initiative Sobotkas und der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen (ÖGAVN) nach Wien eingeladen worden, um den Vortrag "Für ein weltpolitikfähiges Europa" zu halten. Sobotka erinnerte an die Weltwirtschaftskrise 2008, in der die EU auf dem Prüfstand gestanden sei. Juncker habe in dieser heiklen Phase als Chef der Euro-Gruppe gemeinsam mit den Euro-Ländern und der Europäischen Zentralbank für die Bewältigung der Krise gesorgt. "Und er hat dafür gesorgt, dass wir heute in Europa in Wohlstand und Stabilität leben können", betonte der Nationalratspräsident.

Was Juncker an Preisen und Auszeichnungen erhalten hat, wirft laut Sobotka nur ein "Schlaglicht auf einen Politiker, der regionale und nationale Erfahrungen hat, mit einer europäische Perspektive immer im Konnex eines globalen Agierens" denke und der "Richtlinien und Orientierungen parat hat, die für Österreich und Europa gerade während unserer Ratspräsidentschaft auch für unser Parlament von Bedeutung sind", erklärte Sobotka.

"In den letzten 300 Jahren hat es 123 Kriege zwischen den heutigen Mitgliedstaaten der EU gegeben", sagte Wolfgang Schüssel, Präsident der ÖGAVN. "Alleine der Hinweis auf 70 Jahre Frieden ist das stärkste Argument für diese Union, wie wir sie heute haben." Schüssel erinnerte an die letzte Rede des ehemaligen israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres vor etwa zwei Jahren, der die Europäische Union als "Leuchtturm für Freiheit, Zusammenhalt und wirtschaftliche Prosperität" bezeichnet hatte. Die Wirtschaftskraft der EU habe sich seit ihrer Gründung verfünfzigfacht, allein die Wirtschaftskraft Österreichs hat sich laut Schüssel seit dem Beitritt zur EU verzweieinhalbfacht, Exporte hätten sich vervierfacht, die Auslandsinvestitionen verzehnfacht und "Österreich hat selber noch 200 Milliarden Euro in seine Nachbarstaaten investieren können".

Jean-Claude Juncker habe diese Erfolgsgeschichte in den letzten Jahren aktiv mitgestaltet. Er habe mindestens 300 europäische Räte miterlebt, er habe die Zusammenarbeit erlebt zwischen Helmut Kohl und Francois Mitterand, mit Margaret Thatcher, bis hin zu Angela Merkel und Emmanuel Macron. Schüssel bezeichnete Juncker als "Antithese zu langsam denkenden, Sprechblasen produzierenden, allzeit Twitter-bereiten Spaltpilzen, die es heute zur Genüge in der Welt gibt".

   

EU-Kommissionspräsident fordert stärkere weltpolitische Präsenz der Union
Juncker rief die Europäische Union insbesondere zu einer stärkeren Präsenz auf der internationalen Ebene auf. Oberste Priorität haben für Juncker dabei der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika, die Einführung von Mehrheitsbeschlüssen in der europäischen Außenpolitik sowie der Abschluss von Freihandelsabkommen auf Augenhöhe ohne Aufgabe der europäischen Werte.

Juncker gegen Abkehr vom Multilateralismus in den internationalen Beziehungen
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Umwälzungen, wo alte Regeln aufgekündigt werden und neue Allianzen entstehen - Juncker sprach von einem "Weltgeschichts-Sausen" -, müsse sich die Union um eine Stärkung der gesamteuropäischen Stabilität bemühen und ihre internationale Präsenz schärfen. Um an Einfluss zu gewinnen, ist es nach Meinung des Kommissionspräsidenten aber unumgänglich, zunächst das eigene Haus zu bestellen. So gelte es, darauf zu achten, dass die Rechtsstaatlichkeit ein Dauerzustand bleibt und nicht einfach zwischen Klammern gesetzt wird. Europa dürfe sich auch nicht auf die Seite derer schlagen, die dem Multilateralismus die kalte Schulter zeigen. Eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ist für Juncker aus diesem Aspekt heraus eine der zentralen Aufgaben der europäischen Außenpolitik. Mit Nachdruck bekannte sich der EU-Kommissionspräsident in diesem Zusammenhang zur Beteiligung Europas an den wesentlichen Entwicklungsprogrammen und zum Engagement an den UN-Einsätzen. Eine klare Absage erteilte er den US-Sanktionen gegen den Iran.

Wachsende Bedeutung komme der Handelspolitik zu, zumal der Wunsch der Welt, mit Europa ins Geschäft zu kommen, zugenommen habe. "Handelsabkommen machen Europa größer als es ist", steht dabei für Juncker fest, der für Verträge auf Augenhöhe unter Wahrung der europäischen Standards plädierte. Sämtliche Verhandlungsmandate der Europäischen Kommission sollten dabei öffentlich gemacht werden.

Qualifizierte Mehrheitsbeschlüsse sollen Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik stärken
Wenn es um mehr europäische Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik geht, dann reichen für den Kommissionspräsidenten große Strategien alleine nicht. "Wir müssen konkret etwas tun", mahnte er. Dies gelinge aber oft nicht, da Europa in der "Dunkelkammer" der Einstimmigkeit eingeschlossen sei. So gehe es etwa nicht an, dass die EU sich in der Menschenrechtskommission nicht zu Menschenrechtsverletzungen in China äußern könne, weil ein einziges Mitgliedsland dies verhindere. Juncker brach eine Lanze für qualifizierte Mehrheiten in der Außenpolitik und gab zu bedenken, das derzeitige Einstimmigkeitsprinzip nehme Europa die Kraft der Aussage und mache es auf der internationalen Ebene schwächer.

Juncker: Europa muss in der Finanzorganisationen mit einer Stimme sprechen
In Sachen Wirtschaftspolitik will Juncker den Euro in seiner internationalen Bedeutung stärken und damit die europäische Wirtschaftszone handlungsfähiger machen. Wir brauchen mehr Wirtschaftskoordination in der Euro-Zone, eine Vervollständigung der Bankenunion und eine gemeinsame europäische Einlagensicherung, unterstrich er. In den internationalen Finanzorganisationen wiederum müsse die EU mit einer Stimme sprechen und von einem einzigen Vertreter vertreten werden.

Skepsis in Bezug auf raschen Beitritt der Westbalkan-Staaten
Juncker lenkte in seinem Vortrag den Blick auch auf den Westbalkan und dämpfte dabei allzu optimistische Erwartungen. Der Weg der Westbalkan-Staaten in die EU werde ein langer sein, zumal die Fortschritte noch nicht ausgeprägt genug sind, gab er zu bedenken. Seiner Meinung nach sollte die EU dem Westbalkan einen Raum anbieten, in dem sich die betreffenden Staaten in Teilen schon so bewegen, als ob sie Mitglieder wären. Die EU müsse sich intensiv in der Region einbringen und dafür sorgen, dass die Grenzkonflikte vor einem Beitritt gelöst werden. Klar ist für Juncker jedenfalls aber die zentrale Rolle der Beitrittsperspektive. Wenn wir dem Westbalkan die Aussicht auf den EU-Beitritt nehmen, dann werden die Konflikte aus den 90er-Jahren wieder aufleben, warnte er.

"Afrika braucht Wirtschaftspartner und keine Caritas-Beziehungen"
Große Priorität räumt Juncker Afrika ein. Angesichts des demographischen Wachstums und der aktuellen Migrationsbewegung gelte es, den Fokus auf eine Verbesserung der Lebenschancen der jungen Menschen in Afrika zu legen und durch gezielte, strategische Investitionen Arbeitsplätze zu schaffen. Juncker trat deshalb mit Nachdruck für einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen Europas mit Afrika ein. Der Kontinent brauche Partner und Investitionen, aber keine "Caritas-Beziehungen", brachte er die Dringlichkeit der Herausforderung auf den Punkt.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
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