Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und ÖGAVN-Präsident Wolfgang Schüssel
begrüßen Jean-Claude Juncker im Parlament – Juncker gegen Einstimmigkeitsprinzip in der europäischen
Außenpolitik
Brüssel/Wien (pk) - Dass der Euro heute als Weltwährung für Stabilität in Europa sorge,
sei unter anderem ein Verdienst von Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, sagte Nationalratspräsident
Wolfgang Sobotka bei der Begrüßung Junckers am 4. Oktober im Plenarsaal des Parlaments. Juncker
war auf Initiative Sobotkas und der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten
Nationen (ÖGAVN) nach Wien eingeladen worden, um den Vortrag "Für ein weltpolitikfähiges Europa"
zu halten. Sobotka erinnerte an die Weltwirtschaftskrise 2008, in der die EU auf dem Prüfstand gestanden sei.
Juncker habe in dieser heiklen Phase als Chef der Euro-Gruppe gemeinsam mit den Euro-Ländern und der Europäischen
Zentralbank für die Bewältigung der Krise gesorgt. "Und er hat dafür gesorgt, dass wir heute
in Europa in Wohlstand und Stabilität leben können", betonte der Nationalratspräsident.
Was Juncker an Preisen und Auszeichnungen erhalten hat, wirft laut Sobotka nur ein "Schlaglicht auf einen
Politiker, der regionale und nationale Erfahrungen hat, mit einer europäische Perspektive immer im Konnex
eines globalen Agierens" denke und der "Richtlinien und Orientierungen parat hat, die für Österreich
und Europa gerade während unserer Ratspräsidentschaft auch für unser Parlament von Bedeutung sind",
erklärte Sobotka.
"In den letzten 300 Jahren hat es 123 Kriege zwischen den heutigen Mitgliedstaaten der EU gegeben", sagte
Wolfgang Schüssel, Präsident der ÖGAVN. "Alleine der Hinweis auf 70 Jahre Frieden ist das stärkste
Argument für diese Union, wie wir sie heute haben." Schüssel erinnerte an die letzte Rede des ehemaligen
israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres vor etwa zwei Jahren, der die Europäische Union als "Leuchtturm
für Freiheit, Zusammenhalt und wirtschaftliche Prosperität" bezeichnet hatte. Die Wirtschaftskraft
der EU habe sich seit ihrer Gründung verfünfzigfacht, allein die Wirtschaftskraft Österreichs hat
sich laut Schüssel seit dem Beitritt zur EU verzweieinhalbfacht, Exporte hätten sich vervierfacht, die
Auslandsinvestitionen verzehnfacht und "Österreich hat selber noch 200 Milliarden Euro in seine Nachbarstaaten
investieren können".
Jean-Claude Juncker habe diese Erfolgsgeschichte in den letzten Jahren aktiv mitgestaltet. Er habe mindestens 300
europäische Räte miterlebt, er habe die Zusammenarbeit erlebt zwischen Helmut Kohl und Francois Mitterand,
mit Margaret Thatcher, bis hin zu Angela Merkel und Emmanuel Macron. Schüssel bezeichnete Juncker als "Antithese
zu langsam denkenden, Sprechblasen produzierenden, allzeit Twitter-bereiten Spaltpilzen, die es heute zur Genüge
in der Welt gibt".
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EU-Kommissionspräsident fordert stärkere weltpolitische Präsenz der
Union
Juncker rief die Europäische Union insbesondere zu einer stärkeren Präsenz auf der internationalen
Ebene auf. Oberste Priorität haben für Juncker dabei der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika,
die Einführung von Mehrheitsbeschlüssen in der europäischen Außenpolitik sowie der Abschluss
von Freihandelsabkommen auf Augenhöhe ohne Aufgabe der europäischen Werte.
Juncker gegen Abkehr vom Multilateralismus in den internationalen Beziehungen
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Umwälzungen, wo alte Regeln aufgekündigt werden und neue Allianzen
entstehen - Juncker sprach von einem "Weltgeschichts-Sausen" -, müsse sich die Union um eine Stärkung
der gesamteuropäischen Stabilität bemühen und ihre internationale Präsenz schärfen. Um
an Einfluss zu gewinnen, ist es nach Meinung des Kommissionspräsidenten aber unumgänglich, zunächst
das eigene Haus zu bestellen. So gelte es, darauf zu achten, dass die Rechtsstaatlichkeit ein Dauerzustand bleibt
und nicht einfach zwischen Klammern gesetzt wird. Europa dürfe sich auch nicht auf die Seite derer schlagen,
die dem Multilateralismus die kalte Schulter zeigen. Eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den Vereinten
Nationen ist für Juncker aus diesem Aspekt heraus eine der zentralen Aufgaben der europäischen Außenpolitik.
Mit Nachdruck bekannte sich der EU-Kommissionspräsident in diesem Zusammenhang zur Beteiligung Europas an
den wesentlichen Entwicklungsprogrammen und zum Engagement an den UN-Einsätzen. Eine klare Absage erteilte
er den US-Sanktionen gegen den Iran.
Wachsende Bedeutung komme der Handelspolitik zu, zumal der Wunsch der Welt, mit Europa ins Geschäft zu kommen,
zugenommen habe. "Handelsabkommen machen Europa größer als es ist", steht dabei für Juncker
fest, der für Verträge auf Augenhöhe unter Wahrung der europäischen Standards plädierte.
Sämtliche Verhandlungsmandate der Europäischen Kommission sollten dabei öffentlich gemacht werden.
Qualifizierte Mehrheitsbeschlüsse sollen Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik stärken
Wenn es um mehr europäische Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik geht, dann reichen für
den Kommissionspräsidenten große Strategien alleine nicht. "Wir müssen konkret etwas tun",
mahnte er. Dies gelinge aber oft nicht, da Europa in der "Dunkelkammer" der Einstimmigkeit eingeschlossen
sei. So gehe es etwa nicht an, dass die EU sich in der Menschenrechtskommission nicht zu Menschenrechtsverletzungen
in China äußern könne, weil ein einziges Mitgliedsland dies verhindere. Juncker brach eine Lanze
für qualifizierte Mehrheiten in der Außenpolitik und gab zu bedenken, das derzeitige Einstimmigkeitsprinzip
nehme Europa die Kraft der Aussage und mache es auf der internationalen Ebene schwächer.
Juncker: Europa muss in der Finanzorganisationen mit einer Stimme sprechen
In Sachen Wirtschaftspolitik will Juncker den Euro in seiner internationalen Bedeutung stärken und damit die
europäische Wirtschaftszone handlungsfähiger machen. Wir brauchen mehr Wirtschaftskoordination in der
Euro-Zone, eine Vervollständigung der Bankenunion und eine gemeinsame europäische Einlagensicherung,
unterstrich er. In den internationalen Finanzorganisationen wiederum müsse die EU mit einer Stimme sprechen
und von einem einzigen Vertreter vertreten werden.
Skepsis in Bezug auf raschen Beitritt der Westbalkan-Staaten
Juncker lenkte in seinem Vortrag den Blick auch auf den Westbalkan und dämpfte dabei allzu optimistische Erwartungen.
Der Weg der Westbalkan-Staaten in die EU werde ein langer sein, zumal die Fortschritte noch nicht ausgeprägt
genug sind, gab er zu bedenken. Seiner Meinung nach sollte die EU dem Westbalkan einen Raum anbieten, in dem sich
die betreffenden Staaten in Teilen schon so bewegen, als ob sie Mitglieder wären. Die EU müsse sich intensiv
in der Region einbringen und dafür sorgen, dass die Grenzkonflikte vor einem Beitritt gelöst werden.
Klar ist für Juncker jedenfalls aber die zentrale Rolle der Beitrittsperspektive. Wenn wir dem Westbalkan
die Aussicht auf den EU-Beitritt nehmen, dann werden die Konflikte aus den 90er-Jahren wieder aufleben, warnte
er.
"Afrika braucht Wirtschaftspartner und keine Caritas-Beziehungen"
Große Priorität räumt Juncker Afrika ein. Angesichts des demographischen Wachstums und der aktuellen
Migrationsbewegung gelte es, den Fokus auf eine Verbesserung der Lebenschancen der jungen Menschen in Afrika zu
legen und durch gezielte, strategische Investitionen Arbeitsplätze zu schaffen. Juncker trat deshalb mit Nachdruck
für einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen Europas mit Afrika ein. Der Kontinent brauche Partner und Investitionen,
aber keine "Caritas-Beziehungen", brachte er die Dringlichkeit der Herausforderung auf den Punkt.
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