"Der Trafikant" zeigt Verlust moralischer und demokratischer Werte rund um die NS-Machtübernahme
in Österreich
Wien (pk) - Zu einer besonderen Premiere luden Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Bundesratspräsidentin
Inge Posch-Gruska am Abend des 2. Oktober ins Parlament. Anlässlich des Gedenkjahres 2018 wurde im Großen
Redoutensaal in der Hofburg der neue Kinofilm von Nikolaus Leytner "Der Trafikant" in einer Preview gezeigt.
Angesiedelt in den späten 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts schildert er anschaulich, wie der junge Protagonist
Franz Huchel (Simon Morzé), der beim Wiener Trafikanten Otto Trsnjek (Johannes Krisch) in die Lehre geht,
in den Strudel der politischen Ereignisse gezogen wird. Im Anschluss an die Filmvorführung sprach Claudia
Dannhauser (ORF) mit dem Regisseur und den beiden Hauptdarstellern sowie der Direktorin der KZ-Gedenkstätte
Mauthausen Barbara Glück unter anderem über Lehren aus der Geschichte und etwaige Parallelen zwischen
dem Heute und der Vergangenheit.
Man müsse sich der Geschichte offen stellen, betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Es habe
lange gebraucht, bis sich die Tatsache, dass Österreich 1938 zwar als Staat besetzt und ausgelöscht wurde,
viele ÖsterreicherInnen aber eine Täterrolle im NS-Unrechtsregime eingenommen haben, im kollektiven Bewusstsein
festgesetzt hat. Es sei notwendig, diese moralische Schuld offen anzusprechen. Was die Gegenwart betrifft, mache
er sich um die österreichische Demokratie keine Sorge, sagte Sobotka. Es gelte aber abgeschottete "Informationsblasen",
die durch Soziale Medien gefördert werden, entgegenzuwirken.
Es seien oft kleine Dinge, die schleichend zur Katastrophe führen, gab Bundesratspräsidentin Inge Posch-Gruska
zu bedenken. Auch die Ideologie des Nationalsozialismus habe sich nicht mit einem Paukenschlag in Österreich
breit gemacht. Sehr oft wurde im Vorfeld weggeschaut. "Es liegt an uns allen, die Zeichen der Zeit zu deuten
und den Anfängen zu wehren." Abgrenzung und Ausgrenzung dürften nicht wieder Oberhand gewinnen,
mahnte Posch-Gruska und machte sich unter anderem für sozialen Zusammenhalt stark. "Wir tragen die Verantwortung
dafür."
Gemeinsam mit Sobotka und Posch-Gruska zur Preview eingeladen hatten die epo-filmproduktionsges.m.b.h., die Vereinigung
der Parlamentsredakteurinnen und -redakteure sowie der ORF, der den Film maßgeblich finanziell unterstützt
hat. Der Film zeige, wie demokratische Werte verloren gehen und sich die Gesellschaft auf den Abgrund zubewege,
hielt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz fest. Robert Seethaler, auf dessen Romanvorlage der Film beruht, schaffe
es auch im Werk "Der Trafikant", anhand eines Einzelschicksals eine ganze Epoche entstehen zu lassen.
Auf diesen Aspekt ging auch Regisseur Nikolaus Leytner im Gespräch mit ORF-Redakteurin Claudia Dannhauser
ein. Es habe ihm von Anfang an gefallen, dass die damaligen geschichtlichen Ereignisse aus der Sicht eines jungen
naiven Burschen erzählt werden, der vom Land in die brodelnde Stadt kommt und in dessen Leben die Politik
erst tritt, als er in seinem persönlichen Umfeld konkret damit konfrontiert wird. Der Film zeige nicht zuletzt,
was Zivilcourage bedeute. Parallelen zwischen heute und damals will der Regisseur nicht ziehen, auch wenn er einige
Entwicklungen in Europa für bedenklich hält. Es gebe aber nicht die wirtschaftliche Not der 30er-Jahre.
Johannes Krisch hob insbesondere den Wert der Pressefreiheit hervor, die er in der Rolle des Trafikanten, der täglich
alle Zeitungen liest, symbolisch dargestellt sieht. Pressefreiheit sei eines der höchsten Güter, die
es in einer Demokratie gibt, bekräftigte er. Dafür stehe und kämpfe die von ihm dargestellte Figur.
Der Film zeige außerdem, wohin es führen könne, wenn moralische Werte verloren gehen. Krisch warb
in diesem Zusammenhang auch dafür, sensibler und offener gegenüber Flüchtlingen zu sein. Es sei
Auftrag der Politik, der Bevölkerung zu vermitteln, dass Flüchtlinge niemandem etwas wegnehmen wollen.
Auch die Gedenkstätte Mauthausen erzähle Geschichte aus Sicht einzelner Menschen, hielt Barbara Glück
fest. Man wolle vermitteln, dass es meist Handlungsoptionen gebe. Man könne sich arrangieren, man könne
sich aber auch nicht arrangieren und gewissen Entwicklungen vorab entgegentreten. Sich aus mehreren Quellen Informationen
beschaffen und Fragen stellen, ist für Simon Morzé eine Lehre, die man aus dem Film ziehen kann.
Vorlage für den von epo-Film produzierten Streifen "Der Trafikant" ist das gleichnamige Buch von
Robert Seethaler. Der junge Franz Huchel, der für die Trafikanten-Lehre sein Heimatdorf am Attersee verlässt,
lernt in Wien auch den bereits von fortschreitendem Alter und Krankheit gezeichneten Sigmund Freud (Bruno Ganz)
kennen, der zu den Stammkunden des kleinen Tabakladens zählt. Als der Junge sich unglücklich in die schöne
Varietétänzerin Anezka (Emma Drounova) verliebt, sucht er Rat bei Freud. Gleichzeitig wird er von seinem
Lehrherrn ermuntert, für die Liebe zu kämpfen. Als die Nationalsozialisten die Macht in Österreich
übernehmen, bekommt das Franz auch am eigenen Leib zu spüren.
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