Verfassungstag 2018 mit Festvortrag von Heinz Fischer. VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein:
Demokratie muss immer wieder verteidigt werden!
Wien (vfgh) - Der frühere Bundespräsident Heinz Fischer stellt der österrreichischen Bundesverfassung
ein hervorragendes Zeugnis aus. „Sie ist fest genug und stark genug, um als Grundlage und Rahmen für das politische
Geschehen zu wirken. Sie ist aber andererseits kein so starres Korsett, dass der politischen und gesellschaftspolitischen
Entwicklung alle Spielräume genommen werden. Denn sie ist auch offen für eine sinnvolle Weiterentwicklung“,
sagte Fischer am 1. Oktober in der Festrede zum Verfassungstag 2018 im Verfassungsgerichtshof.
Mit dem Verfassungstag erinnert der VfGH alljährlich an den Beschluss des Bundes-Verfassungsgesetzes in der
konstituierenden Nationalversammlung am 1. Oktober 1920. Präsidentin Brigitte Bierlein konnte u.a. Vizekanzler
Heinz-Christian Strache, Justizminister Josef Moser, die Zweite Präsidentin des Nationalrats, Doris Bures,
den früheren Bundeskanzler Franz Vranitzky sowie die Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, Rudolf
Thienel, und des Obersten Gerichtshofes, Elisabeth Lovrek, begrüßen.
Brigitte Bierlein: Wachsam bleiben!
Bierlein betonte, dass die Verfassung die Basis für eine gefestigte Demokratie sei, eine rechtsstaatliche
Ordnung auf hohem Niveau gewährleiste und die Grund- und Menschenrechte sichere. Dessen ungeachtet müssten
wir „wachsam“ bleiben und alles daran setzen, diese „letztlich doch fragile Grundlage unseres Zusammenlebens“ zu
schützen und vielleicht punktuell zu verbessern: „Um unsere Demokratie zu erhalten, ist ein scharfes Sensorium
nötig für das, was sie gefährden könnte. Gerade eine Zeit, wie sie nicht nur die EU mit dem
Rückbau von Demokratie und Rechtsstaat in einzelnen Mitgliedsstaaten eben erlebt, zeigt, dass die parlamentarisch-demokratische
Gesellschaftsordnung nicht selbstverständlich ist, sondern immer wieder von neuem verteidigt werden muss.“
Herrschendes Unbehagen und Verunsicherung der Menschen müssten ernst genommen werden. Gleichzeitig gelte es
aber entschieden gegenzusteuern, wenn demokratische Einrichtungen und rechtsstaatliche Überzeugungen in Frage
stünden. Bierlein: „Dies gilt für illiberale Tendenzen am rechten wie am linken Rand der Gesellschaft
gleichermaßen. Legitime politische Anliegen auf der einen Seite und Entwicklungen in Richtung einer Gefährdung
demokratischer Institutionen auf der anderen Seite sind strikt zu unterscheiden." Als Optimistin gehe sie
aber davon aus, dass eine allfällige Legitimationskrise der repräsentativen Demokratie zukunftsrelevant
bewältigt werde.
Alexander Van der Bellen: Staatsverträge schon vor Kundmachung prüfen
Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der an dem Festakt nicht teilnehmen konnte, wandte sich mit
Grußworten an die Festversammlung. Er erinnerte daran, dass der Verfassungsgerichtshof oft Dinge entscheiden
müsse, über die auf politischer Ebene kein Konsens gefunden worden sei. Dem Verfassungsgerichtshof dürfe
dann aber nicht der Vorwurf gemacht werden, er menge sich in die Politik ein.
Van der Bellen sprach aber auch Probleme und Fragestellungen der Verfassungsgerichtsbarkeit an. So werde im Zusammenhang
mit Staatsverträgen immer wieder das Problem einer Gesamtänderung der Bundesverfassung ins Spiel gebracht:
„Die Kundmachung von Staatsverträgen ist in den meisten Fällen nicht so dringend, als dass es unangebracht
wäre, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes einzuholen. Ich spreche mich daher für eine solche
Regelung aus.“
An die Adresse der Bundesregierung richtete Van der Bellen den Appell, bei Reformen immer auch die Vorgeschichte
in Betracht zu ziehen und zu untersuchen, woran bisherige Vorstöße gescheitert sind. Der Bundespräsident:
„Das soll kein Aufruf zur Entmutigung sein, sondern vielmehr ein solcher zu ökonomischem und konsensualem
Vorgehen.“
Heinz Fischer: Wir haben aus der Geschichte gelernt
Fischer widmete sich in seinem Vortrag der „Entwicklung der österreichischen Bundesverfassung vor dem
Hintergrund der Zeitgeschichte“. Er spannte dabei einen Bogen von den Anfängen der Verfassung im Revolutionsjahr
1848 über den Beginn der Ersten und der Zweiten Republik bis hin zu den weiteren Entwicklungen im Verfassungsrecht
mit dem Neutralitätsgesetz, dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Menschenrechtskonvention,
dem Beitritt zur Europäischen Union oder der Weiterentwicklung der parlamentarischen Kontrolle.
Für Fischer war es 1945 eine richtige Entscheidung, sich nicht in eine Verfassungsdebatte verstricken zu lassen,
sondern die Bundesverfassung von 1920 in der Fassung von 1929 zur Grundlage für den Wiederaufbau Österreichs
als demokratische Republik und als Rechtsstaat zu nehmen. Überhaupt sieht er als eine der Grundlagen für
die positive Entwicklung seit 1945, „dass wir aus der Geschichte gelernt haben und dass bestimmte politische Verhaltensweisen
als schädlich für das Land und die Demokratie erkannt und aus dem politischen Arsenal entfernt wurden“.
Das frühere Staatsoberhaupt schloss mit einem Zitat des verstorbenen Vizekanzlers Alois Mock: „Macht ohne
Recht ist Diktatur, Recht ohne Macht ist Chaos.“ Von beiden dieser Fehlentwicklungen habe sich die Zweite Republik
bisher im Wesentlichen freihalten können. Und Fischer weiter: „Ich darf an dieser Stelle den Wunsch äußern,
dass dies auch in Zukunft so bleiben möge.“
|