Internationale Parlamentarierkonferenz über Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes
Wien (pk) - Die internationale Parlamentarierkonferenz über Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes führte am Nachmittag des 11. Oktober eine durchaus kontroverse Debatte
über die Herausforderungen, die sich durch Migrations- und Fluchtbewegungen für Europa stellen.
Drei Keynote Speakers gaben Inputs aus unterschiedlichen Bereichen. Die Erfahrungen in der Zusammenarbeit von zivilen
und militärischen Behörden brachte Generalsekretär Wolfgang Baumann vom Landesverteidigungsministerium
ein, der den Assistenzeinsatz des Bundesheeres als erfolgreiches Modell beim Grenzschutz beschrieb. Berndt Körner
von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex umriss die Aufgaben seiner Behörde,
deren Entwicklung in den letzten Jahren rasch vorangegangen ist und deren Möglichkeiten aus seiner Sicht noch
nicht ausgeschöpft sind. Die Journalistin Melita H. Sunjic versuchte, mit sieben kurzen – wie selbst sagte,
provokanten – Thesen für die weitere Debatte Denkanstöße zu geben. Die äußerst komplexen
Themen Migration und Flucht brauchten auch differenzierte Antworten, sagte Sunjic.
Wolfgang Baumann: Österreich hat bewährtes Modell der Zusammenarbeit von Zivil- und Militärbehörden
Migration und Asyl seien grundsätzlich keine Agenden der Landesverteidigung, sondern im Innenressort angesiedelt,
erläuterte Wolfgang Baumann als Vertreter des Bundesministeriums für Landesverteidigung. Österreich
habe eine bewährte Tradition des Assistenzeinsatzes des Bundesheeres bei der Grenzsicherung in Spitzenzeiten.
Dieses Modell habe sich als flexibel und kostengünstig erwiesen, denn man müsse keinen großen Polizeiapparat
aufbauen, um besondere Situationen zu bewältigen. Österreich stelle seine Erfahrungen, wenn es um die
Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Behörden geht, gerne anderen Ländern zu Verfügung.
Eine der Lehren, die Baumann aus den Ereignissen des Jahres 2015 zog, ist, dass ein Kontrollverlust an der Grenze
sich jedenfalls nicht mehr wiederholen dürfe. Es gehe selbstverständlich nicht darum, Flüchtlingen
mit der Waffe zu begegnen, betonte er. Ein gutes Grenzmanagement müsse aber Sicherheit gewährleisten
und echten Flüchtlingen dabei die Chance geben, Asyl zu beantragen und in ein reguläres Verfahren zu
gelangen. Für die nächste Zukunft sieht Baumann beim Thema Migration zwei Schwerpunkte. Zum einen gelte
es für die EU, zur Stabilisierung des Westbalkan beizutragen, zum anderen, den Schutz der Außengrenzen
am Mittelmeer zu gewährleisten. Die geplante Aufstockung von Frontex auf 10.000 MitarbeiterInnen, die im Grenzschutz
eingesetzt werden können, begrüßt Baumann daher ausdrücklich.
Berndt Körner: Frontex will Partner der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein
Der Direktor der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex, Berndt Körner,
umriss die Aufgaben seiner Behörde, die sich seit Oktober 2016 rasch entwickelt hat und mit zusätzlichem
Personal und erweiterten Funktionen ausgestattet wurde. Unbestritten sei, dass der Schengenraum nur gut funktionieren
könne, wenn der Schutz der Außengrenzen gewährleistet ist. Ein gut funktionierendes Grenzmanagement
muss nicht nur Sicherheit gewährleisten, sondern auch den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch, sagte
Körner.
Frontex arbeite mit Behörden wie Europol erfolgreich zusammen, um grenzüberschreitende Kriminalität
und Terrorismus zu bekämpfen. Übergeordnetes Ziel von Frontex sei ein Integriertes Grenzmanagement für
Europa (Integrated Border Management – IBM), in dem viele Elemente zusammengeführt werden, stellte Körner
dar. Dazu gehören neben den operativen Aufgaben beim Grenzschutz auch Risikoanalysen oder die Kooperation
mit Drittstaaten. Aus seiner Sicht ist das IBM ein geeigneter Zugang, um einen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten
der EU herzustellen. Frontex sehe dabei die AkteurInnen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als
wichtige PartnerInnen an. Die Agentur baue ihre Kapazitäten gerade wesentlich aus und verstehe sich dabei
als integraler Bestandteil der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Davon, wie diese gestaltet
werde, hänge es auch ab, wie weit Frontex handlungsfähig sei. Körner begrüßte es daher,
dass die Themen Migration und Grenzschutz zunehmend im Fokus der GASP und GSVP stehen.
Melita H. Sunjic: Politik muss differenzierte Antworten auf komplexe Fragen finden
Mit sieben Thesen brachte Melita H. Sunjic ihre langjährigen Erfahrungen im Umgang mit dem Thema Migration
und Flucht auf den Punkt. Sie warnte dabei eindringlich vor Vereinfachungen. Nichts sei gefährlicher, als
wenn jemand versuche, simple Antworten auf komplexe Probleme zu geben.
Die erste These von Sunjic lautet, dass Grenzschließungen als zentrales Mittel des Migrationsmanagements
den Migrationsdruck nicht verringern, sondern ihn letztlich erhöhen – so wie bei einer Flut mehr Dämme
schlussendlich den Wasserdruck immer weiter erhöhen. Zweitens, je näher Migranten schon an Europa sind,
desto mehr Risiken würden sie auf sich nehmen, um ans Ziel zu gelangen. Wer nichts mehr zu verlieren hat,
werde auch sein Leben aufs Spiel setzen, betonte Sunjic.
Ihre dritte These besagt, dass Europa zwei unterschiedliche Systeme brauche, um Wirtschaftsmigration auf der einen
und Flüchtlinge auf der anderen Seite zu managen. Von Arbeitsmigration könne die Wirtschaft auch profitieren.
Viertens sei es kostengünstiger für Europa und sicherer für alle, wenn Flüchtlinge in den Erstasylländern
ordentlich versorgt werden. Hier warnte Sunjic, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Ihrer fünften These zufolge braucht es bessere und schnellere Asylverfahren und eine rasche Rückführung
von Nicht-Schutzbedürftigen. Das sei menschlicher, als Menschen lange im Ungewissen zu lassen, und könne
zudem dämpfend auf irreguläre Migration wirken. Sechstens müsse man den Schleppern das Handwerk
legen – alle notwenigen Informationen seien verfügbar. Die Tätigkeit der Schlepper lasse sich sogar über
soziale Medien nachverfolgen, wo sie ihre Transaktionen unverschlüsselt abwickeln, erklärte Sunjic.
Mit ihrer abschließenden, siebten These unterstrich Sunjic, dass Grenzen selbstverständlich geschützt
werden sollten, aber den Schutzbedürftigen nicht verschlossen werden dürften – denn andernfalls drohe
Europa, seine Seele zu verlieren.
Europa ringt um die gemeinsame Linie bei Asyl und Zuwanderung
In den Debattenbeiträgen der ParlamentarierInnen wurde das Ringen um eine einheitliche europäische Position
deutlich. Grundsätzlich war man sich einig, dass Fragen von Migration und Flucht auch noch die nächsten
Jahre und sogar Jahrzehnte beherrschen werden und Europa davor nicht die Augen verschließen darf. Angeschnitten
wurden der Ausbau von Frontex, die Weiterentwicklung des Dublin-Systems und die Rolle einer gemeinsamen europäischen
Außenpolitik. Mehrfach wurde betont, dass Europa gefordert sei, die eigentlichen Fluchtursachen anzugehen,
zu denen neben politischer Instabilität auch der Klimawandel gehöre. Europa müsse sich auch der
Frage stellen, wie eine positive Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent erreicht werden könne.
Trotz des allgemeinen Tenors, dass eine gemeinsame europäische Linie gefunden werden müsse, steckten
die Abgeordneten durchaus unterschiedliche Positionen ab. So wurde mehrfach angesprochen, dass Europa auch das
Recht habe, seine eigene Identität zu wahren. Auch zur Seenotrettung sind die Meinungen geteilt. Wo die einen
eine humanitäre Pflicht sehen, sehen andere einen weiteren Anreiz für Schlepperei. Mehrere Abgeordnete
stellten fest, dass die Aufgaben des Schutzes der europäischen Außengrenzen sich immer mehr in Drittstaaten
verlagern, etwa nach Nordafrika und in den Sahel, was durchaus mit Skepsis aufgenommen wird.
In mehreren Wortmeldungen wurde deutlich artikuliert, dass nationalstaatlich Alleingänge in der Migrations-
und Asylpolitik vermieden werden müssen. Europa müsse auch geeint auftreten, um auf der internationalen
Bühne die richtigen Antworten geben zu können.
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