Um im globalen Wettbewerb auch in Zukunft erfolgreich zu bestehen, bedarf es laut den Teilnehmern
einer Expertendiskussion der Industriellenvereinigung in Brüssel jedoch einer langfristigen industriepolitischen
Vision und der Umsetzung konkreter Maßnahmen
Brüssel/Wien (wienerberger) - Der EU-Wirtschaftsstandort müsse im globalen Kontext betrachtet
werden. Nur mit einer langfristigen industriepolitischen Vision, der konsequenten Umsetzung einer dementsprechenden
Strategie und massiven Anstrengungen aller Beteiligten könne die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber
den USA und Asien stärken. Diese Ansichten vertraten und diskutierten Wienerberger-CEO Heimo Scheuch und RHI
Magnesita-CSO Reinhold Steiner mit der Abgeordneten zum Europäischen Parlament Barbara Kappel und Wolfgang
Burtscher, stv. Generaldirektor DG Research and Innovation, sowie BusinessEurope-Generaldirektor Markus Beyrer
und IV-Büroleiter Gernot Haas auf einer von der Industriellenvereinigung in Brüssel am 11. Oktober veranstalteten
Diskussion zum Thema „Industriestandort Europa reloaded - Die EU-Industriestrategie in einer globalen Wirtschaft“.
Europäische Industriepolitik als essenzieller Bestandteil politischer Initiativen
Wienerberger-CEO Heimo Scheuch sieht in Europa eine Vielzahl von Unternehmen, die fit für den globalen
Wettbewerb, innovationsfreudig und zukunftsorientiert sind. Der Wirtschaftsstandort EU müsse jedoch durch
gezielte Maßnahmen durch den europäischen Gesetzgeber für zukünftige Herausforderungen gestärkt
werden. Neben stabilen und vorhersehbaren Rahmenbedingungen für lokale Wertschöpfung und der Schaffung
lokaler Arbeitsplätze fehle Scheuch vor allem der strategische Blick in die Zukunft: „Aktuell fehlt es zuallererst
einmal an ambitionierten strategischen Zielen für die europäische Industrie. Wir brauchen eine langfristige
industrielle Vision: Die Politik soll sich dazu bekennen, wo sie die Industrie in Europa in 2030 aber auch in 2050
sieht.“ Denn eine aktive EU-Standort- und Industriepolitik könne in Zeiten der Unsicherheit und des Wandels
mit ihren positiven Aspekten wie Arbeitsplatzsicherung bzw. -schaffung oder Steigerung des Wohlstands eine ganz
entscheidende Rolle spielen, um die Identitätskrise der EU durch den Brexit zu überwinden, so der Wienerberger-Chef.
Damit das gelingt, „müssen Industrieanliegen jedoch essenzieller Bestandteil der EU-DNA werden, das heißt
sämtliche politische und gesetzgeberische Initiativen müssen auf ihre Verträglichkeit gegenüber
der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie überprüft werden“, ist Scheuch überzeugt.
Für Reinhold Steiner, CSO von RHI Magnesita, ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls das
zentrale Thema für den Industriestandort Europa. Er ist überzeugt, dass sich Europa eine Frage stellen
muss: „Wollen wir eine starke industrielle Wertschöpfung in Europa, oder sollen unverzichtbare Produkte nach
Europa importiert werden – vor allem aus China?“ Damit begäbe sich aus der Sicht von Steiner am Beispiel der
Feuerfestindustrie die gesamte europäische Hochtemperaturindustrie in eine langfristige, strategische Abhängigkeit
von außereuropäischen Playern. Er sehe auf die Feuerfestindustrie große Herausforderungen zukommen,
wenn die Auswirkungen neuer Initiativen nicht global bedacht würden. „Die Europäische Kommission arbeitet
zurzeit Regeln für die Zuteilung von CO2-Zertifikaten aus. Dabei droht der europäischen Feuerfestindustrie
durch unbedachten europäischen CO2-Handel ein Kollateralschaden. Trotz einer starken Innovationsagenda sind
wir an die fundamentalen Naturgesetze gebunden, die eine Reduktion natürlicher, geogener Prozessemissionen
per Definition nicht erlaubt.“, ergänzt Steiner.
Globale Herausforderungen fordern massive Erhöhung der Anstrengungen
Für die Abgeordnete zum Europäischen Parlament Barbara Kappel müssten sich die EU und die Unternehmen
vor allem auf das Thema Industrie 4.0 einstellen: „Die vierte industrielle Revolution ist eine globale Herausforderung.
Die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Technologien, welche die Privatsphäre Einzelner oder die Sicherheit
der Daten im Allgemeinen schützen, werden wir meistern. Denn das Kernelement der Wirtschaft von morgen ist
die intelligente Vernetzung von Menschen zu Maschine oder Maschine zu Maschine. Nur so können neue Wertschöpfungspotenziale
entstehen.“
Europa müsse seine industrielle Basis auf jeden Fall vermehrt stärken, so Wolfgang Burtscher, stv. Generaldirektor
DG Research and Innovation: „Europa hat eine exzellente Forschungs- und Innovationslandschaft und wir haben eine
starke europäische Industrie, die in vielen Bereichen führend ist. Um bestehende Innovationsdefizite
wettzumachen, vor allem aber um die neuen Chancen, die die nächste Innovationswelle mit Digitalisierung und
Künstlicher Intelligenz bietet, voll zu nützen, müssen Unternehmen, öffentliche Haushalte sowie
Gesetzgeber die Anstrengungen massiv erhöhen.“
Investitionen in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas finden bei Markus Beyrer, Generaldirektor
BusinessEurope, volle Unterstützung. „Forschung, Entwicklung und Innovation sind essenziell. Dass Industriepolitik
als eine Priorität des österreichischen EU-Ratsvorsitzes festgelegt wurde und das eindeutige Bekenntnis
der Wirtschaftsministerin, sich beim EU-Budget für eine stärkere Zukunftsorientierung einzusetzen, hat
die volle Unterstützung der Industrie. Es wird entscheidend sein in europäische Forschungs- und Innovationskraft
und damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu investieren und Schlüsseltechnologien zu stärken.
Hier geht es um nicht weniger als unsere Technologieführerschaft“, so Beyrer.
Konkrete Maßnahmen für Europas Industrie sichern unsere Zukunft
Gernot Haas, Leiter des Büros der Industriellenvereinigung in Brüssel unterstreicht dabei die positive
Rolle der aktuellen Ratspräsidentschaft: „Die österreichische Ratspräsidentschaft ist sehr engagiert
in der Erarbeitung einer langfristig ausgerichteten Strategie zur EU-Industriepolitik. Die damit verbundenen Elemente,
wie ein Industrie-Performance-Indikatoren-Set oder das Mainstreaming von Industriebelangen, sind wichtige Weichenstellungen
für den Industriestandort Europa. Es gilt nun, das Momentum zu nützen und ein starkes Signal an die nächste
EU-Kommission zu senden, in diesem Bereich legislativ tätig zu werden.“
Mit dem Juncker-Plan und „Horizon Europe“ habe die Europäische Union laut den Teilnehmern bereits wichtige
Initiativen gestartet. Aus Sicht der Industrieexperten müsse die EU-Industriepolitik die Anstrengungen aber
weiter erhöhen. Österreich solle dabei seine Rolle als Ratsvorsitzender nutzen, um richtungsweisende
Impulse für eine langfristige Vision der EU für die Industrie zu definieren und um konkrete Maßnahmen
der Industriepolitik in Angriff zu nehmen. Dazu gehöre neben einer globalen Ausrichtung und einer Vision vor
allem ein schneller Abbau bürokratischer Hürden, eine konkrete Strategie gegen den Fachkräftemangel
und die gezielte Förderung von industriellem Wandel.
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