Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Kurz bleibt ohne Wirkung: Anträge der NEOS und der
SPÖ abgelehnt
Wien (pk) – Die Opposition warf in der von den NEOS beantragten Sondersitzung am 19. Dezember der Bundesregierung
vor, durch die Beibehaltung der Grenzkontrollen den freien Personenverkehr als eine der vier europäischen
Grundfreiheiten einzuschränken; auch die Wirtschaft würde darunter leiden. Zudem brächten die Grenzkontrollen
nicht den versprochenen Erfolg. Die NEOS sehen darin einen "unverhältnismäßigen Einschnitt
in die Rechte der BürgerInnen". Die Regierungsparteien sehen das anders: Sie betonten, die Grenzkontrollen
und damit die Aussetzung des Schengener Vertrags seien ein wirkungsvolles Mittel gegen drohende Migrationsbewegungen.
Ein von den NEOS eingebrachter Antrag, die Regierung solle die Entscheidung zur Aufrechterhaltung der Grenzkontrollen
zurücknehmen und im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft darauf hinwirken, dass im Schengenraum wieder Normalzustand
einkehre, wurde mehrheitlich abgelehnt. Gleiches gilt für einen Antrag der SPÖ, der darauf abzielte,
die Fluchtursachen durch Investitionen aus Österreich in den Nahen Osten zu bekämpfen, die Idee eines
"Marshall-Plans für Afrika" zu unterstützen, ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu
schaffen, eine gemeinsame europäische Mission zur Außengrenzüberwachung zu schaffen und Rückführungsabkommen
zu forcieren.
Scherak: Aufrechterhaltung der Grenzkontrollen sind Rechtsbruch
"Sie nehmen einen Rechtsbruch in Kauf und sagen, die anderen machen es ja auch", warf Nikolaus Scherak
(NEOS) der Bundesregierung vor. Für die Aufrechterhaltung der Grenzkontrollen gebe es keine rechtliche Grundlage
mehr. Das Argument, dass auch andere Länder Grenzkontrollen beibehalten und damit gegen bestehendes EU-Recht
verstoßen, lasse er nicht gelten. Österreich sollte vor allem während seiner EU-Ratspräsidentschaft
vielmehr Vorbild sein und an der Weiterentwicklung Europas arbeiten anstatt Rechtsbrüche zu begehen.
Schieder: Grenzkontrollen sind Symbolakt
SPÖ-Abgeordneter Andreas Schieder wies darauf hin, dass die Grenzkontrollen nur an einzelnen Übergängen
aufgebaut seien. "Ihre Grenzkontrollen sind löchrig wie ein Schweizer Käse", sagte er. Schieder
bezeichnete die Maßnahmen der Regierung als Symbolakte. Wirklich geschehen sei in den letzten Monaten nichts:
Die Regierung habe nichts unternommen, um den Außengrenzschutz zu verbessern, beim Thema "Marshall-Plan
für Afrika" sei Österreich das Land, das am meisten bremse – Binnengrenzkontrollen alleine seien
zu wenig. Schieder zeichnete eine Bilanz der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, wonach nichts bewegt
worden sei. Er forderte von der Regierung Unterstützung vor Ort in den Flüchtlingslagern außerhalb
Europas. "Denken Sie zurück an 2014, als die Weltgemeinschaft die Unterstützung für die Flüchtlingslager
im Nahen Osten drastisch gekürzt hat", erinnerte er. "Daraufhin sind Millionen Menschen von Hunger
und schlechter Versorgung bedroht gewesen und haben sich auf den Weg nach Europa gemacht." Daher sei es wichtig,
den Menschen eine Perspektive zu geben und sie vor Ort zu unterstützen.
Pilz: Regierung setzt auf sinnlose Grenzzäune und Fehleinsatz des Bundesheers
Auch PILZ-Abgeordneter Peter Pilz betonte die Wichtigkeit der Hilfe für die Menschen in den Flüchtlingslagern
außerhalb Europas. Der Bundesregierung warf er gerade in diesem Punkt Säumigkeit vor. 2018 sei nicht
einmal eine Million Euro aus Österreich dorthin geflossen. Mindestens 20 Millionen seien nötig, um auf
einen europäischen Durchschnitt zu kommen. Stattdessen würde Österreich auf "sinnlose Grenzzäune,
Missbrauch und Fehleinsatz des Bundesheeres" setzen. Pilz trug Zahlen aus dem letzten Innenausschuss vor,
wonach der Assistenzeinsatz von 419 SoldatInnen des Bundesheeres im Burgenland im Jahr 2018 zu 62 Aufgriffen durch
Assistenzkräfte geführt hatte, in Kärnten hätten 120 SoldatInnen für 64 Aufgriffe gesorgt
und in der Steiermark hätten 158 SoldatInnen 10 Personen aufgegriffen. Allein angesichts dieser dürftigen
Bilanz sei ein Aufrechterhalten der Grenzkontrollen nicht mehr zu rechtfertigen.
Haider: Bevölkerung schützen
Anders sah das FPÖ-Abgeordneter Roman Haider. Es warteten 200.000 Flüchtlinge am Balkan und in Italien
auf eine Weiterreise nach Österreich, Deutschland und Schweden, sagte er. Daher seien Grenzkontrollen wichtig.
Er zählte eine Reihe von Straftaten auf, die Flüchtlinge in Österreich begangen hatten und meinte,
davor müsse man die ÖsterreicherInnen schützen.
Lopatka: Vertrauen der Menschen erhalten
ÖVP-Abgeordneter Reinhold Lopatka betonte, die Flüchtlingskrise 2015 dürfe sich nicht wiederholen.
Die Bundesregierung handle mit der Aufrechterhaltung der Grenzkontrollen im Sinne der österreichischen Bevölkerung
und im Sinne der Weiterentwicklung der Europäischen Union. "Wer das Lebensgefühl und die Sorgen
der Menschen nicht ernst nimmt, schadet der EU", erklärte er. Es gehe darum, das Vertrauen der Menschen
in ihre Sicherheit zu erhalten. "Natürlich ist es auch unser Ziel, Binnengrenzkontrollen abzuschaffen",
unterstrich Lopatka. "Der Schlüssel dazu ist ein funktionierender Außengrenzschutz. Grenzfrei können
wir erst sein, wenn Frontex funktioniert."
NEOS orten enormen wirtschaftlichen Schaden durch Grenzkontrollen
Im Verlauf der weiteren Debatte bekräftigten Josef Schellhorn, Douglas Hoyos-Trauttmansdorff und
Irmgard Griss die Kritik der NEOS. Die Regierung betreibe reine Symbolpolitik, sagte Schellhorn. Würde man
der Argumentation der FPÖ folgen, müsste man auch die Brennergrenze schließen. Laut Schellhorn
gibt es massive Einbußen im Tourismus durch die von Deutschland durchgeführten Grenzkontrollen, auch
andere Branchen würden leiden. Hoyos-Trauttmansdorff warf der Regierung vor, der Jugend die europäische
Perspektive zu verbauen.
Auf die von den Regierungsparteien genannten Gründe für die Fortsetzung von Grenzkontrollen ging NEOS-Abgeordnete
Irmgard Griss im Detail ein. Keines der drei Hauptargumente ist ihrer Meinung nach schlüssig. Vielmehr schüre
die Regierung der Ängste der Menschen, um sich dann in ihrem Handeln auf diese Ängste zu berufen.
Liste PILZ: Regierung orientiert sich an Gefühlen statt an Fakten
Auch Alma Zadic hinterfragte die Begründung der Regierung für die Fortsetzung der Grenzkontrollen. Sie
könne keine schwerwiegende Bedrohung der inneren Sicherheit durch die wenigen Flüchtlinge, die derzeit
noch nach Österreich kommen, wahrnehmen, sagte sie. Innenminister Herbert Kickl orientiere sich bei seiner
Politik an Gefühlen und nicht an Fakten. Es sei wichtig, einen ordentlichen EU-Außengrenzschutz zu haben,
bekräftigte Zadic, innerhalb der "europäischen Familie" brauche es aber Vertrauen. Die Werte
und die Solidarität, auf denen die EU aufgebaut sei, dürften nicht gefährdet werden.
ÖVP: 2015 darf nicht wieder passieren
Seitens der ÖVP wies Eva-Maria Himmelbauer auf den ihrer Meinung nach klar proeuropäischen Kurs der Regierung
hin. Niemand im Nationalrat wolle die Grundfreiheiten der EU abschaffen, ist sie überzeugt. Die Fortführung
der Grenzkontrollen sei aber notwendig, damit sich die Ereignisse des Jahres 2015 nicht wiederholen. Das hob auch
ihr Fraktionskollege Nikolaus Berlakovich hervor. Damals seien 600.000 Menschen durch Österreich durchgereist
bzw. geblieben. Dass man nunmehr Maßnahmen ergreife, um unkontrollierte Grenzübertritte zu verhindern,
hält Berlakovich auch zur Abschreckung von Schleppern für geboten. Die Kosten für die Grenzkontrollen
betragen ihm zufolge 20 Cent pro Einwohner und Monat.
Karl Nehammer (ÖVP) bekräftigte die Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz an jenen NGOs, die Flüchtlinge
aus dem Mittelmeer retten. Die NGOs würden das unselige Geschäft der Schlepper vollenden, meinte er.
Es dürfe nicht sein, dass die Besteigung eines Bootes jenseits des Mittelmeers ein sicheres Ticket nach Europa
bedeute. Es sei richtig, Menschen zu retten, aber es sei falsch, sie nach Europa zu bringen.
FPÖ: Bevölkerung unterstützt Grenzkontrollen
An die Ereignisse des Jahres 2015 erinnerte auch Josef A. Riemer (FPÖ). Mit den damaligen Flüchtlingen
seien auch Kriminelle ins Land gekommen, hob er hervor. Viele seien auch untergetaucht. Durch die türkis-blaue
Regierungspolitik sieht Riemer nunmehr sichergestellt, dass so etwas nicht wieder passiert. Er ortet auch breite
Unterstützung in der Bevölkerung für Grenzkontrollen.
Riemers Parteikollegin Susanne Fürst führt den Flüchtlingsstrom der letzten Jahre nicht zuletzt
auf den arabischen Frühling zurück. Solange Muammar Gaddafi in Libyen an der Macht gewesen sei, seien
keine Flüchtlingsboote von Libyen in Richtung Europa See gestochen, sagte sie. Dass nun Chaos herrsche, dazu
hätten auch die europäischen Länder ihren Beitrag geleistet. Von der Fortsetzung der Grenzkontrollen
erwartet sich Fürst mehr Sicherheit in Österreich, das müsse dem Staat auch etwas wert sein.
Scharf Kritik an der Opposition übte Johann Gudenus (FPÖ). Diese stehe für illegale Massenzuwanderung
und treibe durch die Befürwortung eines EU-Bundesstaats die Selbstauflösung Österreichs voran, glaubt
er. Im Gegensatz dazu, sorge die FPÖ dafür, dass illegale Migration in Zukunft keinen Platz mehr habe.
SPÖ: Regierung soll sich mehr um Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping kümmern
Nach Meinung der SPÖ setzt die Regierung hingegen die falschen Prioritäten. Mit der Verlängerung
der Grenzkontrollen würden die Probleme, die es am österreichischen Arbeitsmarkt gebe, nicht gelöst,
gab Josef Muchitsch zu bedenken. Schließlich würden Billigarbeitskräfte aus anderen EU-Ländern
mit einem Reisepass nach Österreich einreisen. Auch Jörg Leichtfried hält einen forcierten Kampf
gegen Lohn- und Sozialdumping für sinnvoller als halbherzige Grenzkontrollen.
Leichtfried warf der Regierung außerdem vor, Grenzen in den Köpfen der Menschen zu schaffen und die
Chance, die der EU-Ratsvorsitz bietet, zu "versemmeln". Hätte man in der Vergangenheit eine Politik
wie heute betrieben, würden Nationalismus und "Kleinstaaterei" Europa immer noch dominieren. Von
einem Ablenkungsmanöver der Regierung sprach SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz, ihre Fraktionskollegin Doris
Magreiter wies auf darauf hin, dass die Grenzkontrollen den Betrieben viele Millionen kosten.
Yilmaz warf außerdem einen anderen Blickwinkel auf die Ereignisse von 2015. Wien und Berlin seien damals
die Kommandozentrale der Humanität in Europa gewesen, sagte sie. Hätten der damalige österreichische
Bundeskanzler Werner Faymann und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht die Grenzbalken hochgezogen,
hätte es Tote gegeben, ist sie überzeugt. Ja, der Staat sei überfordert gewesen, räumte Yilmaz
ein, aber sie sei stolz auf die Hilfe, die damals von vielen Menschen und der öffentlichen Hand geleistet
wurde.
In einem letztendlich mehrheitlich abgelehnten Entschließungsantrag forderte die SPÖ u.a. einen Europäischen
Marshallplan für Afrika und eine Erhöhung der österreichischen Entwicklungshilfeausgaben zur Bekämpfung
von Fluchtursachen und einheitliche europäische Asylverfahren.
Bißmann mahnt einiges Europa ein
In der Debatte zu Wort meldeten sich schließlich auch die beiden fraktionslosen Abgeordneten Martha Bißmann
und Efgani Dönmez, die jedoch sehr divergierende Standpunkte vertraten. So wertete Bißmann Grenzkontrollen
innerhalb des Schengenraums als völlig nutzlos, teuer und EU-rechtswidrig. Die österreichische Regierung
solle danach streben, Europa zu einen und den Kooperationsgeist zu fördern, forderte sie. Stattdessen schüre
sie Ängste und treibe die Spaltung der Gesellschaft bewusst voran. Laut Bißmann kostet die Abschottungstendenz
Österreich eine Mrd. € im Jahr.
Für den fraktionslosen Abgeordneten Efgani Dönmez ist es hingegen eine zentrale Aufgabe des Staates,
seine Grenzen zu schützen. Dass sich im Jahr 2015 so viele Flüchtlinge auf den Weg nach Europa gemacht
haben, ist für ihn vor allem die Schuld der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit Aussagen wie
"wir schaffen das" Flüchtlinge dazu bewogen habe, ihre damaligen Zufluchtsländer zu verlassen.
Diese Aussagen werden ihm zufolge auch noch in den nächsten Jahren Folgewirkung haben. Für den von Dönmez
verwendeten Ausdruck "sprechende Raute" gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin urgierte SPÖ-Abgeordneter
Jörg Leichtfried einen Ordnungsruf – Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller will das
prüfen.
|