ExpertInnen diskutierten Migration als Chance und Verantwortung für die Wirtschaft
Innsbruck (lk) - Es sind einige der aktuellsten gesellschaftspolitischen Fragen: Braucht unsere Gesellschaft–
und vor allem die Wirtschaft – Migration? Und wenn ja, wieviel? Verschärft sich der Wettbewerb um Arbeitsplätze
oder werden neue geschaffen? Oder sollen nur FacharbeiterInnen ins Land kommen? Antworten auf diese und weitere
Fragen standen am 17. Oktober im Landhaus bei der Integrationsenquete zur Diskussion, bei der sich VertreterInnen
aus Wirtschaft und Politik mit WissenschaftlerInnen austauschten.
Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Sozialsystem
Untersuchungen belegen, dass die Auswirkungen der Zuwanderung auf die heimischen Arbeitskräfte eher gering
ausfallen. Maßgebliche Faktoren sind die Qualifikation der Zugewanderten und die Integration der Arbeitskräfte
in die Gesellschaft. Eine österreichische Besonderheit ist, dass die Löhne von hoch qualifizierten Arbeitskräften
bei Zuwanderung von niedrig qualifizierten Arbeitskräften steigen. Die niedrig qualifizierten Arbeitskräfte
geraten hingegen durch Zuwanderung von weiteren niedrig qualifizierten Arbeitskräften unter Druck. Von Verdrängungsprozessen
sind in erster Linie Arbeitskräfte mit weiter zurückliegender Migrationsgeschichte betroffen.
Die Effekte von Migration auf die heimische Wirtschaft werden durchgängig mit wachstumssteigernd bewertet.
Berechnungen zeigen, dass die Asylzuwanderung von 2016 bis 2020 zu einer Zunahme der Beschäftigung um 69.000
Personen gegenüber einem Szenario ohne Zuwanderung führt. Es kann von einem Wertschöpfungswachstum
von 1 Prozent, aber auch von einer – vor allem aufgrund höherer Arbeitslosigkeit unter geflüchteten Menschen
– höheren Arbeitslosigkeit von 0,6 Prozentpunkten ausgegangen werden.
Was den Einfluss der Zuwanderung auf den Sozialstaat betrifft, so zeigen Forschungen, dass Migration tendenziell
einen Beitrag zur Entlastung des Wohlfahrtsstaates leistet und Menschen mit Migrationshintergrund mehr in die staatlichen
Sozialtöpfe einzahlen, als sie aus diesen erhalten.
Integration ist das A und O
„Wenn integrative Maßnahmen greifen und eine aktive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik betrieben wird, kommt
es für Österreich zu einer Win-Win-Situation: Wohlfahrt, Sozialsystem, Wirtschaftswachstum und Exporte
profitieren von zugewanderten Arbeitskräften“, betont Integrationslandesrätin Gabriele Fischer. Je mehr
an Bildung, Qualifikation und Arbeitsmarktintegration Zugewanderte erfahren, desto höher ist ihr Beitrag zur
wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.
„Der Titel ‚Lohnt sich Integration?‘ ist durchaus provokant. Tatsächlich ist der wirtschaftliche Blick auf
Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung gegenwärtig dominant – in der politischen Debatte
und der öffentlichen Wahrnehmung. Wenn gegen die Abschiebung von jugendlichen Asylwerbern in Lehrausbildung
der Bedarf von Wirtschaft und Arbeitsmarkt ins Treffen geführt wird, folgt auch diese vordergründig humanitäre
Geste eigentlich der Logik einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Dabei sollten weder Politik noch Wirtschaft aus dem Blick
verlieren, dass es zuerst und zuoberst gilt, gemeinsam für humanitäre Grundrechte einzutreten und die
Voraussetzungen für Teilhabe am Gesellschafts- und Arbeitsleben zu sichern. Hinzu kommt, dass viele zusätzliche
geringerqualifizierte, billige Arbeitskräfte nicht nur die Wirtschaft wachsen lassen, sondern auch die Kluft
zwischen Arm und Reich in unserem Land. Das Motto einer sich für alle ‚lohnenden‘ Integration sollte daher
sein: Gemeinsam für Verteilungsgerechtigkeit für alle sorgen“, ist Innsbrucks StRin Elisabeth Mayr überzeugt.
„Nur 30 Prozent aller hochqualifizierten mobilen Personen aus Drittstaaten entscheiden sich derzeit für einen
Mitgliedstaat der EU. Hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zieht es eher in die USA, nach Kanada
oder Australien. Es besteht dringender Aufholbedarf, was die Attraktivität Österreichs für internationale
Talente anbelangt“, stellt Margit Kreuzhuber, Beauftragte für Migration und Integration in der Wirtschaftskammer
Österreich, klar. „Rund ein Fünftel aller in Tirol unselbständig Beschäftigten sind Ausländer.
Ohne die 68.816 ausländischen Beschäftigten wäre der Wohlstand Tirols nicht vorstellbar. Sie leisten
einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung des Landes“, erläutert Stefan Garbislander, Leiter der Abteilung
Wirtschaftspolitik und Strategie der WK Tirol.
Peter G. Kirchschläger, Ordinarius für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik
ISE an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, beleuchtete die Forderung der Wirtschaft nach
qualifizierter Zuwanderung aus ethischer Sicht: „Es stellt sich die Frage, wer von Migration profitiert und in
welcher Form die Zuwanderung stattfinden soll. Auch muss hinterfragt werden ob und – falls ja – inwiefern Akteurinnen
und Akteuren der Wirtschaft eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Verantwortung im Zusammenhang mit
Migration zukommt“.
„Integration ist das A und O, wenn es darum geht, die positiven Impulse/Effekte von Migration auf die Wirtschaft
zu nutzen. Diese muss daher schon bei Ankunft der geflüchteten Menschen beginnen. Um die Integration in den
Arbeitsmarkt zu erleichtern, sollte auch der entsprechende Zugang während des Asylverfahrens offen sein –
ganz besonders für junge Menschen, die eine Lehre absolvieren möchten“, so LRin Fischer abschließend.
Dies würde auch dem Bedarf an Fachkräften in den Betrieben entgegenkommen.
Link zum Landes-Film über den 9. Integrationsenquete zum Thema „Lohnt sich Integration“?
http://www.youtube.com/watch?v=8ptfIG6c2j4&feature=youtu.be?
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