Zahl der neu anhängigen Verfahren gegenüber 2016 um 43% gestiegen
Wien (pk) - Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) stöhnt unter enormer Arbeitsbelastung. Die Zahl der neu
anhängigen Verfahren steigt seit 2014 kontinuierlich an, allein im vergangenen Jahr war ein Plus von 43% zu
verzeichnen. Das geht aus dem Tätigkeitsbericht des Höchstgerichts für 2017 hervor, den Justizminister
Josef Moser nunmehr dem Nationalrat vorgelegt hat ( III-198 d.B. ). Folge ist, dass die Zahl der zum Jahresende
offenen Verfahren erstmals seit der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit wieder zugenommen hat. Sollte sich an
der Budget- und Personalsituation nichts ändern, wird der Rückstau weiter wachsen, befürchtet VwGH-Präsident
Rudolf Thienel.
Der Verwaltungsgerichtshof weist im Bericht darauf hin, dass er wiederholt vor der nunmehrigen Entwicklung gewarnt
habe. Anders als das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und das Bundesverwaltungsgericht habe er kein
zusätzliches Personal für die Bearbeitung von Asylfällen bekommen. Die Budgetnöte zwingen den
Gerichtshof vielmehr sogar dazu, offene Richterstellen erst mit einer gewissen Zeitverzögerung nachzubesetzen
und die eine oder andere Stelle im Verwaltungsapparat gänzlich unbesetzt zu lassen. Zwar ist durch die vorübergehende
Verfügbarkeit einer zusätzlichen Richterstelle und zweier zusätzlichen Stellen für wissenschaftliche
MitarbeiterInnen zwischen Mitte 2018 und Ende 2019 eine leichte Entspannung in Sicht, angesichts der aktuellen
Entwicklung bei den Anfallszahlen wagt Thienel jedoch zu bezweifeln, dass damit der weitere Aufbau von Rückständen
vermieden werden kann. Damit drohen nicht nur in Asylangelegenheiten Verfahrensverzögerungen, sondern auch
in anderen Rechtsbereichen.
7.315 neue Verfahren, 6.633 Erledigungen
Insgesamt sind beim Verwaltungsgerichtshof im Jahr 2017 laut Bericht 7.315 neue Verfahren angefallen. 2016 waren
es im Vergleich dazu rund 5.100, 2015 rund 4.600 gewesen. Nicht nur die Zahl der Beschwerdefälle in Asylangelegenheiten
hat deutlich zugenommen (2017: 2.321, 2016: 1.580), sondern auch jene im Glücksspielbereich, wo im vergangenen
Jahr 976 neue Fälle zu verzeichnen waren. Der VwGH hat auf diese Entwicklung damit reagiert, dass nun auch
im Bereich des Glücksspielrechts – wie im Asylbereich – eigene Teams wissenschaftlicher MitarbeiterInnen zur
Unterstützung der RichterInnen zur Verfügung stehen. Ein Großteil der neuen Verfahren betraf außerordentliche
Revisionen (87%), 6% waren ordentlichen Revisionen, 7% Fristsetzungsanträgen zuzuordnen. Dazu kommen einzelne
Feststellungsanträge und Verfahren betreffend Kompetenzkonflikte.
Die Zahl der im Jahr 2017 vom Verwaltungsgerichtshof erledigten Verfahren wird im Bericht mit 6.633 ausgewiesen.
Auch das ist eine signifikante Steigerung gegenüber 2016 (5.500). Zum Jahresende waren damit noch 2.821 Fälle
offen (2016: 2.139). Auf die durchschnittliche Verfahrensdauer hatte der Anstieg der Verfahren allerdings keine
Auswirkungen, diese konnte, bedingt durch die hohen Erledigungszahlen, im Gegenteil sogar weiter gesenkt werden.
Sie lag 2017 bei 4,6 Monaten (2016: 6,9 Monate).
973 BeschwerdeführerInnen erfolgreich
Die Chance für BeschwerdeführerInnen, vom Verwaltungsgerichtshof Recht zu bekommen, ist grundsätzlich
keine schlechte, wobei der Prozentsatz der Stattgaben, also der Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen
Entscheidung, bei ordentlichen Revisionen mit 35% wieder signifikant höher war als bei außerordentlichen
Revisionen (23%). Rechnet man sämtliche Verfahren ein, ergibt sich für die Stattgaben ein Wert von 15%
(973), dazu kommen 277 Abweisungen (4%), 2.637 Zurückweisungen (40%), 558 Einstellungen (8%) und 2.188 "sonstige
Erledigungen" (33%), zu denen auch Entscheidungen über Anträge auf Verfahrenshilfe gehören.
Neben dem Asylrecht (2.321), dem Glücksspielrecht (976) und dem Fremdenrecht (564) betrafen die häufigsten
Verfahren im Jahr 2017 die Bereiche Abgaben (381), Baurecht (371), Bodenreform (256), Arbeitsrecht (249) sowie
Straßenverkehrsordnung und Kraftfahrgesetz (239).
Neue Akademie soll Qualität der Verwaltungsgerichtsbarkeit sichern
Als wichtiges Instrument zur Qualitätssicherung wertet der Verwaltungsgerichtshof die auch unter seiner
Beteiligung an der Johannes Kepler Universität eingerichtete "Österreichische Akademie der Verwaltungsgerichtsbarkeit
für Recht, Management und Innovation". Sie dient zum einen der Fortbildung von VerwaltungsrichterInnen
sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene und soll darüber hinaus den Wissensaustausch in Rechtsfragen
und in Managementfragen fördern.
Insgesamt waren am Verwaltungsgerichtshof 2017 neben dem Präsidenten, der Vizepräsidentin und 13 SenatspräsidentInnen
weitere 53 RichterInnen tätig. Dazu kommen 45 Planstellen für wissenschaftliche MitarbeiterInnen und
weiteres Verwaltungspersonal.
Arbeitsloser muss unterkollektivvertraglich entlohnte Arbeit nicht annehmen
Im Bericht werden auch wieder einige ausgewählte Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs angeführt.
So hat der VwGH etwa bekräftigt, dass ein Arbeitsloser seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe
nicht verliert, wenn er eine unterkollektivvertraglich entlohnte Arbeit nicht annimmt. Für den Führerscheinentzug
bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h außerhalb des
Ortsgebiets ist es unerheblich, ob die Geschwindigkeitsbeschränkung aus Gründen der Verkehrssicherheit
oder auf Basis des Immissionsschutzgesetzes Luft (IG-L) erlassen wurde. Steht ein Hauptwohnsitz auf einem großen,
über einen normalen Bauplatz hinausgehenden Grundstück, ist bei einem Verkauf nicht die gesamte Liegenschaft
von der Immobilienertragssteuer befreit. Deutschkurse können laut VwGH hingegen als außergewöhnliche
Belastungen steuerlich geltend gemacht werden, wenn diese dem ausländischen Ehepartner verpflichtend vorgeschrieben
wurden und ansonsten eine Abschiebung droht.
Nicht bestraft werden kann ein Landwirt, der zu einem Zeitpunkt, in denen Rasenmähen und ähnliche Gartenarbeiten
örtlich verboten sind, mit einem Traktor landwirtschaftliche Mäharbeiten durchführt, sofern diese
nicht in die allgemeine Nachtruhezeit fallen. SüdtirolerInnen, deren Vorfahren auf Basis des Staatsvertrags
von St. Germain die italienische Staatsbürgerschaft erhalten und die österreichische verloren haben,
haben keinen Anspruch auf einen österreichischen Pass. Klargestellt hat der VwGH außerdem, dass die
Bundesorganisation einer Partei auch dann belangt werden kann, wenn der vorzulegende jährliche Rechenschaftsbericht
aufgrund fehlender Angaben einer Landesorganisation unvollständig ist.
In einigen Fällen hat sich der VwGH mit der Bitte um Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof
(EuGH) gewendet. Dabei geht es etwa um die Energieabgaben-Vergütung für die Jahre 2011 bis 2014, die
Stabilitätsabgabe für Kreditinstitute und die Frage, ob die Auswahl der Betrieblichen Vorsorgekasse dem
Vergaberecht unterliegt. Ebenso will der Verwaltungsgerichtshof wissen, ob es zulässig ist, einem Flüchtling
subsidiären Schutz abzuerkennen, wenn sich an der Situation in seinem Heimatland nichts geändert hat,
die Behörde durch neue Ermittlungsergebnisse aber zum Schluss kommt, dass kein Schutzstatus erforderlich ist.
Auch die Frage, ob grenzüberschreitend tätiges Servicepersonal in Zügen der EU-Entsenderichtlinie
unterliegt, soll der EuGH klären.
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