Lesung "Frauenstimmen" im Palais Epstein gibt Frauen der Vergangenheit eine Stimme
Wien (pk) - Historische Ereignisse werden meist aus einer männlichen Perspektive dargestellt und auf
diese Weise ein Teil des kulturellen Gedächtnisses. Frauen waren hingegen lange Zeit von der öffentlichen
Erinnerung und damit auch aus dem kulturellen Gedächtnis nahezu ausgeschlossen. Einen Beitrag zur Korrektur
dieses Befundes stellt die von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures initiierte Veranstaltungsreihe
"Frauen im Gedenkjahr 2018" dar. Das vierte Event in dieser Reihe stand unter dem Titel "Frauenstimmen"
und präsentierte am 22. Oktober Texte von Frauen, in denen diese über ihr politisches und privates
Leben in den Jahren 1918, 1938 und 1968 erzählen.
Das Jahr 1918 steht für das Ende des Ersten Weltkriegs und den Beginn der Ersten Republik. Die sehr bald darauf
beginnende Zerstörung der Demokratie gipfelte im sogenannten Anschluss 1938, dem die sieben Jahre des dunkelsten
Kapitels der österreichischen Geschichte folgten. 1968 ist dagegen zum Symbol des Aufbruchs in eine freiere,
modernere Zeit geworden. Die Doyenne des Burgtheaters Elisabeth Orth und die Kammerschauspielerin und Regisseurin
Maria Happel konnten für die Lesung gewonnen werden. Moderiert wurde der Abend von der ORF-Journalistin Zita
Bereuter.
Bures: Es gilt auch heute, sich solidarisch für Frauenrechte einzusetzen
"Die Geschichten der Frauen, die in dieser Lesung vorgestellt werden, erinnern daran, dass es immer galt,
für das Neue und mehr Gleichberechtigung zu kämpfen", sagte Zweite Nationalratspräsidentin
Doris Bures in ihren Begrüßungsworten. "Sie sind eine Aufforderung an uns alle, uns auch heute
mutig und solidarisch für mehr Frauenrechte einzusetzen."
Bures erinnerte an die fundamentale Frage der Erinnerungsforscherin Aleida Assmann: "Wer entscheidet eigentlich
darüber, was uns aus der Vergangenheit in Erinnerung bleibt?" Die diesjährige Friedenspreisträgerin
des deutschen Buchhandels stellte diese Frage anlässlich der Auftaktveranstaltung der Reihe am Vorabend des
internationalen Frauentags und kam zu dem Befund, dass sich eine enorme Kluft zwischen dem individuellen einerseits
und dem nationalen und kulturellen Gedächtnis andererseits auftut. Die Anteile von Männern und Frauen
am "offiziellen" Erinnern und Gedenken gehen dramatisch auseinander. "Das von Assmann angesprochene
dramatische Auseinanderklaffen hat dazu geführt, dass die Frauenperspektive in der Geschichtsschreibung viel
zu oft fehlt", sagte Bures. Am heutigen Abend gehe es daher darum, bewusst diese Perspektive einzunehmen.
Die Texte der Lesung wurden von Universitätsdozentin Maria Mesner vom Institut für Zeitgeschichte ausgesucht
und von der Forscherin Maria Steiner arrangiert. Sie stellen unterschiedliche Frauen und ihre Erinnerungen in den
Mittelpunkt. Den Anfang machten die Erinnerungen des Badener Arbeiterkindes Maria Toth an den Ersten Weltkrieg.
Das Frauenwahlrecht und die politische Teilnahme von Frauen ist Anliegen eines Artikels, den die sozialistische
Abgeordnete Therese Schlesinger für die "Arbeiterzeitung" verfasste. Literarisch verarbeitet werden
diese Themen im Gedicht "Den Frauen" von Adele Schrammel. Die einschneidenden Auswirkungen des Jahres
1938 auf den Alltag von Frauen werden in den Berichten von Karoline Kohn und der Linzer Rüstungsarbeiterin
Anna T. spürbar. Den Geist von 1968, zu dem das Hinterfragen von gesellschaftlichen Normen und damit auch
von Geschlechterrollen gehört, bringen Erinnerungstexte von Barbara Coudenhove-Kalergi und Erica Fischer zum
Ausdruck. Das Schlusswort bildete das 1930 verfasste, aber immer noch in Vielem aktuelle Gedicht von Marie Jahoda
"Wir Frauen von heute".
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