Empfang für Shoah-Überlebende im österreichischen Parlament
Wien (pk) - "Österreich hat sich lange im Selbstverständnis, ein 'Opfer' des Dritten Reichs
gewesen zu sein, seiner Verantwortung gegenüber den wirklichen Opfern entschlagen – in Fragen der Restitution
und der Wiedergutmachung genauso wie im Verhältnis zum Staat Israel". Erst spät und zögerlich
seien relevante Schritte gesetzt worden. Die wiedererstandene Republik Österreich habe nach 1945 kein Ruhmesblatt
für sich geschrieben. Das betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka am 9. November anlässlich
des Empfangs für österreichische Shoah-Überlebende aus Israel, die sich derzeit auf Einladung der
Bundesregierung in Wien aufhalten. Der Empfang fand im Großen Redoutensaal in der Hofburg zum Gedenken an
die Novemberpogrome vor 80 Jahren statt.
Sobotka: Österreich hat sich verändert
Viele Österreicherinnen und Österreicher hätten Schuld auf sich geladen. Der Nationalratspräsident
drückte in diesem Zusammenhang sein tiefes Bedauern darüber aus, dass man sich zu keinem Zeitpunkt dazu
durchgerungen hat, jene, die vertrieben wurden, zur Rückkehr in die alte Heimat, zur Rückkehr in ihr
altes Eigentum einzuladen. "Als oberster Repräsentant der österreichischen Volksvertretung Ihrer
Geburtsheimat", so Sobotka an die anwesenden Überlebenden der Shoah persönlich gerichtet, "empfinde
ich vor diesem Hintergrund die moralische Verantwortung, mich in aller Demut und mit allem Respekt vor Ihnen zu
verneigen und Sie für Österreich um Verzeihung zu bitten."
Dennoch habe sich Österreich verändert, unterstrich Sobotka, auch wenn niemand ersetzen könne, was
den Betroffenen damals angetan und geraubt wurde. Er hob vor allem die hervorragende Arbeit des Nationalfonds der
Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus unter der Leitung von Hannah Lessing hervor.
Zudem sei es ihm wichtig, dass nun mit einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht sichergestellt werde, dass jeder
und jede, die einmal ÖsterreicherInnen waren, auch heute wieder ÖsterreicherInnen sein können –
einschließlich ihrer Nachfahren.
Als ein markantes, sichtbares und berührendes Zeichen dieser Änderung wies der Nationalratspräsident
auf die Lichtinstallation auf der Fassade des Büroturms einer Versicherung in Wien hin, mit der dieser Tage
an die Opfer der Shoah gedacht wird. An der Stelle, wo der Büroturm heute steht, lebten im Jahr 1928 Bürgerinnen
und Bürger, die allein aus dem Grund, weil sie Jüdinnen und Juden waren, deportiert, gedemütigt,
gefoltert und ermordet wurden. Die Namen dieser 68 Menschen scheinen nun mittels dieser Lichtinstallation auf –
eine Kooperation der Versicherung mit einer Bank und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands.
Dieses privat organisierte Gedenken stehe symbolisch für alle 66.000 ermordeten Österreicherinnen und
Österreicher, sagte Sobotka, verbunden mit einer klaren Botschaft: "Niemals wieder dürfen Verhetzung
und Hass unser Land und unsere Gesellschaft derart bestimmen und zu Taten verleiten, die gegen alles gehen, was
uns als Menschen ausmacht". Sobotka dankte auch Kurt Y. Tutter, der immer an sein Projekt der Namensmauer
geglaubt hat, welches nun realisiert werde. Damit werde den 66.000 Ermordeten im Tod ihre Identität im öffentlichen
Raum wiedergegeben.
Einmal mehr appellierte der Nationalratspräsident, sich der Geschichte zu stellen, denn wer das nicht tue,
den stelle die Geschichte. Sich zu erinnern, eröffne die Chance, aus der Vergangenheit die richtigen Schlüsse
zu ziehen. Zu gedenken, gebe dem Vergangenen für Gegenwart und Zukunft Bedeutung und Relevanz, so der Nationalratspräsident.
Talya Lador-Fresher: Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Die Botschafterin Israels, Talya Lador-Fresher unterstrich in ihren Grußworten die guten Beziehungen zwischen
Israel und Österreich. Die heute anwesenden Überlebenden der Shoah sind für sie eine Brücke
zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Lador-Fresher erinnerte an die November-Pogrome und schloss mit einem Gedicht
des jüdischen Poeten Jehuda Amichai.
Zahlreiche VertreterInnen des offiziellen Österreich und der Glaubensgemeinschaften beim Empfang
Sobotka konnte bei dem Empfang den Präsidenten der Vereinigung österreichischer PensionistInnen in Israel,
Gideon Eckhaus, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundesratspräsidentin Inge Posch-Gruska sowie
die Zweite und Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures und Anneliese Kitzmüller, weiters Bundeskanzler
Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, als Vertreter der Glaubensgemeinschaften Kardinal Christoph
Schönborn, Bischof Bünker, den Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft Ibrahim Olgun und
Metropolit Arsenios und die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer
des Nationalsozialismus, Hannah Lessing, begrüßen.
Die Rede zum Gedenken hielt der aus Wien stammende US-amerikanische Rabbiner Arthur Schneier. Architekt Kurt Y.
Tutter gab Einblicke in die geplante Shoah Namensmauern Gedenkstätte in Wien, die im Ostarrichipark vor der
Nationalbank geplant ist. Auf dem Mahnmal sollen die Namen aller 66.000 jüdischen Holocaust-Opfer aus Österreich
eingraviert werden.
Abschließend sprach Bundeskanzler Sebastian Kurz Worte zum Gedenken.
Das Selini-Quartett begleitete die Veranstaltung musikalisch mit Werken von Hugo Kauder und Ludwig van Beethoven.
Ausgewählt wurde die Musik vom exil.arte Zentrum der Universität für Musik und darstellende Kunst.
Im Anschluss an den Empfang begab sich eine Delegation zum Ostarrichipark, wo das Projekt von Kurt Y. Tutter mittels
einer Tafel visualisiert wurde.
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