Brüssel (ec) - Nachdem das Wachstum im Euroraum im Jahr 2017 mit 2,4 Prozent den höchsten Stand seit
10 Jahren erreicht hatte, dürfte es sich den Prognosen zufolge im Jahr 2018 auf 2,1 Prozent abschwächen
und sich 2019 und 2020 mit 1,9 Prozent bzw. 1,7 Prozent weiter verlangsamen. Diese Zahlen hat die Europäische
Kommission am 8. November im Rahmen ihrer Herbstprognose bekanntgegeben. Für Deutschland erwartet die Kommission
2018 ein Wachstum von 1,7 Prozent, im kommenden Jahr sind es 1,8 Prozent.
Die außergewöhnlich günstige globale Lage im vergangenen Jahr hat die starke Wirtschafts- und Investitionsleistung
in der EU und im Euroraum begünstigt. Trotz eines mit stärkeren Unsicherheiten behafteten Umfelds wird
davon ausgegangen, dass aufgrund der Stärke des Binnenkonsums und der Investitionstätigkeit alle Mitgliedstaaten
weiter wachsen werden, wenn auch langsamer. Kommt es nicht zu größeren Schocks, sollte Europa in der
Lage sein, weiterhin ein über dem Potenzialwachstum liegendes Wirtschaftswachstum, einen kräftigen Zuwachs
an Arbeitsplätzen und sinkende Arbeitslosenzahlen zu gewährleisten. Dieses Basisszenario ist jedoch einer
zunehmenden Anzahl miteinander verbundener Abwärtsrisiken ausgesetzt.
Valdis Dombrovskis, Vizepräsident für den Euro und den sozialen Dialog, außerdem zuständig
für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion, erklärte: „Alle Volkswirtschaften
in der EU werden in diesem und im nächsten Jahr aller Voraussicht nach Wachstum verzeichnen, und das schafft
weitere Arbeitsplätze. Allerdings nehmen sowohl die externen als auch die internen Unsicherheiten und Risiken
zu und schlagen sich allmählich auf das Wirtschaftswachstum nieder. Wir müssen wachsam bleiben und mehr
dafür tun, dass unsere Volkswirtschaften noch widerstandsfähiger werden. Auf EU-Ebene bedeutet dies,
dass wir konkrete Beschlüsse über die weitere Konsolidierung unserer Wirtschafts- und Währungsunion
fassen müssen. Auf nationaler Ebene ist es jetzt umso wichtiger, Haushaltspolster aufzubauen und die Schulden
abzubauen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Vorteile des Wachstums auch den schwächsten Mitgliedern
der Gesellschaft zugutekommen.“
Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, ergänzte:
„Die europäische Wirtschaft hält sich wacker, und das Wachstum lässt nur langsam nach. Wir rechnen
damit, dass sich diese Entwicklung in den nächsten zwei Jahren fortsetzen wird, da die Arbeitslosigkeit weiter
rückläufig ist und ein Niveau erreicht hat, das es seit der Krise nicht mehr gegeben hat. Die öffentlichen
Schulden im Euroraum dürften weiter zurückgehen und das Defizit wird wohl deutlich unter 1 Prozent des
BIP verbleiben. In einem zunehmend unberechenbaren internationalen Umfeld müssen die politischen Entscheidungsträger
in Brüssel und den nationalen Hauptstädten mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass der Euroraum stark
genug aufgestellt ist, um mit sämtlichen künftigen Szenarien umgehen zu können.“
Binnennachfrage als Wachstumstreiber
Die zunehmende globale Unsicherheit, die internationalen Handelsspannungen und die höheren Ölpreise werden
sich wachstumshemmend auf Europa auswirken. Nach Jahren des soliden Beschäftigungswachstums könnten auch
die Aussichten auf nachlassende Verbesserungen am Arbeitsmarkt und zunehmende Probleme auf der Angebotsseite in
einigen Mitgliedstaaten diese wachstumshemmende Wirkung noch verstärken. Wachstumsimpulse werden wohl zunehmend
von innen kommen: Der private Verbrauch dürfte von einem stärkeren Lohnwachstum und steuerlichen Maßnahmen
in einigen Mitgliedstaaten profitieren. Auch die Finanzierungsbedingungen und die hohe Kapazitätsauslastung
dürften weiterhin investitionsfördernd wirken. Zum ersten Mal seit 2007 wird im Jahr 2019 mit einem Anstieg
der Investitionen in allen Mitgliedstaaten gerechnet.
Arbeitslosigkeit weiter rückläufig
Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich in der ersten Jahreshälfte 2018 weiter verbessert. So blieb das Beschäftigungswachstum
trotz einer Abkühlung des Wirtschaftswachstums konstant. Die Arbeitslosenquote im Euroraum dürfte in
diesem Jahr auf 8,4 Prozent und in den Jahren 2019 und 2020 auf 7,9 Prozent bzw. 7,5 Prozent sinken. Für die
EU-27 wird in diesem Jahr mit einer Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent gerechnet. 2019 dürfte sie auf 7 Prozent
und 2020 auf 6,6 Prozent sinken. Dies entspräche der niedrigsten Arbeitslosenquote seit Beginn der Erstellung
der monatlichen Datenreihe zur Arbeitslosigkeit im Januar 2000.
Ölpreise heizen Inflation an
Die Gesamtinflation dürfte im Prognosezeitraum nur moderat ansteigen. Im Euroraum wird für die Jahre
2018 und 2019 mit einer Inflation von 1,8 Prozent gerechnet, 2020 dürfte sie sich auf 1,6 Prozent abschwächen.
Die steigenden Ölpreise haben die Inflation in diesem Jahr angeheizt, und auch im ersten Quartal des nächsten
Jahres wird weiterhin mit starken positiven Basiseffekten gerechnet. Während die Kerninflation, bei der die
Preise für Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel ausgeklammert werden, in diesem Jahr bislang relativ
moderat war, wird erwartet, dass sie sich 2020 wieder als stärkste Triebkraft der Gesamtinflation erweisen
wird, da die Löhne bei einer zunehmend angespannten Lage an den Arbeitsmärkten steigen werden.
Öffentliche Finanzen: sinkende Schuldenstände und ein aggregiertes öffentliches Defizit des Euroraums
von unter 1 Prozent
Dank niedrigerer Zinsausgaben wird das gesamtstaatliche Defizit des Euroraums im Verhältnis zum BIP in diesem
Jahr voraussichtlich weiter sinken. Mit diesem Rückgang dürfte im nächsten Jahr zum ersten Mal seit
2009 Schluss sein, da der haushaltspolitische Kurs im Jahr 2019 leicht expansive Züge annehmen wird, bevor
er 2020 wieder weitgehend neutral wird. Das gesamtstaatliche Defizit des Euroraums wird voraussichtlich von 0,6
Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 0,8 Prozent im Jahr 2019 steigen und im Jahr 2020 wieder auf 0,7 Prozent fallen.
Für die EU-27 wird das gesamtstaatliche Defizit voraussichtlich von 0,6 Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 0,8
Prozent im Jahr 2019 steigen und im Jahr 2020 wieder auf 0,6 Prozent fallen. Insgesamt stellt der Trend nach wie
vor eine deutliche Verbesserung gegenüber der Situation von vor zehn Jahren dar. Damals, im Jahr 2009, lag
das Defizit im Euroraum bei 6,2 Prozent und für die EU bei 6,6 Prozent.
Unterstützt durch schuldensenkende Primärüberschüsse und ein anhaltendes Wachstum dürften
die Schuldenquoten im Euroraum und in fast allen Mitgliedstaaten weiter sinken. Die Schuldenquote des Euroraums
dürfte von 86,9 Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 84,9 Prozent im Jahr 2019 und auf 82,8 Prozent im Jahr 2020
fallen. 2014 lag sie noch bei 94,2 Prozent. In der EU-27 wird der gesamtstaatliche Schuldenstand voraussichtlich
von 80,6 Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 78,6 Prozent im Jahr 2019 und 76,7 Prozent im Jahr 2020 schrumpfen.
Zahlreiche korrelierte Risiken und Unsicherheiten trüben die Aussicht
Die Prognose ist mit vielen Unsicherheiten behaftet, und es bestehen zahlreiche miteinander verbundene Abwärtsrisiken.
Tritt eines dieser Risiken ein, könnten sich die anderen Risiken ausweiten und größere Kreise ziehen.
Eine Überhitzung der Wirtschaft in den USA, die durch prozyklische Konjunkturmaßnahmen angeheizt wird,
könnte dazu führen, dass die Zinsen schneller steigen als erwartet, was zahlreiche negative Spillover-Effekte
über die USA hinaus zur Folge hätte, insbesondere auf aufstrebende Märkte, die anfällig für
Veränderungen bei den Kapitalströmen sind und Risiken im Zusammenhang mit auf US-Dollar lautenden Krediten
ausgesetzt sind. Dies könnte die Spannungen an den Finanzmärkten noch verschärfen. Auch die EU könnte
aufgrund ihrer starken Handelsbeziehungen mit den USA und des umfassenden Engagements europäischer Banken
in Mitleidenschaft gezogen werden.
Die erwartete Ausweitung des Leistungsbilanzdefizits der USA könnte zudem zu weiteren Handelsspannungen mit
China führen. Aufgrund des Umfangs der Unternehmensverschuldung und der finanziellen Anfälligkeit Chinas
könnte dies das Risiko einer ungeordneten Anpassung in China erhöhen. Da sich stärkere Handelsspannungen
auf Vertrauen und Investitionstätigkeit auswirken und die EU stark in die globalen Wertschöpfungsketten
eingebettet ist, würden solche Spannungen auch der EU schaden. Innerhalb der EU könnten Zweifel an der
Qualität und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in hochverschuldeten Mitgliedstaaten auf die inländischen
Bankensektoren übergreifen und dadurch die Finanzstabilität infrage stellen und das Wirtschaftsgeschehen
belasten.
Schließlich bestehen nach wie vor Risiken im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Brexit-Verhandlungen.
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