Demokratie-Monitor zeigt Einstellungen
 zu Staat und seinen Institutionen

 

erstellt am
15. 11. 18
13:00 MEZ

Eine künftig jährlich durchgeführte Befragung soll der Politik als Frühwarn-Instrument dienen
Wien (pk) - Für 87 Prozent der vom Sozialforschungsinstitut SORA befragten Österreicherinnen und Österreicher ist die Demokratie die beste Staatsform – auch "wenn sie Probleme mit sich bringen mag". Das ist eines der Ergebnisse des "Österreichischen Demokratie-Monitors", der am Abend des 14. November im Parlament vorgestellt wurde. Der "Demokratie-Monitor" wurde vom Politik- und Sozialforschungsinstitut SORA anlässlich des Jubiläums "100 Jahre Republik" ins Leben gerufen. Ziel der Erhebung, die von nun an jährlich veröffentlicht werden soll, ist es, die Entwicklung der Demokratie in Österreich zu verfolgen, Fehlentwicklungen früh zu erkennen, um rechtzeitig Maßnahmen entwickeln zu können, die die Demokratie stärken. Präsentiert wurde die Studie von SORA-Geschäftsführer Günther Ogris und der SORA-Sozialforscherin Martina Zandonella auf Einladung von Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. Die JugendsprecherInnen der im Nationalrat vertretenen Fraktionen gaben Statements ab.

Die Idee, ein Demokratie-Sensorium zu entwickeln, setzte Günther Ogris um, nachdem in einer SORA-Befragung vor einem Jahr 43 Prozent der Interviewten der Aussage zugestimmt hatten, Österreich sollte von einem "starken Mann regiert werden". "Das ist eine Zahl, die erschreckt und die wir uns wissenschaftlich im größeren Zusammenhang ansehen wollten", sagte der SORA-Geschäftsführer. "Wir wollten wissen: Was steckt hinter einer solchen Aussage? Wo drückt die Menschen der Schuh?"

Demokratie ist nicht selbstverständlich
Ogris betonte die Notwendigkeit eines Instruments wie des "Demokratie-Monitors", mit dem regelmäßig beobachtet werden könne, wie sich die Einstellungen der Menschen zu den Werten der Demokratie entwickeln. "Das höchste Demokratiebewusstsein haben wir in Österreich Mitte der 1990er-Jahre gehabt", berichtete der SORA-Chef. "Damals dachte man, das würde sich so weiterentwickeln." Daher sei auch niemand auf die Idee gekommen, ein Instrument zur Messung des Demokratieverständnisses der Bevölkerung zu gestalten. Zwei Ereignisse seien zentral dafür gewesen, dass man erkannte: Demokratie ist nicht selbstverständlich. "Das waren die Anschläge des '9/11' in den USA im Jahr 2001 und die Bankenkrise 2008." 2001 hat gezeigt, dass Sicherheit in Demokratien an Einschränkungen der Demokratie geknüpft ist. 2008 hat gezeigt, dass die wirtschaftliche Entwicklung Grenzen hat.

"International ist die Zahl der Demokratien bis 2005 auf 123 gestiegen", berichtete Günther Ogris weiter. "Seither beobachten wir ein Stagnieren und teilweise Rückschritte bei demokratischen Rechten." Ogris erwähnte als Beispiele Ungarn, Polen und die Türkei. Oft seien es Militärs, die Demokratien gefährden, oft seien es demokratisch gewählte Parteien, unterstützt von Oligarchen, die wirtschaftliche und machtpolitische Interessen verkörpern. Daher sei es wichtig, dass Oppositionskräfte und Medien die politischen und wirtschaftlichen Eliten eines Landes beobachten. Aber auch die öffentliche Meinung sollte sehr genau verfolgt werden. Warnsignale müssten ernst genommen werden und zum Gegensteuern veranlassen.

Insgesamt 15 Institutionen schlossen sich der SORA-Idee des "Demokratie-Monitors" an. Das Parlament und der ORF waren unter den ersten Partnern. Der "Österreichische Demokratie-Monitor" besteht aus zwei Teilen: Einer allgemeinen Befragung zur Einstellung über die Demokratie; und einem "Lebendigkeits-Check". Für den ersten Teil wurden zwischen 30. August und 8. Oktober 2018 2.158 Personen über 16 mit Wohnsitz in Österreich telefonisch und online befragt.

Demokratieverständnis und autoritäre Ansichten
Vier Prozent der Befragten gaben an, die Demokratie als Staatsform abzulehnen und die Idee eines "starken Führers" zu unterstützen, der "sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss". Fünf Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, die Unabhängigkeit der Gerichte einzuschränken, sieben Prozent sagten, man sollte die Meinungs- und Versammlungsfreiheit stärker regulieren und acht Prozent plädierten für eine Einschränkung der Medien und der Oppositionsrechte.

Bei rund einem Drittel der Interviewten orteten die SozialforscherInnen von SORA in ihrer Analyse eine "Bereitschaft für autoritäre Maßnahmen": 34 Prozent gaben an, sie stimmten der Demokratie zwar grundsätzlich zu, sprachen sich jedoch dafür aus, mindestens eines der Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt sehen zu wollen, die Medien, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die Unabhängigkeit der Gerichte oder Oppositionsrechte.

63 Prozent der Befragten wünschten sich laut der Umfrage einen Ausbau an Rechten für ArbeitnehmerInnen, 61 Prozent ein Mehr an Beteiligungsmöglichkeiten, und je 49 Prozent sagten, die Unabhängigkeit der Gerichte und der Medien sei wichtig. 46 Prozent gaben an, sie seien für einen Ausbau des Sozialstaats.

Vertrauen in die Demokratie
64 Prozent der Befragten sagten, das politische System in Österreich funktioniere gut. Ein Drittel sah es kritisch. 44 Prozent erklärten in den Interviews, sie hielten die Demokratie in Österreich für "eher lebendig"; für 15 Prozent sei sie "eher tot". 38 Prozent sagten, sie sei "eher stark", 22 Prozent, "eher schwach". Das Vertrauensranking einiger Institutionen führte die Polizei (75 %) an, gefolgt von der Justiz (66 %), Behörden und Ämtern allgemein (60 %), dem Bundespräsidenten (58 %), dem Parlament (48 %) und der Bundesregierung (43 %) sowie der EU (39 %).

Ob die Befragten berichteten, dass sie Vertrauen in die Demokratie und ihre Einrichtungen hatten, ging offenbar mit ihrer wirtschaftlichen Situation einher. Von jenen, die ihre Zukunft laut der SORA-Umfrage finanziell als abgesichert bezeichneten, vertrauten 77 Prozent dem Staat. Von jenen, die skeptisch in ihre persönliche Zukunft blickten, gaben 40 Prozent an, dem Staat zu vertrauen. 86 Prozent von ihnen sagten, sie fühlten sich von der Politik nicht mehr repräsentiert. SORA-Sozialforscherin Martina Zandonella bezeichnete "Gleichheit, Mitbestimmung und Wohlstand" als "zentrale Versprechen der Demokratie". "Wenn sich Menschen auf Dauer davon ausgeschlossen fühlen, kann die Unzufriedenheit mit dem Output der Demokratie auf eine grundsätzliche Ablehnung der Demokratie als System durchschlagen", betonte sie.

Politische Beteiligung
In der Beteiligung am politischen Leben ortete SORA einen Zusammenhang zwischen sozialer Stellung und dem Grad der Bereitschaft zum Mitgestalten. Gemessen am Bildungsniveau, gaben 59 der Befragten mit Matura an, sich auch über Wahlen und ihr näheres Umfeld hinaus am politischen Leben aktiv zu beteiligen, bei Interviewten ohne Matura lag diese Quote bei 45 Prozent. Von jenen UmfrageteilnehmerInnen, die angaben, ihre Zukunft "sehr schlecht" abgesichert zu sehen, behaupteten 37 Prozent, sie würden über Wahlen und das nähere Umfeld hinaus das politische Leben mitgestalten; 21 Prozent von ihnen sagten, sie würden nicht mehr wählen gehen. "Diese Menschen fühlen sich politisch schlecht vertreten", erläuterte Zandonella. "Sie äußern ein geringeres politisches Interesse und sind politisch passiv oder aber enttäuscht bis wütend."

Die Sozialforscher des SORA-Instituts sahen sich auch an, wie die 300 16- bis 26-Jährigen unter den 2.158 Befragten mit ihrer politischen Bildung zufrieden waren. Sie stellten im Generationenvergleich einen "deutlichen Demokratisierungsschub" fest: Während unter den heute über 63-Jährigen 28 Prozent sagten, dass sie in ihrer Schulzeit "zumindest gelegentlich in der Schule mitbestimmen konnten", liegt dieser Anteil bei den Jüngsten bei 65 Prozent. 52 Prozent der 16- bis 26-Jährigen sagten jedoch, sie hätten "zu wenig gelernt, welche Rechte BürgerInnen haben" und "wie man politische Debatten führt". 44 Prozent meinten, sie wüssten zu wenig darüber, "wie man sich beteiligen kann", und 43 Prozent gaben an, "zu wenig gelernt zu haben, wie Qualität politischer Berichterstattung beurteilt werden kann".

Unterrichtsfach "politische Bildung"?
Hier knüpften die TeilnehmerInnen einer Podiumsdiskussion an, die im Anschluss an die Präsentation der Umfrageergebnisse stattfand. Sie wurde von Parlamentspressesprecher Karl-Heinz Grundböck moderiert. Neben Ogris und Zandonella waren das die JugendsprecherInnen der fünf Nationalratsfraktionen. ÖVP-Abgeordnete Claudia Plakolm forderte politische Bildung als Unterrichtsfach. "Hier kann man Demokratie am besten erlebbar machen, zum Beispiel durch Schülerparlamente", erwog sie. "Man muss politische Bildung dort machen, wo man Jugendliche antrifft", pflichtete ihr Eva Maria Holzleitner (SPÖ) bei. "Und man erreicht in der Schule jede Österreicherin und jeden Österreicher." Auch für NEOS-Jugendsprecher Douglas Hoyos-Trauttmansdorff wäre ein Fach "politische Bildung" ein wichtiger Schritt: "Hier könnte man Jugendlichen das demokratische Rüstzeug mitgeben." Der Nationalratsabgeordnete sprach sich gleichzeitig dafür aus, in die Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer auf diesem Gebiet zu investieren.

Grundsätzlich konnte auch die Jugendsprecherin der Liste Pilz im Nationalrat Stephanie Cox der Idee etwas abgewinnen. Sie betonte aber, die Schule sei teilweise zu starr und es werde zu frontal unterrichtet. "Demokratie muss aber greifbar gemacht werden, um zu verstehen, dass man beispielsweise andere Meinungen anerkennen muss als die eigene", erläuterte Cox. "Man sollte zum Beispiel nach Auschwitz fahren – man müsste Demokratie durch lebendiges Lernen vermitteln."

"Ich bin nicht restlos überzeugt, dass es ein Fach 'politische Bildung' geben sollte", sagte Nationalratsabgeordneter Hannes Amesbauer (FPÖ) (er vertrat die Jugendsprecherin Ricarda Berger). "Und wenn ich Ihnen zuhöre und überlege, was das bedeuten würde, bin ich immer weniger dafür. Die Gefahren überwiegen." Diese seien: "Parteipolitik hat in der Schule nichts verloren", betonte Amesbauer mehrmals. Jede Lehrerin, jeder Lehrer habe aber eine politische Meinung und der Grat zwischen Vermitteln von Inhalten und der Beeinflussung durch die eigene Meinung sei schmal – zu schmal, nach Meinung des FPÖ-Mandatars. Wichtig sei hingegen ein Fach wie "Staatsbürgerkunde", wo unterrichtet werde, wie die Demokratie aufgebaut sei, was Gewaltentrennung bedeute und wie sich die Demokratie historisch entwickelt habe. "Sie ist ja immer noch im Weiterentwickeln begriffen", wies Amesbauer hin. "Denken Sie nur an die Diskussionen um den Ausbau der Demokratie, insbesondere der direkten Demokratie."

Filterblasen und Verantwortung im Netz
Claudia Plakolm betonte, dass es auch wichtig sei, den kritischen Umgang mit Meinungen und den Diskurs zu vermitteln, und man sollte "eine Sensibilität für Demokratie schaffen". Stephanie Cox erinnerte an die "Filterblasen" im Internet und speziell am Beispiel des Facebooks, wo die Nutzerinnen und Nutzer auch durch Algorithmen der Plattform-Betreiber immer wieder nur mit der eigenen Meinung konfrontiert werden. Ziel müsse es sein, Jugendliche aus ihrer Filterblase herauszuholen und ihnen zu zeigen, dass es noch etwas anderes gibt. "Wir dürfen es nicht verharmlosen, wenn viele den Wunsch nach einem starken Führer äußern", betonte Cox.

Für Hannes Amesbauer sind Facebook und Instagram wichtige Mittel, um seine Zielgruppen zu erreichen. Er betonte dabei die Rolle der klassischen Medien. "Wenn ich die Meldung eines Printmediums kommentiere und damit vielleicht noch polarisiere, habe ich die größte Resonanz", unterstrich er. Er sah auch eine Verantwortung als Betreiber eines Facebook-Accounts darin, UserInnen zurechtzuweisen und sie nötigenfalls zu sperren, wenn Grenzen überschritten werden. "Diskussion belebt Demokratie", sagte Douglas Hoyos-Trauttmansdorff. "Wir Politikerinnen und Politiker neigen dazu, uns an Orten aufzuhalten wie hier im Parlament. Wir müssen aber versuchen, aus unserer Komfortzone herauszugehen und Menschen zu begegnen, die uns nicht beipflichten werden. Wir müssen dort hingehen, wo es weh tut." Eva Maria Holzleitner brachte den Aspekt der "Niederschwelligkeit von Informationen" zur Diskussion: "Wir müssen Internet-Inhalte mitunter mit sogenannter leichter Sprache transportieren. Aber wir müssen auf jeden Fall dort sein, wo sich die Jugendlichen aufhalten – und das ist nun einmal die digitale Welt."

SORA-Sozialforscherin Martina Zandonella wies die Politikerinnen und Politikern in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich vor allem Lehrlinge oft abgehängt fühlen. "Wenn sie hören müssen, dass man heutzutage ohne Matura nichts zählt, ist das für sie frustrierend", sagte Zandonella. "Daher brauchen sie den Zuspruch der Politikerinnen und Politiker." Wohin es führe, wenn man sie allein lasse, zeigten Daten aus der SORA-Umfrage, wonach Menschen offenbar eher zu autoritären Führerfiguren tendieren und demokratische Werte ablehnen, wenn sie sich wirtschaftlich am Abstellgleis fühlen.

Zweiter Teil des "Demokratie-Monitors": "Gesundenuntersuchung"
Im zweiten – noch ausstehenden – Teil des "Österreichischen Demokratie-Monitors" soll die Demokratie einer Art "Gesundenuntersuchung" unterzogen werden. Dabei soll laut SORA gemessen werden, wie das demokratische Leben in den Institutionen funktioniert und wie die Beteiligungsmöglichkeiten genützt werden. Damit soll eine Faktenbasis erstellt werden, aus der ein "mehrdimensionaler Index" errechnet wird. Internationale Vergleichszahlen sollen einfließen. Die Ergebnisse sollen jährlich veröffentlicht werden und "als Basis für demokratiepolitische Diskussionen zur Verfügung stehen", sagte SORA-Chef Günther Ogris. In diesen Index fließen erstens grundlegende Einstellungen zur Demokratie als System ein, zweitens die Einschätzung zur aktuellen Ausgestaltung der Demokratie in Österreich und drittens der Grad der Bereitschaft der Bevölkerung am politischen Leben teilzuhaben und mitzuwirken.

SORA startete zur Finanzierung des zweiten Umfrageteils eine Crowdfunding-Aktion. "Wenn wir einen Betrag von 30.000 Euro erreicht haben, ist der Lebendigkeits-Check mit Eigenmitteln realisierbar", erklärt Ogris. Die Kampagne wird auf der Plattform "respekt.net" durchgeführt.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at
http://www.eu2018parl.at

 

 

 

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