Meinungsunterschiede prägen Sozialausschuss-Debatte über Reformvorschlag der Regierung
Wien (pk) - Der Sozialausschuss des Nationalrats eröffnete am 14. November die Diskussion über
die geplante Sozialversicherungsreform mit einem Expertenhearing, bei dem der Hauptverband ebenso Gehör fand
wie die Wirtschaftskammer. Die Meinungen zum Reformpaket der Regierung gingen in rechtlicher, wirtschaftlicher
und sozialpolitischer Hinsicht weit auseinander. Einigkeit bestand aber darin, dass jede Strukturänderung
im Gesundheitswesen die Versorgung im Interesse der Menschen sicherzustellen habe.
Grundlage des aktuellen Reformvorhabens bildet das sogenannte Sozialversicherungs-Organisationsgesetz ( 329 d.B.
), das der Ausschuss heute zur weiteren Beratung vertagte. Vorrangiges Ziel der Strukturreform ist laut Gesetzentwurf
eine Senkung der Verwaltungskosten. Durch die mit der Zusammenlegung der Träger einhergehenden Bündelung
der Aufgaben, die vorgesehene Reduzierung der Verwaltungskörper und die Verkleinerung der Gremien – etwa im
Hauptverband, den ein verschlankter Dachverband ersetzen soll - werde es zu deutlichen Effizienzsteigerungen kommen,
macht die Regierung geltend (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1209/2018 ). Im Zeitraum 2020 bis 2023 werden kumulierte
Einsparungen bei Verwaltungs- und Sachaufwand im Ausmaß von 1 Mrd. € erwartet.
Als ExpertInnen dem Ausschuss zur Verfügung standen Hauptverband-Generaldirektor Josef Probst, Martin Gleitsmann,
Leiter der Sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer (WKO), der emeritierte Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprofessor
Bernhard Raschauer, der ehemalige Verfassungsrichter mit Spezialisierung auf Sozialrecht Rudolf Müller, Wirtschaftsrechtsprofessor
Werner Hoffmann, die ÖkonomInnen Maria Hofmarcher-Holzhacker und Ernest Pichlbauer sowie Unternehmensberater
und Gewerkschafter Wilfried Leisch.
Gleitsmann: Gesundheitssystem wird durch Strukturänderung effizienter und gerechter
Äußerst positiv zur geplanten Strukturreform äußerte sich WKO-Vertreter Gleitsmann. Die Zusammenführung
der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), die Verschmelzung der Sozialversicherungsanstalt
der gewerblichen Wirtschaft mit jener der Bauern zur Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) und
die Fusion der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau mit der Versicherungsanstalt öffentlich
Bediensteter zur neuen BVAEB wird ihm zufolge nicht nur für mehr Effizienz sorgen. "Der einheitliche
Leistungskatalog der ÖGK wird von den Versicherten auch als gerechter empfunden werden". Gerechter findet
Gleitsmann zudem das angedachte Kräfteverhältnis im künftigen System der Selbstverwaltung. Die bisherige
Mehrheit der VersichertenvertreterInnen sei "schwer zu verstehen" gewesen, erfolge doch ein Gutteil der
Finanzierung der Sozialversicherungen durch Dienstgeberbeiträge.
Um die Zahl der FunktionärInnen bei den Sozialversicherungen zu reduzieren, beabsichtigt die Regierung, als
Geschäftsführungsorgan der ÖGK und der weiterhin bestehenden Pensionsversicherungsanstalt PVA jeweils
einen 12-köpfigen Verwaltungsrat einzusetzen, der je zur Hälfte aus DienstnehmervertreterInnen und DienstgebervertreterInnen
besteht. Der Vorsitz soll halbjährlich zwischen diesen beiden Gruppen rotieren. Dieses Rotationsprinzip werde
auf "Teamarbeit ausgerichtet sein", ist Gleitsmann überzeugt.
Hoffmann: Regierungsplan kann Gesundheitswesen agiler machen
Betriebswirtschafter Hoffmann, der an der Wirtschaftsuniversität Wien strategisches Management lehrt, begrüßte
an der Regierungsvorlage neben der beabsichtigten Effizienzsteigerung durch die Bündelung von Sozialversicherungsträgern
auch Ansätze für mehr Effektivität im Gesundheitssystem. "Durch weniger Entscheidungsträger
wird das System agiler". Handlungs- und Innovationsfähigkeit würden ausgeweitet, so Hoffmann, was
wiederum den Versicherten zugutekomme.
Die Zuschreibung einer koordinierenden Rolle an den Dachverband der Sozialversicherungen macht für ihn ebenfalls
Sinn, solange unter Einbeziehung der wesentlichen Stakeholder die Parität gewahrt bleibt. Damit die neuen
Strukturen aber tatsächlich eine verbesserte Gesundheitsversorgung gewährleisten können, brauche
es einen "professionellen Fusionsplan". Der Erfolg der Sozialversicherungsreform hänge nicht zuletzt
davon ab, wie das Integrationsmanagement durchgeführt wird, appellierte er an die Politik, sofort damit zu
beginnen.
Hofmarcher-Holzhacker: Alle Interessensgruppen miteinbeziehen
Als Expertin für Gesundheitssysteme legte Hofmarcher-Holzhacker Wert darauf, dass im Rahmen der Reform die
Interessen von Arbeitgebern, Versicherten und LeistungserbringerInnen gleichermaßen zu beachten sind. "Strukturreformen
im Sozialversicherungsbereich sind immer Teil der wirtschaftspolitischen Schwerpunktsetzungen", erinnerte
sie an den österreichischen Grundkonsens, keinen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zuzulassen. Vor diesem
Hintergrund sei Sorge dafür zu tragen, dass die Versicherungen Anreize zur Weiterentwicklung ihrer Leistungen
erhalten.
Überdies erwartet Hofmarcher-Holzhacker eine Optimierung der Verwaltung, um sicherzustellen, dass bestehende
Regulierungsinstrumente wie beispielsweise regionale Strukturpläne, der Stellenplan, Bedarfs- und Entwicklungspläne
besser aufeinander abgestimmt werden. Die Stärkung der demokratischen und partizipativen Rechte in den Trägergremien
ist ihr im Zusammenhang mit der Entsendungen von RepräsentantInnen aus den gesetzlichen Vertretungen wichtig,
da sie bedeutende StellvertreterInnen für Versicherte und PatientInnen seien. Die Politik habe bei Änderungen
der Versorgungsstruktur immer auf den sozialen Zusammenhalt zu achten, appellierte die Expertin. Eine Änderung
der Machtverhältnisse müsse "langsam und durchdacht" erfolgen.
Leisch: Privatisierung der Krankenversorgung beabsichtigt
Vor einer Privatisierung des Gesundheitssystems warnte Gewerkschaftsvertreter Leisch, Mitbegründer des Blogs
"Pro Sozialversicherung". Der Gesetzesentwurf deute auf eine "Zurückdrängung der solidarischen
Sozialversicherung" hin, werde doch privaten Gesundheitsanbietern der Eingang in das öffentliche Versicherungssystem
zugesagt. Vom Einsparungsziel der Reform hält Leisch ebenfalls nichts, hier erfolge ein "Sparen ohne
Not", denn im Verhältnis zum österreichischen Bruttoinlandsprodukt verursachten die Sozialversicherungsausgaben
kein Problem. Vielmehr kämen aufgrund der Sparmaßnahmen – Stichwort Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
AUVA - auf die ÖGK hohe Mehrbelastungen zu, kritisierte er.
Kein gutes Wort fand Leisch auch für die Strukturänderung selbst, in der er eine "massive Machtverschiebung"
samt "Umfärbung der Gremien" erkennt. Die Begründung der Regierung zur paritätischen Gremienbesetzung
ließ er nicht gelten, immerhin erwirtschafteten die Arbeitnehmer ihre Sozialversicherungsbeiträge. Aus
der Kassenfusion ergebe sich keine Leistungsharmonisierung zwischen Selbständigen, Arbeitern und Angestellten
und in Hinblick auf die geplante Bündelung der Abgabenprüfung bei der Finanz sei mehr Bürokratie
zu erwarten.
Pichlbauer: Reform wird erneut scheitern
Gesundheitsexperte Pichlbauer holte zu einem Rundumschlag gegen die heimische Gesundheitspolitik aus. Seit 50 Jahren
zeigten Studien Problemfelder wie die starke Trennung des intra- und extramuralen Bereichs, Doppelgleisigkeiten
und ein Übergewicht der Spitäler auf, doch trotz steigender Gesamtkosten ändere sich kaum etwas.
Nach wie vor gebe es ungerechtfertigte Preisunterschiede bei den ÄrztInnen und keine österreichweite
Finanzierungsplanung. Pichlbauer konzedierte Österreich zwar am Beispiel der Zielsteuerungsverträge "eine
lange Geschichte der Versuche, das Gesundheitssystem zu reformieren", doch passiert sei bislang nichts.
Auch dem aktuellen Reformvorschlag sprach er ab, eine Verbesserung im Gesundheitswesen zu erreichen. Die Spitalshäufigkeit
werde weiterhin "absurd hoch" bleiben, wodurch sich vor allem in ländlichen Regionen die kassenärztliche
Versorgung ausdünne. Notwendig ist aus seiner Sicht jedenfalls eine bessere Koordinierung im Gesundheitssystem,
wobei die Finanzierung in einer Hand liegen sollte.
Probst: Schwächung der sozialen Sicherheit droht
Namens des Hauptverbands sprach sich Generaldirektor Probst dafür aus, von den Plänen zur Strukturreform
abzugehen. "Österreich hat eines der besten Sozialversicherungssysteme der Welt", dessen Weiterentwicklung
brauche klare Ziele zur Leistungsverbesserung für die Menschen. Genau diese Zielsetzung macht Probst im Reformvorhaben
aber nicht aus, im Gegenteil: der Dachverband werde auf Kosten der sozialen Sicherheit geschwächt, zumal es
aufgrund des angedachten Rotationsprinzips keinen unabhängigen Vorsitz mehr gebe. Mit der Unterteilung des
Leistungsrechts in BeamtInnen, Selbstständige und ArbeitnehmerInnen schaffe man überhaupt eine "3-Klassen-Medizin".
Weiters gingen dem System mit den kolportierten Einsparungen von 1 Mrd. € wichtige Einnahmen verloren, rügte
Probst den Sparplan wie auch die Beitragsprüfung durch die Finanz; diese werde ebenfalls in weniger Mittel
für die Sozialversicherung münden. Abzulehnen sei außerdem, dass die Geld- und Rücklagenverwaltung
der Gebietskrankenkassen künftig zentral bei der ÖGK erfolgen soll. Auf Landesebene könne dadurch
nicht mehr auf regionale Bedürfnisse eingegangen werden. Insgesamt wird laut Probst im Gesetzesentwurf das
Verfassungsprinzip der Selbstverwaltung nicht beachtet, wobei er vor allem die Parität der Arbeitnehmer- und
ArbeitgebervertreterInnen in den Verwaltungsgremien im Visier hat.
Müller und Raschauer verfassungsrechtlich uneins zum Reformentwurf
Verfassungsrechtler Müller brachte bei seiner rechtlichen Wertung der Regierungsvorlage ebenfalls mehrere
Kritikpunkte vor. "Klar verfassungswidrig" ist in seinen Augen die angestrebte Parität in den Verwaltungsgremien,
da tatsächlich die Arbeitgeberseite dadurch überrepräsentiert sei. Immerhin erhielten die Sozialversicherungen
72% ihrer Mittel aus Arbeitnehmerbeiträgen, nur 28% komme von Arbeitgeberseite.
Generell vermisst er eine demokratische Legitimierung bei den künftigen VersicherungsvertreterInnen, ihre
Aufgabeneignung könne nicht wie vorgeschlagen von einer Staatsprüfung abhängig gemacht werden. Dies
könne ebenso ein verfassungsrechtliches Problem darstellen wie die Zusammenlegung der Kassen für Selbständige
mit jener für LandwirtInnen, weil die Berufsstände sowie ihre jeweiligen Beitrags- und Leistungsrechte
unterschiedlich seien. Einen Verstoß gegen das Effizienzgebot drohe, wenn die Fusion der neun Gebietskrankenkassen
mit über 10.000 MitarbeiterInnen wirklich wie im Entwurf vorgesehen innerhalb von neun Monaten erfolgen müsse.
Diese Zeitspanne sei zu kurz, prophezeite Müller "die reale Gefahr, dass am Ende nichts funktioniert".
Verfassungsjurist Raschauer konnte hingegen die rechtlichen Kritikpunkte nicht nachvollziehen, gerade hinsichtlich
der Parität in den Selbstverwaltungsgremien. Da der Bundesgesetzgeber die Entscheidungen zur Selbstverwaltung,
die als Organisationsform ohnedies erhalten bleibe, treffe, seien diese legitim. Letztendlich betreffe die Strukturreform
"nur vom Bund gestellte Einrichtungen", gab Raschauer zu bedenken, die Länder würden nicht
berührt, wobei dies als Frage der politischen Zweckmäßigkeit verfassungsrechtlich nicht relevant
sei. Als weiteres Beispiel für eine nicht vom Verfassungsrecht umfassten Angelegenheit in der Regierungsvorlage
führte er die Genehmigung der Dienstpostenvergabe im Rahmen der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen
an.
SPÖ, Liste Pilz und NEOS hinterfragen kritisch das Reformpaket
Über die vorgeschlagene Reform wurden in der Debatte von den Abgeordneten zahlreiche Streitpunkte thematisiert.
Ausschussvorsitzender Josef Muchitsch (SPÖ) sieht durch den Entwurf zur Kassenreform den ArbeitnehmerInnen
die Macht entzogen und diese an die Arbeitgeber wandern. Zudem finde etwa keine Leistungsharmonisierung statt,
so Muchitsch, der hinterfragte, wem die angebliche Patientenmilliarde tatsächlich nütze. Kritische Fragen
warf auch Daniela Holzinger-Vogtenhuber seitens der Liste Pilz auf, unter anderem hinsichtlich Selbstverwaltung
der Kassen, paritätischer Besetzung, im Hinblick auf Fusionskosten, nicht nachvollziehbaren Einsparungen und
verfassungsrechtlichen Bedenken. Was mit der Reform nicht stattfinde, sei "Unebenheiten", nämlich
unterschiedliche Situationen für Versicherte im System zu glätten, merkte etwa Gerald Loacker (NEOS)
kritisch an.
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ÖVP und FPÖ: Reform schon lange ausständig
Michael Hammer unterstrich seitens der ÖVP, dass seit Jahren versucht werde, das Kassensystem zu verbessern.
Das Ziel sei, klarere Strukturen und ein gerechteres System für Versicherte zu finden. Aus Sicht von Hammer
sind verfassungsrechtliche Bedenken eindeutig ausgeräumt, eine gute und effiziente Umsetzung liege nun am
Integrationsmanagement und dürfe nicht durch etwaige Strukturerhaltungsversuche blockiert werden. Peter Wurm
(FPÖ) schloss sich dem an. Es handle sich um eine lange überfällige Reform, er warne davor, dagegen
Stimmung zu machen. Die Bevölkerung erwarte sich eine Gesundheitsversorgung, die für alle funktioniert
und nicht eine Zwei- oder Dreiklassenmedizin.
Expertenrunde geteilt in Lob und Kritik
Keinesfalls eine Tendenz nach unten in der Leistungsharmonisierung ortet der WKO-Experte Gleitsmann auf Nachfrage
von Daniela Holzinger-Vogtenhuber, das sei auch politisch schwer vorstellbar. In Richtung Gerald Loacker bekräftigte
er, dass das nur an der Spitze vorgesehene Rotationsprinzip sich auch sonst nicht als problematisch herausgestellt
habe. Auf die Frage von Gerhard Kaniak (FPÖ), ob Einwände der Bundesländer berechtigt seien, hob
Gleitsmann hervor, dass von einem Zusammenwirken auch mit den Ländern auszugehen sei. Etwa der von Maria Smodics-Neumann
(ÖVP) angesprochene "richtige Zeitpunkt" für eine solche Reform sei jetzt gegeben, würden
Studien bestätigen. Außerdem würden damit Verwaltungskosten gesenkt, Synergien und Effizienzpotentiale
genutzt, so der Experte der WKO.
Die Fusionskosten würden jedenfalls deutlich unter dem Jahreseinsparungspotential liegen, unterstrich der
Wirtschaftsrechtsprofessor Hoffmann. Hinsichtlich Spannungsfeld zwischen Parität und Ausgleich positioniere
sich der Entwurf in der Mitte, so Hoffmann Richtung Loacker, das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Der
Zielsteuerungsmechanismus sei zwar eine wichtige Maßnahme, alleine aber nicht ausreichend, wiederholte der
Experte seine deutliche Empfehlung für ein professionelles Fusionsmanagement etwa auch gegenüber entsprechenden
Bedenken von Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ). Wenn auch nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen halte
er aus Gründen der Symmetrie das Rotationsprinzip an der Spitze für durchaus legitim, sagte der Experte
unter anderem in Richtung Alois Stöger (SPÖ). Warum ein Rest von Betriebskrankenkassen übrig bleibe,
erschließe sich ihm mangels Kenntnisse der Details nicht. Aus seiner Sicht brauche aber niemand eine Schlechterstellung
zu befürchten. Vor einer konkreten Integrationsplanung die Fusionskosten zu kolportieren, halte er allerdings
für gefährlich, so Hoffmann auf die Frage von Gerhard Kaniak, wie er diese einschätze. Ob man zwischen
solidarisch und privatwirtschaftlich organisierten Strukturen eine Konkurrenz oder aber eine Symbiose sehe, sei
eine Grundsatzfrage, wobei er sich letzterem anschließe, wenn faire Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Verfassungs- und Verwaltungsjurist Bernhard Raschauer wiederholte auf Rückfragen der Abgeordneten zu den Mehrheitsverhältnissen
im Dachverband, dass er die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teile. Für eine spannende Frage von Loacker
hält der Experte etwa das Thema einheitliche Kasse für alle, würde aber nicht bei den Pensionen
beginnen. Außerdem sei die Zeit reif für eine Harmonisierung, nämlich auch der Grundbegriffe und
gesetzlichen Definitionen. Erst wenn diese erreicht sei, könne man sich aber mit einer gänzlichen Vereinheitlichung
– aus seiner Sicht etwa in Form eines Bundesamts - auseinandersetzen.
Hauptverband-Generaldirektor Probst schätzt die in der Debatte von den Abgeordneten angesprochenen Fusionskosten
auf ein Mehrfaches des bisher veranschlagten Betrages und warf die Frage auf, ob von den – ihm zufolge schon "morgen"
- geplanten Einsparungen dann noch etwas übrigbleibe. Außerdem sei hier auch die Zeitachse zu berücksichtigen.
Er befürchtet Einschränkungen im Leistungsbereich und darüber hinaus Selbstbehalte. Insgesamt habe
er kein positives Signal für Versicherte. Außerdem bleiben nicht fünf, sondern 15 Kassen am Schluss
übrig, kritisierte Probst weiter und bezweifelte etwa im IT-Bereich die Einsparungsmöglichkeit der kolportierten
30% an Personal.
Die Expertin für Gesundheitssysteme und Ökonomin Hofmarcher-Holzhacker sprach sich grundsätzlich
für einen Ausbau der ambulanten Versorgung aus. Auch durch die wachsende Zahl von chronisch kranken Menschen
steige der Bedarf an Gesundheitspersonal, sieht Hofmarcher-Holzhacker die Herausforderung, alle Bemühungen
in Versorgung, Gesundheit und Pflege im österreichischen Gesundheitssystem gut abzustimmen. Aus ihrer Sicht
stellt sich die Frage, wie die Reform geeignet ist, die Strukturen am besten zu verschränken – im Sinne der
Verbesserungsmöglichkeiten und Potentiale für die Versorgung. Die Abkopplung der Betriebskrankenkassen
mutet aus ihrer Sicht eigenartig an, zumal hier noch unklar sei, wie sehr das in Richtung Privatmedizin gehe. Grundsätzlich
sprach sich die Expertin für eine starke Sozialversicherung aus, die sicherstellt, dass die Menschen mitgestalten
können, die die Beiträge verwalten. Einsparung sei sinnvoll, im Gesundheitswesen sei es aber jedenfalls
besser, klug zu investieren als sinnlos einzusparen.
Politikwissenschafter Leisch hält das Rotationsprinzip, wie es in der Reform angedacht ist, für einen
"großen Systemfehler", es brauche hier Kontinuität in der Führung. Er befürchtet
außerdem eine Leistungsharmonisierung nach unten. Der "Umbau" nütze der Wirtschaftsseite,
kritisiert Leisch weiters, außerdem soll aus der AUVA 2020 eine – für ihn daher eindeutig gewinnorientierte
- GmbH entstehen. Der Wissenschafter teilt auch die Bedenken der Bundesländer und richtete insgesamt seinen
Appell an die Abgeordneten, die "Privatisierungsroute" zu "schließen".
Aus einem Aufsichtsrecht werde mit dieser Reform - samt letztlich einer Vertagungsmöglichkeit seitens der
Ministerien - ein Durchgriffsrecht, verstärkte auch der ehemalige Verfassungsrichter Müller in der weiteren
Debatte seine Kritik hinsichtlich Verfassungsmäßigkeit der Reform. Auch Gesundheitsökonom Pichlbauer
untermauerte seine Befürchtungen, das System werde "so schlecht bleiben, wie es ist". Er trete für
ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem ein, insgesamt wären aus Sicht von Pichlbauer umfassendere Reformschritte
für das österreichische Gesundheitssystem nötig.
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