Der 15. Rechtsschutztag im Innenministerium stand im Zeichen der Einführung des allgemeinen
Wahlrechts vor hundert Jahren
Wien (bmi) - Am 12. November 1918, dem Tag der Ausrufung der ersten Republik, verabschiedete die Provisorische
Nationalversammlung das Gesetz über die Staats- und Regierungsform. In diesem wurden unter anderem die Grundsätze
eines neuen Wahlrechts für die konstituierende Nationalversammlung festgelegt; diese sollte nach den Regeln
der Verhältniswahl von allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern "ohne Unterschied des Geschlechts"
gewählt werden. Damit gehörte Österreich zu den ersten Staaten Europas, die das Frauenwahlrecht
vollumfänglich einführten.
Zum bereits 15. Rechtsschutztag des BMI seit seiner Begründung im Jahr 2003 kamen hochrangigen Repräsentanten
aus Wissenschaft, Justiz und Verwaltung; auch zahlreiche Repräsentanten der Bundeswahlbehörde sowie von
Wahladministrationen in Ländern, Städten und Gemeinden nahmen teil.
Kabinettchef Ing. Mag. Reinhard Teufel, der in Vertretung von Innenminister Herbert Kickl, die Veranstaltung eröffnete,
betonte die Bedeutung der Institution der Rechtsschutztage; diese seien "eine wichtige Plattform für
Anliegen des Rechtsstaates". Das diesjährige Thema mache bewusst, dass die Bedeutung des Wahlrechts "als
zentrales Grundrecht einer Demokratie" bei den Gedenkfeierlichkeiten rund um die Schaffung der Republik vor
hundert Jahren nicht vergessen werden dürfe. "Wahlen sind in einer repräsentativen Demokratie für
den Souverän, die mündigen Bürgerinnen und Bürger des Landes, eine der wenigen Möglichkeiten,
die politische Willensbildung zu beeinflussen", sagte Teufel. Daher sei auch der Ausbau der direkten Demokratie,
wie dies im Regierungsprogramm vorgesehen sei, "ein Gebot der Stunde".
Die traditionelle Grußbotschaft des Bundespräsidenten an den Rechtsschutztag wurde vom ehemaligen Präsidenten
des Verfassungsgerichtshofes, Univ.-Prof. Dr. Ludwig Adamovich, überbracht. Die derzeitige VfGH-Präsidentin,
Dr. Brigitte Bierlein, unterstrich in ihrem Statement die zentrale Rolle des Verfassungsgerichtshofes als Wahlgerichtshof,
die ebenfalls auf das Jahr 1918 zurückgehe. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Thienel, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs,
hob in seinem Statement anlässlich des Republik-Geburtstages die Bedeutung funktionierender Rechtsschutzinstitutionen
in Demokratien hervor. Österreich verfüge heute über eine "gefestigte Tradition eines rechtsstaatlich-demokratischen
Systems"; es gelte aber, "demokratiepolitischer Wohlstandsverwahrlosung" entgegenzuwirken und "autoritären
Tendenzen in anderen Staaten" entgegenzutreten.
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Strejcek, Universität Wien, beleuchtete im ersten Vortrag die bewegte Wahlrechts-Geschichte
der zerfallenden Monarchie und der Anfangsjahre der ersten Republik. Bereits vor der ersten Parlamentswahl im Jahr
1919 gab es drei wahlrechtliche Novellen; nachdem 1907 alle Männer das Wahlrecht erhalten hatten, wurde 1918
auch den Frauen das Recht zu wählen – und gewählt zu werden – zuerkannt. Das erste Modell des Verhältniswahlrechts
machte es noch schwer, Mandate zu erringen; schon damals zeichneten sich die Wahlgesetze aber durch eine "akribische"
Formulierung aus.
Mag. Robert Stein, Leiter der Wahlabteilung im BMI, präsentierte in seinem Referat "Fundstücke zur
österreichischen Wahlrechtsgeschichte": Die Gestaltung des Stimmzettels und der Wahlkarten fand dabei
ebenso Erwähnung wie die Entwicklung der Wahlarithmetik und des Wahlalters oder die Regelung des Alkoholverbotes
rund um Wahlereignisse, die 1978 aus der Rechtsordnung entfernt wurde.
Univ.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer, Johannes Kepler Universität Linz, behandelte Fragen des "Rechtsschutzes
im Wahlrecht" und ging dabei insbesondere auf die Herausforderungen moderner Technik bei der Vollziehung des
Wahlrechts ein. Die Rechtsprechung des VfGH zu E-Voting anlässlich der ÖH-Wahl 2009 präge zukünftige
legistische und wahlbehördliche Aktivitäten. Aktuelle "digitale Gefahren" stünden in einem
Spannungsfeld zur Judikatur des Verfassungsgerichtshofes über die "Freiheit der Wahl", sodass es
aus Mayrhofers Sicht zukünftig über neue Rahmenbedingungen nachgedacht werden müsse.
Prof. DDr. Robert Krimmer von der estnischen TalTech University bot in seiner Präsentation einen breiten Überblick
zu europäische Entwicklungen der E-Demokratie. Das Internet "transformiere" die Demokratie und stelle
traditionelle Konzepte in Frage, erlaube dafür aber auch mehr Partizipation. Bei der Verwendung moderner Technologien
im Wahlrecht sei "blindes Vertrauen" eindeutig "out". "Vielmehr ist eine individuelle
und universelle Kontrolle auf mehreren Ebenen – vorab, begleitend und nachträglich – notwendig", sagte
Krimmer.
Dr. Eva Zeglovits, Geschäftsführerin des Instituts für empirische Sozialforschung GmbH, behandelte
im letzten Vortrag der Tagung empirische Aspekte des Wählens. Dabei arbeitete sie heraus, dass in Österreich
– im Gegensatz zu anderen Staaten – die Wahlbeteiligung hoch und bei vergangenen Wahlen wieder angestiegen sei.
Zudem nehme Österreich durch die Senkung des Wahlalters auf 16 im Jahr 2007 bis heute eine "Vorreiterrolle"
ein. Das politische Interesse junger Leute werde dabei oft durch das familiäre Umfeld geweckt, könne
aber auch durch Informationsarbeit in Schulen gestärkt werden.
Zum Abschluss des Rechtsschutztages erinnerte Sektionschef Dr. Mathias Vogl, Leiter der Rechtssektion im BMI und
erster Stellvertreter des Bundeswahlleiters, daran, dass die österreichische Wahlverwaltung – ungeachtet der
Vorkommnisse bei der Bundespräsidentenwahl 2016 – einen sehr guten Ruf genieße. "Dieser Umstand
wurde zuletzt durch den Bericht des Rechnungshofes im August 2018 und den OSZE-Wahlbeobachtungsbericht nach der
Nationalratswahl 2017 bestätigt."
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