„Steuerung im österreichischen Föderalismus – Herausforderungen und Optionen“
Wien (kdz/wifo) - Bei diesem Symposium diskutierten Expertinnen und Experten neue Wege der Steuerung für
den Bundesstaat. Basierend auf Analysen zu den Mängeln der föderalen Beziehungen wurden bei der Veranstaltung
am 12. November in Wien neue Instrumente und Prozesse der Steuerung anhand der Beispiele Finanzausgleich und
Regionalentwicklung erörtert. Die Veranstaltung wurde von KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung und
dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) organisiert.
Die Zusammenarbeit im österreichischen Bundesstaat – meist als „kooperativer Föderalismus“ bezeichnet
– ist wegen der zahlreichen gemeinsamen Aufgaben kompliziert. Das politische Geschehen ist häufig geprägt
durch verschiedene Interessen von Bund, Ländern und Gemeinden. Gleichzeitig sind sie bei der Leistungserbringung
oft aufeinander angewiesen. Speziell bei Gemeinschaftsaufgaben, wie Sozialagenden oder Bildung, zeigt sich die
Schwierigkeit der multiplen Verflechtungen: Fallweise herrscht Misstrauen untereinander, unterschiedliche Interessen
führen zu Kompromissen und werden auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geschrumpft, der jedoch wenig zur Lösung
der drängenden, zumeist komplexen Zukunftsfragen beitragen kann.
Das bestehende föderale System ist reformbedürftig. Tradierte Prozesse stehen einem gemeinsamen Problemverständnis
und der Entwicklung abgestimmter Ziele entgegen, Zuständigkeiten werden abgegrenzt, sachliche Interdependenzen
vernachlässigt. Es bedarf daher eines Planungs- und Steuerungssystems in zentralen Politikfeldern, das alle
staatlichen Ebenen und öffentliche Akteure umfasst und den Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger
im Blickfeld hat. „Eine effektive Mehr-Ebenen-Steuerung braucht klare Strategien, einen effektiven Zielabstimmungsprozess
und neue innovative Wege der Kooperation und Koordination“, so Peter Biwald, Geschäftsführer des KDZ.
Nur wenn es ein gemeinsames Ziel gibt, kann auch ein gemeinsamer Weg beschritten werden.
Reformbedarf
Eine Erneuerung des föderalen Systems ist zu entwickeln, die Bund, Länder und Gemeinden stärker
aneinander bindet und auf mehr Effektivität und Verantwortlichkeit in sinnvoll abgegrenzten Leistungsbereichen
setzt. Darin waren sich die Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und den Gemeinden sowie Expertinnen
und Experten der Wissenschaft einig. Neben einer neuen Vertrauenskultur braucht es zusätzliche institutionelle
Regelungen sowie vertikale und horizontale Steuerungsprozesse zwischen allen Gebietskörperschaften sowie mit
anderen Stakeholdern.
Konstruktive Zusammenarbeit durch Multi-Level-Governance
Ein international viel beachteter strategischer Ansatz ist Multi-Level-Governance, den Claire Charbit (OECD,
Head of Unit Territorial Dialogues and Migration Centre for Entrepreneurship, SMEs, Regions and Cities) erläuterte.
Multi-Level-Governance ist ein Ansatz, um Prozesse und Instrumente zu analysieren sowie schlecht laufende Prozesse
zu identifizieren und aufzulösen. Gefragt seien etwa eine verbesserte Ordnung bei Trägerschaften (inkl.
Finanzierung und Ergebnisverantwortung), ausgebaute Steuerungsprozesse und der Aufbau einer gegenseitigen Vertrauenskultur.
Es müssen geeignete Abstimmungsgremien geschaffen werden, welche alle drei Gebietskörperschaftsebenen
involvieren. So betonte Charbit, dass die Komplexität im Bereich von Gemeinschaftsaufgaben grundsätzlich
kein Problem sei, dass Interaktionen jedoch eine Koordination zwischen den Ebenen erfordern, um Überschneidungen,
Doppelgleisigkeiten, mangelnde finanzielle Ausstattungen oder und damit verbundene Ineffizienzen zu vermeiden sowie
ein gemeinsames Lösungsverständnis aufzubauen. Dies soll zu wirksamen öffentlichen Maßnahmen
beitragen.
Abstimmungsprobleme zwischen den Akteuren betonte auch Biwald, da fehlende, nicht abgestimmte Ziele zu einem Reformstau
führen. Es gibt jedoch durchaus vielversprechende Ansätze einer verbesserten Zusammenarbeit – wie etwa
bei der neuen Zielsteuerung im Gesundheitsbereich zwischen Bund, Ländern und den Sozialversicherungen. Die
Gemeinden wurden jedoch nicht in den Prozess einbezogen, obwohl sie wesentliche Financiers sind.
Reformprojekt Finanzausgleich?
Karoline Mitterer, Finanzexpertin im KDZ, zeigte, anhand des jüngst intendierten aufgabenorientierten
Finanzausgleichs, die Blockade aufgrund der Mängel im bestehenden Steuerungssystem. Eine Umsetzung scheitere
an einem Interessenausgleich der Verhandlungspartner. „Es war beim Finanzausgleich 2017 nicht möglich, sich
auf die grundsätzliche Zielausrichtung des Reformpaketes zu einigen. Das kann nur funktionieren, wenn der
Zielsteuerungsprozess auf neue Beine gestellt wird und eine vertrauensvolle Kooperation zwischen den Akteurinnen
und Akteuren entsteht“, meint Mitterer.
Parallel zu einer Finanzausgleichsreform ist jedenfalls eine Weiterentwicklung des Föderalismus notwendig,
wie es etwa die Schweizer mit ihrer Finanzausgleichs- und Föderalismusreform vorgezeigt haben. Es muss geklärt
sein, wieviel Kooperation sinnvoll und wieviel Dezentralisierung notwendig ist. Das Entwickeln von gebietskörperschaftsübergreifenden
Zielen bedarf eines moderierten Prozesses, welcher auf fundierten Entscheidungsgrundlagen basiert. Schließlich
braucht es einen laufenden Abstimmungsprozess zwischen den Finanzausgleichspartnern, etwa im Rahmen von halbjährlichen
Abstimmungsgremien, in welchen Finanzausgleichsthemen gemeinsam erörtert werden.
Ein konkreter Aspekt ist auch das Zusammenführen der Aufgaben- und Finanzierungsverantwortlichkeiten, wie
Hans Pitlik (WIFO) erläuterte: „Subnationale Abgabenautonomie ist nicht nur eine zentrale Voraussetzung für
eine bessere Übereinstimmung von Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung. Eine fehlende Abgabenautonomie
erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von Politikblockaden.“ So werden etwa steuerpolitische Entscheidungen bezüglich
der gemeinschaftlichen Bundesabgaben, welche vermeintlich nur durch den Bund zu treffen sind, komplex. Daher ist
neben einer Aufgabenentflechtung auch eine erweiterte Einnahmenverantwortung der subnationalen Ebenen geboten.
Komplexe Regionalentwicklung
Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit einer verbesserten Koordination und Kooperation zwischen den
Akteuren zeigt sich in einer nachhaltigen Entwicklung von Regionen. Die Herausforderungen an eine koordinierte
Regionalpolitik sei in den letzten Dekaden deutlich gestiegen: Die Zahl der Akteure und der Handlungsebenen wurden
ausgeweitet. Markus Gruber, Regionalentwicklungsexperte und Managing Partner bei Convelop, zeigte, wie mithilfe
unterschiedlicher Steuerungsmodelle darauf reagiert wird und thematisierte die damit verbundenen Herausforderungen
im Mehr-Ebenen-System, insbesondere hinsichtlich der Aufgabenverteilung.
Die Investitionen der Gemeinden in die lokale Infrastruktur können im letzten Jahrzehnt zwar Voraussetzung
für eine nachhaltige Regionalentwicklung sein, der Einfluss auf das lokale Wirtschaftswachstum sei jedoch
gering, betonte Michael Getzner (TU Wien). Am Beispiel der Landes-Regionalförderung sei festzustellen, dass
bereits wirtschaftlich starke Gemeinden aufgrund ihrer „Absorptionsfähigkeit“ im Rahmen einer erweiterten
Handlungskompetenz eher Förderungen erhielten als wirtschaftlich schwache Gemeinden. Auch die lokalen Investitionen
der Gemeinden seien eher durch die wirtschaftliche Entwicklung geprägt, als umgekehrt. Koordinierte Infrastrukturinvestitionen
könnten hierbei die Schwächen von Einzelmaßnahmen vermeiden.
Im Dilemma gefangen?
Wenn der Bundesstaat zukünftig effizient gesteuert werden soll, muss aus den Fehlern der Vergangenheit
gelernt werden. Um die Koordination und Kooperation zu verbessern, kann der Multi-Level-Governance-Ansatz helfen,
den österreichischen Föderalismus wieder in Schwung zu bringen. Komplexe Probleme benötigen Problemlösungsprozesse,
die bereits in der Strategieentwicklung und beim konkreten Erarbeiten von Lösungen die relevanten Stakeholder
einbeziehen. Fehlt dieser breite Ansatz, steigt die Gefahr von schlecht durchdachten Lösungen.
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