An der TU Wien wurden Bio-Chips entwickelt, in denen man Gewebe herstellen und untersuchen
kann. Die Stoffzufuhr lässt sich dabei sehr präzise dosieren.
Wien (tu) - Menschliche Zellen in der Petrischale zu vermehren, ist heute keine große Herausforderung
mehr. Künstliches Gewebe herzustellen, durchzogen von feinen Blutgefäßen, ist allerdings eine viel
schwierigere Aufgabe. Biologisch wichtige Transportprozesse, etwa von Sauerstoff, Zucker und anderen Substanzen
ins Gewebe, hat man bis heute noch nicht zur Gänze verstanden. Das soll sich nun mit einer ganz neuen Herangehensweise
an das Problem ändern: An der TU Wien baut man Mini-Gewebe am Biochip nach – so genannte „Organs-on-a-Chip“.
So kann man komplizierte biologische Prozesse präzise steuern, kontrollieren und messen - viel besser als
es in Tierversuchen oder direkt am Menschen möglich wäre.
Besser als Tierversuche
„Rund um eine frische Wunde muss neues Gewebe nachwachsen, in dem sich unter anderem auch neue Blutgefäße
bilden“, erklärt Dipl-Ing. Barbara Bachmann vom Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien. „Wir
machen uns diese natürlichen, körpereigenen Wundheilungsprozesse zu Nutze, um Blutgefäße im
Labor in ganz kleinen Biochips zu züchten.“
Lange Zeit war man bei solchen Forschungsansätzen ausschließlich auf Tierversuche angewiesen. „Tierversuche
haben viele Nachteile – nicht nur auf ethischer, sondern auch auf wissenschaftlicher Ebene“, sagt der Arbeitsgruppenleiter
Prof. Peter Ertl. „Ihre Resultate sind nie hundertprozentig auf den Menschen übertragbar, und so kommt es
bei klinischen Studien immer wieder zu überraschenden Nebenwirkungen, die sich im Tiermodell nicht gezeigt
hatten.“
Nun kann man mit Biochip-Technologie hochpräzise regulieren, mit welchen Substanzen die menschlichen Gefäßzellen
versorgt werden. Dadurch ist es möglich, menschliche Zellen über mehrere Wochen hinweg zu kultivieren
und zu untersuchen. „Wir verwenden neben Endothelzellen, die Gefäßinnenseiten auskleiden, auch Stammzellen,
die maßgeblich zur Gefäßstabilisierung beitragen.“, sagt Dr. Mario Rothbauer. „Innerhalb von Tagen
beginnt sich wie von Zauberhand im Biochip ein Netzwerk winziger Blutgefäße auszubilden.“
Direkt neben diesem neuentstandenen Geflecht an feinen Blutkapillaren führt die Leitung vorbei, durch die
das Gewebe von außen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird – die „künstliche Arterie“ des
Biochips. Die feinen, natürlich gewachsenen Blutgefäße sind nicht direkt mit dieser künstlichen
Leitung verbunden, aber die Grenzen zwischen den beiden Bereichen sind nicht dicht, daher findet ein permanenter
Stoffaustausch statt.
„Das ist eine Situation, die in der Medizin eine wichtige Rolle spielt“, sagt Prof. Peter Ertl: „Einerseits bei
der Wundheilung, andererseits aber auch bei Krankheitsbildern wie Krebs.“ Ein schnell wachsender Tumor muss es
schaffen, mit ausreichenden Mengen an Nährstoffen versorgt zu werden – darum sorgt er für unnatürlich
schnelles Wachstum feiner Blutkapillaren. Wie der Stoffaustausch genau abläuft, kann nun viel besser als bisher
möglich im Chip untersucht werden. „Wir konnten zeigen, dass dort Stoffaustausch und Versorgung im Gewebe
tatsächlich vom Abstand zur Zufluss-Leitung abhängen, wie das auch in einem natürlichen Gewebe der
Fall wäre“, sagt Dipl.-Ing. Sarah Spitz. „Und ganz entscheidend ist: Wir konnten nachweisen, dass sich die
Stoffzufuhr ins Gewebe fein regulieren lässt indem wir die Flussgeschwindigkeit in den Biochips verändern
– so einfach ist das.“
Interdisziplinäre Forschung
In diesem Forschungsbereich greifen mehrere wissenschaftliche Disziplinen eng ineinander – Medizin und Chemie,
aber auch Mikrofluidik – die Wissenschaft vom Strömungsverhalten winziger Stoffmengen, oder auch Materialwissenschaft
und Fertigungstechnik – um die präzise Herstellung der Chips überhaupt erst zu ermöglichen. Die
TU Wien arbeitete dabei mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie zusammen,
unterstützt durch das „Interreg“-Förderprogramm der Europäischen Union.
„Nur durch diese interdisziplinäre Vielfalt können wir uns einen Vorsprung herausarbeiten und Forschungsergebnisse
erzielen, die international für Aufsehen sorgen“, sagt Peter Ertl. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Bio-Chips
ein ausgezeichnetes Modell bieten, um die Sauerstoffzufuhr in neu gebildeten Geweben zu studieren. Das ist für
uns erst der Beginn. Die Forschungsfragen, die sich dadurch nun auftun, lassen sich noch gar nicht überblicken.“
Hintergrundinformation:
Engineering of three-dimensional pre-vascular networks within fibrin
hydrogel constructs by microfluidic control over reciprocal cell signaling, https://aip.scitation.org/doi/10.1063/1.5027054
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