Niedrige Pensionen werden im
 kommenden Jahr um 2,6% erhöht

 

erstellt am
23. 11. 18
13:00 MEZ

Nationalrat billigt Pensionsanpassungsgesetz 2019, massive Oppositionskritik an Abänderungsantrag
Wien (pk) - Kleine und mittlere Pensionen werden im kommenden Jahr um bis zu 2,6% erhöht. Für Ruhebezüge über der ASVG-Höchstgrenze wird es hingegen nur einen Pauschalbetrag unter der Inflationsrate von 2% geben. Der Nationalrat hat am 22. November mit den Stimmen der Koalitionsparteien einen entsprechenden Gesetzesvorschlag der Regierung angenommen. Die Abgeordneten wollen damit dem Umstand Rechnung tragen, dass Personen mit niedrigem Einkommen proportional stärker von steigenden Lebensmittelpreisen und Wohnungskosten betroffen sind als GutverdienerInnen. Insgesamt sollen 1,33 Millionen PensionistInnen von der sozialen Staffelung profitieren. SPÖ und JETZT sind dennoch unzufrieden, ihnen geht die Erhöhung von Kleinstpensionen nicht weit genug. Auch die NEOS vermissen soziale Treffsicherheit.

Für Aufregung sorgte ein Abänderungsantrag der Koalitionsparteien zum Gesetzentwurf, den FPÖ-Abgeordneter Werner Neubauer mit der Bemerkung einbrachte, dass es sich um rein technische Adaptierungen handle. Dem widersprach die SPÖ heftig. Vielmehr enthalte der Antrag eine verfassungswidrige Bestimmung, da Vorkehrungen für ein Gesetz getroffen würden, das vom Parlament noch gar nicht beschlossen wurde, sagte Jörg Leichtfried. Gabriele Heinisch-Hosek sprach gar von einem "Selbstermächtigungsgesetz", wie es zuletzt 1933 am Beginn des Austrofaschismus angewendet worden sei. Das empörte sowohl ÖVP-Klubobmann August Wöginger als auch FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz. Ein Vergleich mit dem kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1933 sei "jenseitig" und "hysterisch", sagte Wöginger, Rosenkranz sieht darin einen weiteren Beitrag zur Spaltung der Gesellschaft in Österreich.

Die Abstimmung über den Gesetzentwurf wurde schließlich von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka – nach Beratungen in einer so genannten "Stehpräsidiale" – auf das Ende der Tagesordnung verlegt, um den Oppositionsparteien Gelegenheit zu geben, sich genauer mit dem Abänderungsantrag zu befassen. Beruhigt waren die Gemüter dadurch aber nicht. Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures musste im weiteren Verlauf der Debatte mehrfach mit Ordnungsrufen und Ermahnungen eingreifen.

Sozialversicherungsträger werden zur Datenübermittlung verpflichtet
Konkret wird mit dem Abänderungsantrag eine Bestimmung in das ASVG eingefügt, der zufolge "Vorbereitungshandlungen, die im Hinblick auf erst in der Zukunft liegende Gesetzesänderungen im Bereich der Sozialversicherungsgesetze erforderlich sind, bereits vor dem In-Kraft-Treten des jeweiligen Bundesgesetzes durchgeführt werden (können), wenn andernfalls eine fristgerechte Umsetzung nicht möglich wäre und der Gesetzesvorschlag bereits in parlamentarischer Behandlung steht". Insbesondere geht es um die Verpflichtung der Sozialversicherungsträger, dem Sozialministerium als Aufsichtsbehörde innerhalb von 14 Tagen die Zahl der pflichtversicherten DienstnehmerInnen zu einem bestimmten Stichtag in der geforderten Form zur Verfügung zu stellen.

ÖVP-Klubobmann Wöginger zufolge ist diese Bestimmung notwendig, da sich Sozialministerin Beate Hartinger-Klein seit Wochen vergeblich bemüht, die für die geplante Sozialversicherungsreform benötigten Daten zu bekommen. Es gehe ihr um die Versorgung in Österreich, bekräftigte Hartinger-Klein, sie müsse handeln, wenn die Selbstverwaltungskörper die Reform blockieren.

Sowohl SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch als auch Abgeordneter Leichtfried halten die Bestimmung allerdings für verfassungswidrig. Wenn die Selbstverwaltungskörper dem Ministerium keine Daten liefern, müsse das die Sozialministerin zur Kenntnis nehmen, solange es keine gesetzliche Grundlage dafür gebe, betonte Leichtfried. "Der Rechtsstaat gilt für alle." Den Vorwurf, der Abänderungsantrag ermögliche der Ministerin, die Daten der Versicherten "zu stehlen", nahm Leichtfried nach einer Ermahnung von Bures wieder zurück.

Kritik an der Kurzfristigkeit der Vorlage des Abänderungsantrags übten auch Nikolaus Scherak (NEOS) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT). Scherak wies auf die geltende Vereinbarung zwischen den Fraktionen hin, Abänderungsanträge grundsätzlich 24 Stunden vor Einbringung zur Verfügung zu stellen. Diese Usancen würden immer wieder gebrochen, klagte er. Ein Antrag des Parlamentsklubs JETZT, den Gesetzentwurf zur weiteren Verhandlung an den Sozialausschuss rückzuverweisen, fand bei der Abstimmung allerdings keine Mehrheit. Die Rückverweisung hätte den Abgeordneten nach Meinung von Holzinger-Vogtenhuber auch die Möglichkeit gegeben, die vorgenommene Pensionserhöhung noch einmal zu überdenken und sozial treffsicherer zu gestalten.

Opposition ortet klaren Verfassungsbruch
Unmittelbar vor der endgültigen Abstimmung über den Regierungsentwurf und den Abänderungstrag flammte die Debatte dann noch einmal auf. Die Bundesverfassung normiere, dass die staatliche Verwaltung nur aufgrund von Gesetzen ausgeübt werden könne, hoben sowohl Alois Stöger (SPÖ) als auch Peter Pilz (JETZT) am Ende der Diskussion zum Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz hervor. Das sei ein verfassungsrechtliches Grundprinzip. In diesem Sinn wertet Pilz den Abänderungsantrag der Koalitionsparteien als Versuch, mit einfacher Mehrheit eine Gesamtänderung der Bundesverfassung zu beschließen. Das habe es in der Zweiten Republik bisher kein einziges Mal gegeben.

Ähnlich argumentierte auch NEOS-Abgeordneter Scherak, der von einer Selbstaufgabe des Parlaments sprach. Wenn man einen Minister ermächtige, Vorbereitungshandlungen für ein noch nicht beschlossenes Gesetz zu setzen, setze man demokratische Grundprinzipien außer Kraft, sagte er.

Vor der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der in das ASVG eingefügten Bestimmung warnte SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann. Auch wenn diese nicht so gemeint sein möge, mache sie den Weg für Willkür frei. Man brauche nur eine Gesetzesinitiative im Parlament einzubringen und schon könne der Minister jedewede Vorbereitungshandlungen setzen, ohne dass es jemals zu einem Beschluss des Gesetzes komme. Mache das Schule, führe das letztendlich zum Ausschluss des Parlaments aus der Gesetzgebung.

ÖVP-Klubobmann Wöginger und FPÖ-Klubobmann Rosenkranz zeigten sich von den Warnungen allerdings unbeeindruckt. Es handle sich um eine Missinterpretation der Bestimmung durch die Opposition, meinten sie. Er könne keinen Verfassungsbruch erkennen, bekräftigte Rosenkranz. "Wir gehen mit der Demokratie sorgfältig um."

Sowohl die Pensionsanpassung als auch der Abänderungsantrag wurden schließlich mit Koalitionsmehrheit beschlossen. Ein Abänderungsantrag der NEOS blieb in der Minderheit. Auch ein Entschließungsantrag der SPÖ, der auf Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation und der Alterssicherung von Frauen abzielt, fand keine Mehrheit.

Pensionen werden 2019 sozial gestaffelt erhöht
Im Detail sieht das Pensionsanpassungsgesetz 2019 vor, Pensionen bis 1.115 € um 2,6%, und damit um 0,6 Prozentpunkte über der Inflationsrate zu erhöhen. Das gilt auch für die Ausgleichszulagenrichtsätze. Danach sinkt der Anpassungsfaktor bis zu einer Pension von 1.500 € linear auf 2% ab. Wer zwischen 1.500 € und 3.402 € bezieht, erhält exakt die Inflation abgegolten. Für Ruhebezüge über der ASVG-Höchstpension ist ein Pauschalbetrag von 68 € vorgesehen. Die Anpassung von 2,6% wird darüber hinaus auch für Opferrenten, etwa nach dem Opferfürsorgegesetz, dem Verbrechensopfergesetz und dem Heimopferrentengesetz, wirksam.

Zufrieden mit der Pensionserhöhung zeigten sich ÖVP und FPÖ. Die Pensionserhöhung von 2,6% sei nominell gesehen die höchste der letzten Jahre, sagte ÖVP-Klubobmann Wöginger. Damit werde bestätigt, "dass uns die ältere Generation sehr am Herzen liegt". Eigentlich würde man allen Forderungen entsprechen, ergänzte Michael Hammer (ÖVP): Durch die Erhöhung über der Inflationsrate stärke man die Kaufkraft, die Erhöhung sei sozial gestaffelt und gleichzeitig sorge man dafür, dass das Pensionssystem finanzierbar bleibe. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, müsse auch im Alter abgesichert sein, sprach Christoph Zarits (ÖVP) von einem richtigen Zeichen.

ÖVP und FPÖ stellen Mindestpension von 1.200 bei 40 Beitragsjahren ab 2020 in Aussicht
Die Forderung des SPÖ-Pensionistenverbandes nach einer Pensionsanpassung von 4% werteten sowohl Wöginger als auch FPÖ-Seniorensprecher Werner Neubauer als "unredlich". Die Kritik der SPÖ sei "reiner Theaterdonner und sonst nichts" kommentierte Neubauer. Sein Fraktionskollege Peter Wurm nannte die Diskussion "abenteuerlich".

Neubauer begrüßte es ausdrücklich, dass es gelungen sei, niedrige und mittlere Pensionen über der Inflationsrate von 2% anzuheben. "Darauf können wir wirklich stolz sein." Damit werde über die Wertsicherung hinaus auch die Kaufkraft gestärkt. Man müsse aber auch die Finanzierbarkeit des Systems im Auge behalten. Wurm wies darauf hin, dass 72% jener, die eine Pensionserhöhung über der Inflationsrate erhalten, Frauen sein werden. Für das Jahr 2020 stellten sowohl Neubauer als auch Wöginger eine Mindestpension von 1.200 € für all jene PensionistInnen in Aussicht, die 40 Beitragsjahre vorweisen können.

SPÖ sieht "schwarzen Tag" für die PensionistInnen
SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch sprach hingegen von einem "schwarzen Tag für die Pensionistinnen und Pensionisten". Angesichts der aktuellen Hochkonjunktur wäre seiner Meinung nach eine höhere Pensionsanpassung möglich gewesen. Die vorgesehene Anpassung sei der älteren Generation gegenüber jedenfalls "unwürdig". Seine Parteikollegin Gabriele Heinisch-Hosek hält die Forderung nach einem Plus von 4% für durchaus gerechtfertigt.

Muchitsch rechnete vor, dass eine Erhöhung um 2,6% für BezieherInnen einer Pension von 1.115 € ein Plus von 29 € brutto und von 21 € netto bedeute. Bei Preissteigerungen von 3,9% für den wöchentlichen Einkauf und von 4,4% für den täglichen Einkauf sei das ein enormer Kaufkraftverlust. Dem schloss sich auch Dietmar Keck (SPÖ) an, der darauf verwies, dass die 0,6-prozentige Erhöhung über der Inflationsrate den PensionistInnen umgerechnet 21 Cent pro Tag bringe. "Das ist eine halbe Semmel am Tag." Muchitsch zog auch einen Vergleich mit dem Lohnabschluss der Metaller, wo das monatliche Plus in der untersten Lohngruppe 80 € beträgt.

Die SPÖ drängte außerdem auf Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation und der Alterssicherung von Frauen. Neben einem Ausgleichszulagenrichtsatz von 1.200 € für Personen mit 40 Versicherungsjahren fordern Abgeordnete Heinisch-Hosek und ihre FraktionskollegInnen eine Abgeltung von Mehrarbeitszuschlägen nach dem Muster von Überstundenzuschlägen sowie eine volle Anrechnung der gesetzlichen Karenzzeiten nach dem Mutterschutzgesetz auf alle Rechtsansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten. Untermauert wurden die Forderungen mit einem von Markus Vogl eingebrachten Entschließungsantrag, der bei der Abstimmung jedoch in der Minderheit blieb.

NEOS vermissen Regelungen für "Luxuspensionen"
Auch nach Meinung von Gerald Loacker ist die Pensionsanpassung nicht sozial treffsicher. Das zeige allein schon der Umstand, dass 1,33 Mio. Personen eine Pensionserhöhung über der Inflationsrate erhalten werden, sagte er. Damit sei klar, dass nicht nur bedürftige Personen davon profitieren, dass die gesetzliche Automatik der Inflationsanpassung von Pensionen wieder einmal ausgehebelt werde.

Loacker vermisst insbesondere eine Regelung für "Luxuspensionen". Da bei der Berechnung der Gesamtpension nicht alle Pensionen zusammengerechnet werden, würden etwa auch BezieherInnen hoher Sonderpensionen oder hoher ausländischer Renten für ihre niedrige gesetzliche Zweitpension eine überdurchschnittliche Pensionserhöhung erhalten, gab er zu bedenken. Ein von ihm eingebrachter Abänderungsantrag wurde jedoch – wie auch schon im Sozialausschuss – abgelehnt.

Loackers Fraktionskollegin Claudia Gamon rechnete vor, dass Paare mit unterschiedlich hoher Pension stärker von der Anpassung profitieren als Paare mit annähernd gleich hoher Pension. Paare, die sich die Kinderbetreuungspflichten aufgeteilt haben, seien somit benachteiligt. Gamon hält es außerdem für ein alarmierendes Zeichen, dass Frauen, was die Pensionshöhe betrifft, nicht nur nicht gegenüber Männern aufholen, sondern der Gender-Gap bei neu anfallenden Pensionen sogar gestiegen ist.

JETZT: Nettoanpassung liegt deutlich unter der Inflation
Seitens des Parlamentsklubs JETZT wertete es Daniela Holzinger-Vogtenhuber als grundsätzlich positiv, dass man vom gesetzlichen Automatismus abgeht und niedrige Pensionen prozentuell stärker erhöht als hohe. Ihrer Meinung nach geht die soziale Staffelung aber nicht weit genug. Auch bei niedrigen Pensionen liege die Nettoanpassung deutlich unter der Inflation, monierte sie. Und das in Zeiten der Hochkonjunktur. Ein von ihr eingebrachter Rückverweisungsantrag fand jedoch keine Mehrheit.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at
http://www.eu2018parl.at

 

 

 

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