Nationalrat billigt Pensionsanpassungsgesetz 2019, massive Oppositionskritik an Abänderungsantrag
Wien (pk) - Kleine und mittlere Pensionen werden im kommenden Jahr um bis zu 2,6% erhöht. Für
Ruhebezüge über der ASVG-Höchstgrenze wird es hingegen nur einen Pauschalbetrag unter der Inflationsrate
von 2% geben. Der Nationalrat hat am 22. November mit den Stimmen der Koalitionsparteien einen entsprechenden
Gesetzesvorschlag der Regierung angenommen. Die Abgeordneten wollen damit dem Umstand Rechnung tragen, dass Personen
mit niedrigem Einkommen proportional stärker von steigenden Lebensmittelpreisen und Wohnungskosten betroffen
sind als GutverdienerInnen. Insgesamt sollen 1,33 Millionen PensionistInnen von der sozialen Staffelung profitieren.
SPÖ und JETZT sind dennoch unzufrieden, ihnen geht die Erhöhung von Kleinstpensionen nicht weit genug.
Auch die NEOS vermissen soziale Treffsicherheit.
Für Aufregung sorgte ein Abänderungsantrag der Koalitionsparteien zum Gesetzentwurf, den FPÖ-Abgeordneter
Werner Neubauer mit der Bemerkung einbrachte, dass es sich um rein technische Adaptierungen handle. Dem widersprach
die SPÖ heftig. Vielmehr enthalte der Antrag eine verfassungswidrige Bestimmung, da Vorkehrungen für
ein Gesetz getroffen würden, das vom Parlament noch gar nicht beschlossen wurde, sagte Jörg Leichtfried.
Gabriele Heinisch-Hosek sprach gar von einem "Selbstermächtigungsgesetz", wie es zuletzt 1933 am
Beginn des Austrofaschismus angewendet worden sei. Das empörte sowohl ÖVP-Klubobmann August Wöginger
als auch FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz. Ein Vergleich mit dem kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz
von 1933 sei "jenseitig" und "hysterisch", sagte Wöginger, Rosenkranz sieht darin einen
weiteren Beitrag zur Spaltung der Gesellschaft in Österreich.
Die Abstimmung über den Gesetzentwurf wurde schließlich von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka
– nach Beratungen in einer so genannten "Stehpräsidiale" – auf das Ende der Tagesordnung verlegt,
um den Oppositionsparteien Gelegenheit zu geben, sich genauer mit dem Abänderungsantrag zu befassen. Beruhigt
waren die Gemüter dadurch aber nicht. Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures musste im weiteren Verlauf
der Debatte mehrfach mit Ordnungsrufen und Ermahnungen eingreifen.
Sozialversicherungsträger werden zur Datenübermittlung verpflichtet
Konkret wird mit dem Abänderungsantrag eine Bestimmung in das ASVG eingefügt, der zufolge "Vorbereitungshandlungen,
die im Hinblick auf erst in der Zukunft liegende Gesetzesänderungen im Bereich der Sozialversicherungsgesetze
erforderlich sind, bereits vor dem In-Kraft-Treten des jeweiligen Bundesgesetzes durchgeführt werden (können),
wenn andernfalls eine fristgerechte Umsetzung nicht möglich wäre und der Gesetzesvorschlag bereits in
parlamentarischer Behandlung steht". Insbesondere geht es um die Verpflichtung der Sozialversicherungsträger,
dem Sozialministerium als Aufsichtsbehörde innerhalb von 14 Tagen die Zahl der pflichtversicherten DienstnehmerInnen
zu einem bestimmten Stichtag in der geforderten Form zur Verfügung zu stellen.
ÖVP-Klubobmann Wöginger zufolge ist diese Bestimmung notwendig, da sich Sozialministerin Beate Hartinger-Klein
seit Wochen vergeblich bemüht, die für die geplante Sozialversicherungsreform benötigten Daten zu
bekommen. Es gehe ihr um die Versorgung in Österreich, bekräftigte Hartinger-Klein, sie müsse handeln,
wenn die Selbstverwaltungskörper die Reform blockieren.
Sowohl SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch als auch Abgeordneter Leichtfried halten die Bestimmung allerdings
für verfassungswidrig. Wenn die Selbstverwaltungskörper dem Ministerium keine Daten liefern, müsse
das die Sozialministerin zur Kenntnis nehmen, solange es keine gesetzliche Grundlage dafür gebe, betonte Leichtfried.
"Der Rechtsstaat gilt für alle." Den Vorwurf, der Abänderungsantrag ermögliche der Ministerin,
die Daten der Versicherten "zu stehlen", nahm Leichtfried nach einer Ermahnung von Bures wieder zurück.
Kritik an der Kurzfristigkeit der Vorlage des Abänderungsantrags übten auch Nikolaus Scherak (NEOS) und
Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT). Scherak wies auf die geltende Vereinbarung zwischen den Fraktionen hin,
Abänderungsanträge grundsätzlich 24 Stunden vor Einbringung zur Verfügung zu stellen. Diese
Usancen würden immer wieder gebrochen, klagte er. Ein Antrag des Parlamentsklubs JETZT, den Gesetzentwurf
zur weiteren Verhandlung an den Sozialausschuss rückzuverweisen, fand bei der Abstimmung allerdings keine
Mehrheit. Die Rückverweisung hätte den Abgeordneten nach Meinung von Holzinger-Vogtenhuber auch die Möglichkeit
gegeben, die vorgenommene Pensionserhöhung noch einmal zu überdenken und sozial treffsicherer zu gestalten.
Opposition ortet klaren Verfassungsbruch
Unmittelbar vor der endgültigen Abstimmung über den Regierungsentwurf und den Abänderungstrag flammte
die Debatte dann noch einmal auf. Die Bundesverfassung normiere, dass die staatliche Verwaltung nur aufgrund von
Gesetzen ausgeübt werden könne, hoben sowohl Alois Stöger (SPÖ) als auch Peter Pilz (JETZT)
am Ende der Diskussion zum Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz hervor. Das sei ein verfassungsrechtliches Grundprinzip.
In diesem Sinn wertet Pilz den Abänderungsantrag der Koalitionsparteien als Versuch, mit einfacher Mehrheit
eine Gesamtänderung der Bundesverfassung zu beschließen. Das habe es in der Zweiten Republik bisher
kein einziges Mal gegeben.
Ähnlich argumentierte auch NEOS-Abgeordneter Scherak, der von einer Selbstaufgabe des Parlaments sprach. Wenn
man einen Minister ermächtige, Vorbereitungshandlungen für ein noch nicht beschlossenes Gesetz zu setzen,
setze man demokratische Grundprinzipien außer Kraft, sagte er.
Vor der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der in das ASVG eingefügten Bestimmung warnte SPÖ-Verfassungssprecher
Peter Wittmann. Auch wenn diese nicht so gemeint sein möge, mache sie den Weg für Willkür frei.
Man brauche nur eine Gesetzesinitiative im Parlament einzubringen und schon könne der Minister jedewede Vorbereitungshandlungen
setzen, ohne dass es jemals zu einem Beschluss des Gesetzes komme. Mache das Schule, führe das letztendlich
zum Ausschluss des Parlaments aus der Gesetzgebung.
ÖVP-Klubobmann Wöginger und FPÖ-Klubobmann Rosenkranz zeigten sich von den Warnungen allerdings
unbeeindruckt. Es handle sich um eine Missinterpretation der Bestimmung durch die Opposition, meinten sie. Er könne
keinen Verfassungsbruch erkennen, bekräftigte Rosenkranz. "Wir gehen mit der Demokratie sorgfältig
um."
Sowohl die Pensionsanpassung als auch der Abänderungsantrag wurden schließlich mit Koalitionsmehrheit
beschlossen. Ein Abänderungsantrag der NEOS blieb in der Minderheit. Auch ein Entschließungsantrag der
SPÖ, der auf Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation und der Alterssicherung von Frauen abzielt,
fand keine Mehrheit.
Pensionen werden 2019 sozial gestaffelt erhöht
Im Detail sieht das Pensionsanpassungsgesetz 2019 vor, Pensionen bis 1.115 € um 2,6%, und damit um 0,6 Prozentpunkte
über der Inflationsrate zu erhöhen. Das gilt auch für die Ausgleichszulagenrichtsätze. Danach
sinkt der Anpassungsfaktor bis zu einer Pension von 1.500 € linear auf 2% ab. Wer zwischen 1.500 € und 3.402 €
bezieht, erhält exakt die Inflation abgegolten. Für Ruhebezüge über der ASVG-Höchstpension
ist ein Pauschalbetrag von 68 € vorgesehen. Die Anpassung von 2,6% wird darüber hinaus auch für Opferrenten,
etwa nach dem Opferfürsorgegesetz, dem Verbrechensopfergesetz und dem Heimopferrentengesetz, wirksam.
Zufrieden mit der Pensionserhöhung zeigten sich ÖVP und FPÖ. Die Pensionserhöhung von 2,6%
sei nominell gesehen die höchste der letzten Jahre, sagte ÖVP-Klubobmann Wöginger. Damit werde bestätigt,
"dass uns die ältere Generation sehr am Herzen liegt". Eigentlich würde man allen Forderungen
entsprechen, ergänzte Michael Hammer (ÖVP): Durch die Erhöhung über der Inflationsrate stärke
man die Kaufkraft, die Erhöhung sei sozial gestaffelt und gleichzeitig sorge man dafür, dass das Pensionssystem
finanzierbar bleibe. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, müsse auch im Alter abgesichert sein, sprach Christoph
Zarits (ÖVP) von einem richtigen Zeichen.
ÖVP und FPÖ stellen Mindestpension von 1.200 bei 40 Beitragsjahren ab 2020 in Aussicht
Die Forderung des SPÖ-Pensionistenverbandes nach einer Pensionsanpassung von 4% werteten sowohl Wöginger
als auch FPÖ-Seniorensprecher Werner Neubauer als "unredlich". Die Kritik der SPÖ sei "reiner
Theaterdonner und sonst nichts" kommentierte Neubauer. Sein Fraktionskollege Peter Wurm nannte die Diskussion
"abenteuerlich".
Neubauer begrüßte es ausdrücklich, dass es gelungen sei, niedrige und mittlere Pensionen über
der Inflationsrate von 2% anzuheben. "Darauf können wir wirklich stolz sein." Damit werde über
die Wertsicherung hinaus auch die Kaufkraft gestärkt. Man müsse aber auch die Finanzierbarkeit des Systems
im Auge behalten. Wurm wies darauf hin, dass 72% jener, die eine Pensionserhöhung über der Inflationsrate
erhalten, Frauen sein werden. Für das Jahr 2020 stellten sowohl Neubauer als auch Wöginger eine Mindestpension
von 1.200 € für all jene PensionistInnen in Aussicht, die 40 Beitragsjahre vorweisen können.
SPÖ sieht "schwarzen Tag" für die PensionistInnen
SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch sprach hingegen von einem "schwarzen Tag für die Pensionistinnen
und Pensionisten". Angesichts der aktuellen Hochkonjunktur wäre seiner Meinung nach eine höhere
Pensionsanpassung möglich gewesen. Die vorgesehene Anpassung sei der älteren Generation gegenüber
jedenfalls "unwürdig". Seine Parteikollegin Gabriele Heinisch-Hosek hält die Forderung nach
einem Plus von 4% für durchaus gerechtfertigt.
Muchitsch rechnete vor, dass eine Erhöhung um 2,6% für BezieherInnen einer Pension von 1.115 € ein Plus
von 29 € brutto und von 21 € netto bedeute. Bei Preissteigerungen von 3,9% für den wöchentlichen Einkauf
und von 4,4% für den täglichen Einkauf sei das ein enormer Kaufkraftverlust. Dem schloss sich auch Dietmar
Keck (SPÖ) an, der darauf verwies, dass die 0,6-prozentige Erhöhung über der Inflationsrate den
PensionistInnen umgerechnet 21 Cent pro Tag bringe. "Das ist eine halbe Semmel am Tag." Muchitsch zog
auch einen Vergleich mit dem Lohnabschluss der Metaller, wo das monatliche Plus in der untersten Lohngruppe 80
€ beträgt.
Die SPÖ drängte außerdem auf Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation und der Alterssicherung
von Frauen. Neben einem Ausgleichszulagenrichtsatz von 1.200 € für Personen mit 40 Versicherungsjahren fordern
Abgeordnete Heinisch-Hosek und ihre FraktionskollegInnen eine Abgeltung von Mehrarbeitszuschlägen nach dem
Muster von Überstundenzuschlägen sowie eine volle Anrechnung der gesetzlichen Karenzzeiten nach dem Mutterschutzgesetz
auf alle Rechtsansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten. Untermauert wurden die Forderungen
mit einem von Markus Vogl eingebrachten Entschließungsantrag, der bei der Abstimmung jedoch in der Minderheit
blieb.
NEOS vermissen Regelungen für "Luxuspensionen"
Auch nach Meinung von Gerald Loacker ist die Pensionsanpassung nicht sozial treffsicher. Das zeige allein schon
der Umstand, dass 1,33 Mio. Personen eine Pensionserhöhung über der Inflationsrate erhalten werden, sagte
er. Damit sei klar, dass nicht nur bedürftige Personen davon profitieren, dass die gesetzliche Automatik der
Inflationsanpassung von Pensionen wieder einmal ausgehebelt werde.
Loacker vermisst insbesondere eine Regelung für "Luxuspensionen". Da bei der Berechnung der Gesamtpension
nicht alle Pensionen zusammengerechnet werden, würden etwa auch BezieherInnen hoher Sonderpensionen oder hoher
ausländischer Renten für ihre niedrige gesetzliche Zweitpension eine überdurchschnittliche Pensionserhöhung
erhalten, gab er zu bedenken. Ein von ihm eingebrachter Abänderungsantrag wurde jedoch – wie auch schon im
Sozialausschuss – abgelehnt.
Loackers Fraktionskollegin Claudia Gamon rechnete vor, dass Paare mit unterschiedlich hoher Pension stärker
von der Anpassung profitieren als Paare mit annähernd gleich hoher Pension. Paare, die sich die Kinderbetreuungspflichten
aufgeteilt haben, seien somit benachteiligt. Gamon hält es außerdem für ein alarmierendes Zeichen,
dass Frauen, was die Pensionshöhe betrifft, nicht nur nicht gegenüber Männern aufholen, sondern
der Gender-Gap bei neu anfallenden Pensionen sogar gestiegen ist.
JETZT: Nettoanpassung liegt deutlich unter der Inflation
Seitens des Parlamentsklubs JETZT wertete es Daniela Holzinger-Vogtenhuber als grundsätzlich positiv, dass
man vom gesetzlichen Automatismus abgeht und niedrige Pensionen prozentuell stärker erhöht als hohe.
Ihrer Meinung nach geht die soziale Staffelung aber nicht weit genug. Auch bei niedrigen Pensionen liege die Nettoanpassung
deutlich unter der Inflation, monierte sie. Und das in Zeiten der Hochkonjunktur. Ein von ihr eingebrachter Rückverweisungsantrag
fand jedoch keine Mehrheit.
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