Forscher der Universität Graz zu möglicher EU-Erweiterung in Richtung Südosteuropa
Graz (universität) - Da waren es nur noch 27: Wenn Großbritannien die EU im März 2019 verlässt,
schrumpft das Staatenbündnis erstmals seit den Anfängen der europäischen Integration, die bis in
die 1950er Jahre zurückreichen. Doch es warten bereits andere Staaten auf die Aufnahme in die Union: In Südosteuropa
haben zumindest Serbien und Montenegro eine realistische Chance, die Beitrittsverhandlungen bis 2025 auf Schiene
gebracht zu haben. Andere Staaten harren noch dieser Perspektive. Liegt die Zukunft der Europäischen Union
im Osten des Kontinents? Florian Bieber vom Zentrum für Südosteuropastudien der Universität Graz
umreißt die derzeitigen Positionen der Länder in der Warteschleife:
Serbien und Montenegro
„Serbien und Montenegro führen Beitrittsgespräche und gelten als die Länder mit den besten Perspektiven
auf die Mitgliedschaft. In beiden gibt es allerdings schwerwiegende Probleme mit Rechtsstaatlichkeit sowie ein
ernstzunehmendes Demokratiedefizit. Serbien kann weiterhin erst der EU beitreten, wenn es eine Klarheit in der
Kosovofrage gibt.“
Mazedonien und Albanien
„Für Juni 2019 sind beginnende Verhandlungen in Aussicht gestellt worden. Die Vorbereitungen dafür gehen
jetzt los. Wie rasch und positiv diese voranschreiten, wird davon abhängen, wie professionell diese beiden
Länder in der Phase der Beitrittsgespräche agieren. Für Mazedonien wird es auch darauf ankommen,
ob es gelingt, das Abkommen zur Lösung der Namensfrage mit Mazedonien umzusetzen. Die größte Hürde
wurde am 19. Oktober genommen, als der Prozess zur Verfassungsänderung im mazedonischen Parlament mit der
nötigen zwei Drittel Mehrheit beschlossen wurde. Es bedarf jedoch noch zwei weiterer Abstimmungen im dortigen
Parlament, sowie einer im griechischen Parlament. Scheiterten diese, wird Mazedonien weiter warten müssen.
Die nächste Gelegenheit den Namensstreit mit Griechenland beizulegen, wird es erst in einigen Jahren geben.“
Bosnien und Herzegowina und der Kosovo
„Kosovo wird derzeit von fünf EU-Mitgliedern – Rumänien, Zypern, Griechenland, Slowakei und Spanien –
nicht anerkannt, hauptsächlich, weil in diesen Ländern ethnische Minderheiten leben und man keinen Präzedenzfall
schaffen will. Das Problem ist daher auch innerhalb der EU symbolisch aufgeladen. Ein Ausgleich zwischen Serbien
und Kosovo muss sicherstellen, dass diese fünf Staaten einer Annäherung des Kosovo an die EU nicht im
Weg stehen. Für Bosnien liegen die Herausforderungen im komplexen Staatsaufbau und der ethnischen Polarisierung
durch die politischen Eliten. Somit sind beide Länder am weitesten von der EU entfernt und es besteht keine
klare Vorstellung, wie dieser Prozess beschleunigt werden könnte.“
Wie intensiv kann und soll Österreich also in den restlichen drei Monaten seines EU-Ratsvorsitzes die Frage
der EU-Erweiterung nach Südosteuropa thematisieren? Florian Bieber dazu: „Dieses Thema hat in den vergangenen
zehn Jahren keine Priorität erfahren. Aktuell ist die Migration mit all ihren Konsequenzen ein Hauptthema,
neben dem andere schwer bestehen. Österreich hätte die Chance gehabt, in seiner Ratsvorsitzperiode Südosteuropa
wieder auf die Tagesordnung zu bringen, hat sich aber leider für ein defensives Motto – ‚Ein Europa, das schützt‘
– entschieden. Die Warteschleifen-Position führt innerhalb der Bevölkerung der südosteuropäischen
Staaten zu Skepsis gegenüber Europa und Abwehrhaltungen auf der einen, sowie zu Perspektivenlosigkeit und
Abwanderung auf der anderen Seite. Eine Entwicklung, die dem Kontinent insgesamt nicht guttut. Verzögert werden
die Beitrittsverhandlungen aber hauptsächlich durch antidemokratische Strömungen in den Balkan-Regionen
sowie durch Regierungen, die autokratisch agieren und natürlich keinesfalls zu akzeptieren sind. Leider fehlt
das politische Bekenntnis zu Veränderung in den Ländern Südosteuropas.“
|