Mehrheit im Nationalrat für Unterstützung der Länder nach Abschaffung des Pflegeregresses
Wien (pk) - Die Bundesländer erhalten mehr Mittel zur Kompensation von Einnahmeausfällen im Pflegebereich,
nachdem der Pflegeregress letztes Jahr abgeschafft worden ist. Mit einem eigenen Bundesgesetz beschloss der Nationalrat
am 22. November mehrheitlich, zusätzlich zu den schon ausgezahlten 100 Mio. € den Ländern insgesamt
noch 240 Mio. € diesen Dezember zu überweisen. ÖVP, FPÖ und JETZT zeigten sich äußerst
zufrieden mit den Zweckzuschüssen, beweise der Bund damit doch sein Verantwortungsbewusstsein gegenüber
den Ländern, sie bei der Sicherstellung einer hochwertigen Pflege zu unterstützen. Die langfristige Absicherung
der Pflege in Österreich ist auch SPÖ und NEOS ein Anliegen, die SozialdemokratInnen bemängelten
aber an der derzeitigen Finanzierung, sie sei nicht tragfähig. Ihrer Ansicht nach sollte die Einführung
einer Erbschaftssteuer für die nötigen Mittel sorgen. Für die NEOS war schon die Abschaffung des
Pflegeregresses im Vorjahr ein Fehler, da ihrer Meinung nach nicht durchdacht. Ohne ein umfassendes Pflegekonzept
steuere man auf ein Fiasko zu.
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein betonte, die jetzige Regierung werde die "Versäumnisse" der
letzten Jahrzehnte im Pflegebereich nachholen. In Kürze werde ein Masterplan vorgelegt, um besonders auch
die vielen pflegenden Angehörigen in Österreich besser zu unterstützen. Entschieden wandte sie sich
gegen den SPÖ-Vorschlag einer Erbschaftssteuer zur Pflegefinanzierung, denn damit würde eine neue "Massensteuer"
eingeführt. "Jeder Mensch, der Pflege braucht, soll das Recht darauf haben", das sei ein Regierungsziel.
Unterstützung soll sich am Länderbedarf orientieren
Peter Wurm (FPÖ) erläuterte im Plenum nochmals die Details der zusätzlichen Unterstützungsleistungen,
die aus dem Bundesbudget an die Länder gehen sollen. Nach Erhalt der Gelder seien die Länder verpflichtet,
die Mittel "transparent und zeitnah" an die betroffenen Gemeinden, Städte, Sozialfonds und Sozialhilfeverbände
zu verteilen, heißt es im Gesetzestext. Weil die tatsächliche Summe der Einnahmeausfälle seitens
der Länder noch nicht abzuschätzen sei, so Wurm, sehe man die Endabrechnung erst im Jänner 2019
vor. Bezahlt werde dann nächstes Jahr der Differenzbetrag.
Die Aufteilung der Mittel zwischen den Bundesländern erfolgt laut Regierungsvorlage nach einem speziellen
Schlüssel, der sich an den von den Ländern eingemeldeten Mehrkosten orientiert. Die meisten Zuschüsse
werden demnach die Steiermark und Oberösterreich erhalten. Basis der Berechnung bilden laut Wurm neben der
Einwohnerzahl eine Landes dessen spezifische Unterschiede im Pflegewesen wie die Pflegebettenzahl oder die Höhe
der Pflegesätze. Insgesamt, resümierte der FPÖ-Abgeordnete, sei es mit dieser pragmatischen Finanzierung
möglich, in Würde zu altern, "ohne alles im Vorfeld zu verteilen". Wurm spielte mit dieser
Bemerkung auf die Zeit vor Abschaffung des Pflegeregresses 2017 an, als ihm zufolge von älteren Menschen häufig
das gesamte Vermögen verschenkt wurde, um Regressforderungen der öffentlichen Hand zu entgehen, sollten
sie pflegebedürftig werden.
Kritik von SPÖ und NEOS an Finanzierungsmodell
"Die Abschaffung des Pflegeregresses war ein sozialpolitisch großer Schritt", unterstrich SPÖ-Sozialsprecher
Alois Stöger. Die von der SPÖ angedachten flankierenden Maßnahmen seien jedoch beim damaligen Koalitionspartner
ÖVP auf Widerstand gestoßen. Neben einer Pflegemilliarde zur Verbesserung der Ausbildung, der mobilen
Dienste, der Situation von pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung und einer Valorisierung des Pflegegelds
nannte Stöger die Schaffung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer. Eine Finanzierung der Pflege über
Zweckzuschüsse sei nämlich nicht nachhaltig. Außerdem sieht Stöger am Zahlungsfluss in Richtung
Bundesländer ein Problem, weil die Pflegekosten ja von den Gemeinden getragen würden und somit nicht
sicher sei, dass das Geld an der richtigen Stelle ankommt.
Für die NEOS kritisierte Irmgard Griss das Finanzierungsvorhaben als "verantwortungslos", wie es
auch die rasche Abschaffung des Pflegeregresses im Vorfeld der Nationalratswahl 2017 gewesen sei. Weder eine Erbschaftssteuer
noch das seitens der ÖVP propagierte Vorgehen gegen Sozialbetrug durch ein Foto auf der E-Card reichten aus,
die Pflege - "ein finanzielles Fass ohne Boden" - langfristig sicherzustellen. Vielmehr verzeichneten
die Länder seit letztem Jahr einen drastischen Anstieg der Nachfrage nach Pflegeheimplätzen, kritisierte
Griss, obwohl die meisten Betroffenen keine stationäre Pflege wollten. Sie hoffe sehr, dass die Ministerin
wie versprochen bis Jahresende ihr umfassendes Pflegekonzept vorlegt, um die Gefahr der "tickenden Zeitbombe"
zu bannen, so die NEOS-Rednerin.
Lob von ÖVP, FPÖ und JETZT für Pflegeunterstützung vom Bund
Die Vorhaltungen der Abgeordneten Griss (NEOS) versuchte Ernst Gödl (ÖVP), mit Daten und Fakten zu widerlegen.
Laut Statistik würden 85% der PflegegeldbezieherInnen zuhause versorgt, sagte er. 6,5% dieser Personen nähmen
die 24-Stunden-Betreuung und ganze 20% mobile Dienste in Anspruch. Bei der Abschaffung des Pflegeregresses habe
der Bundesgesetzgeber sichergestellt, dass Länder und Gemeinden schadlos gehalten werden, so Gödl unisono
mit seinem Parteikollegen Christoph Zarits. Dieser fügte an, "es ist die Aufgabe der Politik, hochwertige
Pflege zu garantieren". Dementsprechend würden die Mehrkosten den Bundesländern fair abgegolten.
Zarits wies dabei auch auf den Erfolg der Verhandlungen mit Finanzminister Hartwig Löger hin.
Für die FPÖ machte Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch klar, der Sozialministerin sei für ihre
Einigung mit den Bundesländern und dem Finanzministerium zu gratulieren, denn nun gebe es ein "tragfähiges
Konzept" der Pflegefinanzierung. Ein "Meilenstein" sei die Abschaffung des Pflegeregresses im Vorjahr
gewesen, doch der damalige sozialdemokratische Sozialminister Stöger habe es unterlassen, echte Lösungen
der Finanzierungsfrage anzubieten. Mit der von ihm vorgeschlagenen Erbschaftssteuer als "Millionärssteuer"
wären weniger als 100 Mio. € pro Jahr an den Staat gegangen - zu wenig, um das Pflegesystem zu finanzieren.
Folglich hätte es zur Pflegefinanzierung eine neue Massensteuer gebraucht, was die aktuelle Regierung nicht
wolle. Nachdem man nun die Pflege "auf solide Beine" gestellt habe, wie Belakowitsch meinte, gehe das
Sozialministerium die leistbare Versorgung mit der 24-Stunden-Betreuung an sowie die Erhöhung des Pflegegelds
der Pflegestufe IV ab 2021.
JETZT-Mandatarin Daniela Holzinger-Vogtenhuber will allerdings eine Pflegegelderhöhung schon ab der Pflegestufe
1 realisiert sehen, wie sie im Plenum verdeutlichte. Eine alleinige Erhöhung der höchsten Pflegestufe
stellt für sie eine "Hintergrundsubvention" stationärer Pflegeeinrichtungen dar. Abgesehen
davon pflichtete Holzinger-Vogtenhuber den RednerInnen von FPÖ und ÖVP aber bei, die Bundesländer
dürften mit den Pflegekosten nicht alleine gelassen werden. Grundsätzlich deckte sich in puncto Abschaffung
des Pflegeregresses ihre Meinung mit allen übrigen Fraktionen außer den NEOS. Der staatliche Zugriff
auf das gesamte Vermögen eines pflegebedürftigen Menschen sei einer Enteignung oder "100-prozentigen
Erbschaftssteuer" gleichgekommen, die als ungerecht abzulehnen sei.
Eine Ungerechtigkeit der anderen Art, nämlich in Bezug auf PflegerInnen für die Betreuung daheim, zeigte
Efghani Dönmez, Abgeordneter ohne Fraktion, auf. An mehreren Beispielen schilderte er, wie zumeist Frauen
aus osteuropäischen Ländern von lokalen Agenturen für die Pflege in Österreich mit unverständlichen
Verträgen angeworben würden, und diese Pflegerinnen dann für ein geringes Entgelt schwerste Arbeit
verrichten müssten. "Das ist moderne Sklaverei", analysierte Dönmez und appellierte an das
Plenum, gemeinsam dagegen aufzutreten. Bundesministerin Hartinger-Klein überreichte er überdies ein Konvolut
mit Vorschlägen zur Reform in der Personenbetreuung.
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