Bremer Materialwissenschaftler und Arp-Schnitger-Institut für Orgel und Orgelbau präsentieren
Ergebnisse eines Projekts zur Verminderung von Bleikorrosion an Orgelpfeifen.
Bremen (idw) - Nach über zwei Jahren Projektlaufzeit präsentierten gestern Wissenschaftler der
Bremer Materialprüfungsanstalt (MPA) am Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien - IWT
und des Arp-Schnitger-Instituts für Orgel und Orgelbau an der Hochschule für Künste (HfK) Bremen
die Ergebnisse aus dem Projekt „Maßnahmen zur Verminderung von Bleikorrosion an Orgelpfeifen“.
Das Projekt unter Leitung von Dr.-Ing. Herbert Juling, Material- und Konservierungsforscher am Leibniz-IWT, beschäftigte
sich mit den immer häufiger auftretenden Korrosionsschäden an historischen Orgeln. Mehr als 50 Gäste
aus Wissenschaft und Orgelbau nahmen an der Veranstaltung in der Kirchengemeinde Grasberg teil. Das von der Deutschen
Bundesstiftung Umwelt und der Klosterkammer Hannover geförderte Projekt hatte sich zum Ziel gesetzt, Maßnahmen
zu entwickeln, um diesen dramatischen Entwicklungen entgegenzuwirken.
Die historischen Orgeln in Deutschland bilden ein unersetzbares Kulturgut. Sie sind nicht nur das Klanggedächtnis
einer längst vergangen Zeit, sondern stellen ein unwiederbringliches Zeugnis ästhetischer und stilistischer
Traditionen ihrer jeweiligen Entstehungszeit dar. Auch die Handwerkskunst verschiedener Epochen spiegeln sie auf
einzigartige Weise wider. Dieser kulturelle Schatz ist jedoch seit den vergangenen Jahrzehnten einer starken Bedrohung
ausgesetzt: Korrosion zerstört die Jahrhunderte alten Bleipfeifen der Orgelinstrumente.
Zwei Jahre haben Juling und seine Kooperationspartner Untersuchungen an insgesamt sechs betroffenen Kirchen in
Belum, Marienhafe, Osteel, Freiburg/Elbe, Celle und Rumbeck durchgeführt. Dabei standen insbesondere klimatische
Messungen, Untersuchungen der Entwicklung von Bleikorrosion sowie des im Orgelbau und der Restauration verwendeten
Holzes im Vordergrund. Unterstützt wurden die Wissenschaftler dabei von insgesamt vier Orgelbauern, die das
Projekt mit ihren Erfahrungen aus der Praxis begleiteten.
Für die Beurteilung der klimatischen Situation in den Kirchen führte Juling Messungen über den Zeitraum
eines Jahres durch. „Es gibt Probleme mit der Luftfeuchtigkeit in den Kirchen“, so Juling. „Man muss diese unterhalb
eines gewissen Wertes halten, um Korrosion zu vermeiden oder zumindest den Verlauf zu verlangsamen.“ Die während
des Projekts erfassten Daten über Temperatur und Luftfeuchtigkeit ergaben, dass ein entscheidender Faktor
für das Klima die absolute Luftfeuchtigkeit ist. Denn die Kirchen sind heutzutage besser wärmeisoliert,
werden aber zu selten gelüftet. Dadurch wird es im Inneren der Kirche zu feucht. Besonders während des
Sommers überschreitet die absolute Feuchtigkeit einen für die Bleipfeifen kritischen Wert. Abhilfe können
hier automatisierte Lüftsysteme schaffen, die die Lüftung anhand der absoluten Luftfeuchtigkeit steuern.
Aber auch reguläres Querlüften oder Dauerlüften bietet eine Verbesserung der Werte.
Bereits im vorangestellten Pilotprojekt wurde die Essigsäure, die von in der Restauration verwendeten Eichenhölzern
abgesondert wird, als zentrale Ursache für die Korrosion der Bleipfeifen betrachtet. Mit einem einfachen Testverfahren,
dem Oddy-Test, konnte die Emission der Essigsäure einzelner Hölzer aufgezeigt werden. Ein Test, der auch
von den Orgelbauern relativ einfach eingesetzt werden kann. „Unser Ziel in diesem Projekt war es, Maßnahmen
zu entwickeln, die jeder Orgelbauer auch in seiner Werkstatt umsetzen kann“, so Juling. Die Untersuchungen der
Wissenschaftler ergaben zudem, dass durch eine Beschichtung der Hölzer mit Kalk, die austretende Säure
neutralisiert werden kann. In einem Laborexperiment baute Juling mit seinen Partnern Teile der Orgel nach, um Messung
unter authentischen Bedingungen vorzunehmen. Sein Fazit: Richtig umgesetzt, kann die Essigsäureemission durch
eine Beschichtung mit Kalk um mehr als 90 Prozent gesenkt werden.
Ein weiterer Ansatz zum Schutz der Pfeifen bildet eine nachträgliche Passivierung des Bleis durch den Einsatz
von Schwefelsäure. In früheren Zeiten war dies ein automatischer Prozess, da die Luft deutlich unreiner
war und eine höhere Konzentration von Schwefeldioxid in der Luft vorhanden war. Schwefeldioxid reagiert mit
Bleioxid zu Bleisulfat. Genau dieser Stoff bildet die Schutzschicht, die man heute noch auf alten Pfeifen findet.
Es fand also eine natürliche Passivierung der Bleipfeifen statt. Hier können die Orgelbauer nun ansetzen
und die Bleioberfläche mit Schwefelsäure behandeln, um dem Bleifraß entgegenzuwirken. „Unsere Untersuchungen
haben ergeben, dass sich die Korrosion weitestgehend verhindern lässt, wenn man frisches Blei mit Schwefelsäure
behandelt“, sagt Juling. Ein Bad in Schwefelsäure könnte zukünftig also ein Weg sein, um die Pfeifen
immun gegen die Korrosion zu machen. Die Anwendung in der Praxis muss nun in den nächsten Jahren zeigen, welche
Maßnahmen im Orgelbau umgesetzt werden können und wo noch nachgebessert werden muss.
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