New York/Wien (med-uni) - Volles Risiko oder doch lieber die Sicherheitsvariante? Anhand der neuronalen Aktivität
im präfrontalen Cortex des Gehirns lässt sich schon vorab zeigen, welche Aktion als nächstes gesetzt
wird: Bleibt die Aktivität spezifischer Neuronen niedrig, wird bei der nächsten Gelegenheit wieder Risiko
genommen. Wenn die Aktivität dieser Nervenzellen aber stark ansteigt, dann wird als nächstes die Sicherheitsvariante
gewählt. Das ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Publikation im Fachjournal „Neuron“ von Forschern am
Zentrum für Hirnforschung und dem Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme
der MedUni Wien sowie der NYU School of Medicine, New York.
Im Tiermodell wurden Ratten zwei Wahl-Möglichkeiten angeboten: Der eine Weg führte zur Variante „Sicherheit“
und zu einer kleinen, aber zuverlässigen Portion Futter. Der andere Weg – die Variante „Risiko“ – brachte
den Tieren entweder eine vierfache Portion, oder gar kein Futter. Für die Risikowahl wurde die Wahrscheinlichkeit,
Futter zu bekommen oder leer auszugehen, mehrmals während des Experiments geändert und die Ratten lernten
ihre Strategien und Risikobereitschaft zu ändern. Dabei hat Studienautor Johannes Passecker entdeckt, dass
die Aktivität spezieller Nervenzellen im präfrontalen Cortex die zukünftige Entscheidung der Tiere
voraussagt, selbst dann wenn unerwartete Entscheidungen entgegen der vorangegangenen Erfahrungen getroffen wurden.
Passecker, der die Studie am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien durchführte und seit kurzem an
der Columbia University in New York arbeitet, erklärt: „Wir konnten aufgrund der Analyse der neuronalen Aktivität
vorhersagen, welche Entscheidungen das Versuchstier als nächstes treffen wird. Außerdem konnten wir
durch selektive Manipulation der Gehirn-Aktivität sogar die Entscheidungen der Tiere derart beeinflussen,
sodass sie ein höheres Risiko bei ihren Spekulationen eingingen.“ Das gelang mit Hilfe von Laserlicht aktivierbaren
optogenetischen Proteinen, die künstlich in Neuronen des präfrontalen Cortex eingebracht wurden. Unterdrückten
die Wissenschaftler selektiv die neuronale Aktivität im präfrontalen Cortex, gingen die Ratten auf volles
Risiko und ignorierten selbst anhaltenden Misserfolg.
Neue Optionen für die Behandlung von Depression oder Spielsucht?
Ziel der WissenschafterInnen ist es nun, genau jene synaptischen Neuronenpfade und spezielle Zelltypen zu identifizieren,
die für eine Änderung oder Beibehaltung des Verhaltens wichtig sind. Die WissenschaftlerInnen wollen
verstehen, wie solche Entscheidungssignale vom Gehirn entwickelt werden und wie unterschiedliche Hirnregionen die
verschiedenen relevanten Aspekte für die Entscheidungsfindung zusammentragen. Dadurch könnte es künftig
möglich sein, Erkrankungen wie Spielsucht, aber auch Depression besser zu verstehen und besser therapieren
zu können.
„Bei Depression liegt es nahe, dass hier eine zu starke Inaktivität der Neuronen vorliegt“ so Passecker. „Vielen
Betroffenen fällt es sehr schwer ihre derzeitige Situation zu ändern. Selbst morgens aus der Sicherheit
des Bettes zu kommen, wird zu einer oft unüberbrückbaren Herausforderung. “Bei Spielsucht scheint die
Neuronenaktivität im präfrontalen Cortex ebenfalls sehr gering, die Betroffenen verharren im gleichen
Muster und sind nicht mehr in der Lage, adäquat massive Spekulationsverluste richtig einzuschätzen, und
dementsprechend auf die Variante „Sicherheit“ umzuschalten.
„Activity of prefrontal neurons predict future choices during gambling.“ Johannes
Passecker, Nace Mikus, Hugo Malagon-Vina, Philip Anner, Jordane Dimidschstein, Gordon Fishell, Georg Dorffner and
Thomas Klausberger. DOI: https://doi.org/10.1016/j.neuron.2018.10.050. Das Projekt wird vom Wiener Wissenschafts-,
Forschungs- und Technologiefonds unterstützt.
|