Bund-Länder-Vereinbarung soll bundeseinheitliche Qualitätsstandards für "Kinder
und Jugendhilfe" absichern
Wien (pk) - Das von der Regierung vorgeschlagene Gesetzespaket zur Kompetenzbereinigung hat am 6. Dezember
den Verfassungsausschuss des Nationalrats passiert. Neben den Koalitionsparteien stimmte auch die SPÖ für
den Entwurf, nachdem dieser, was die geplante "Verländerung" der Kinder- und Jugendhilfe betrifft,
geringfügig nachjustiert wurde. Damit dürfte die notwendige Zweidrittelmehrheit im Nationalrat gesichert
sein. Die NEOS und die Fraktion JETZT sind dagegen weiter skeptisch: Ihrer Meinung nach müsste die Kinder-
und Jugendhilfe Bundesmaterie sein.
Konkret sieht das Gesetzespaket nun vor, die Gesetzgebungskompetenzen für den Bereich "Mutterschafts-,
Säuglings- und Jugendfürsorge" erst dann zur Gänze an die Länder zu übertragen, wenn
eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Artikel 15a B-VG zum Bereich Kinder-
und Jugendhilfe vorliegt und Rechtskraft erlangt hat. Damit soll sichergestellt werden, dass das geltende Schutzniveau
in diesem Bereich erhalten bleibt. Eine ähnliche Bestimmung hatte zwar schon die Regierungsvorlage ( 301 d.B.
) enthalten, allerdings war ursprünglich nur eine rechtsverbindliche Vereinbarung der Länder untereinander
– ohne Einbindung des Bundes – in Aussicht genommen. Zudem wurde eine Ausschussfeststellung zur Weiterentwicklung
der Kinder- und Jugendhilfe gefasst.
Erfreut über die nunmehrige Zustimmung der SPÖ zeigten sich nicht nur die Abgeordneten der Koalitionsparteien,
sondern auch Justizminister Josef Moser. Es sei wichtig, Kompetenzen klar zuzuordnen, bekräftigte er. Damit
verhindere man, dass sich im Falle von konkreten Problemen Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben,
wie das in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen sei. Dass es bei der Kinder- und Jugendhilfe nun zu
niedrigeren Standards kommen wird, ist laut Moser schon allein deshalb nicht zu erwarten, weil das geltende Grundsatzgesetz
ohnehin wenig präzise sei. Er sieht in der Kompetenzübertragung vielmehr einen "enormen Fortschritt",
da sich die Länder ausdrücklich dazu bekannt haben, einheitliche Standards zu schaffen und Verantwortung
zu übernehmen.
Die weiteren in der Verfassungsnovelle verankerten Kompetenzverschiebungen treten Anfang 2020 in Kraft. Dabei geht
es insbesondere um eine Reduzierung der Zahl jener Materien, in denen der Bund derzeit für die Grundsatzgesetzgebung
zuständig ist und den Ländern die Erlassung von Ausführungsgesetzen obliegt. Überdies werden
mit dem Paket die Datenschutzkompetenzen beim Bund gebündelt und wechselseitige Zustimmungsrechte von Bund
und Ländern, etwa was die Festlegung von Bezirksgrenzen und Gerichtssprengeln betrifft, aufgehoben.
Mittels Abänderungsantrag wieder aus dem Paket gestrichen wurde dagegen jene Bestimmung, die eine Neuformulierung
des Grundrechts auf Datenschutz zum Inhalt hatte. Damit steht auch der dritte diesbezügliche Anlauf vor dem
Scheitern. Zuletzt ist das Vorhaben im April dieses Jahres trotz eines Drei-Parteien-Antrags erfolglos geblieben,
da die SPÖ letztlich auf die Einführung einer Verbandsklage im Datenschutzbereich beharrte. Weitere Abänderungen
betreffen klarstellende Präzisierungen, zudem wurde zu einigen Punkten eine Ausschussfeststellung gefasst,
um Missinterpretationen zu vermeiden.
Weitere Kompetenzbereinigungen werden vorbereitet
Im Rahmen der Debatte bedankte sich Wolfgang Gerstl (ÖVP) für die konstruktiven Verhandlungen. Sowohl
er als auch FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan sehen in der Reform einen wesentlichen Schritt zur Entflechtung
von Kompetenzen. Der Artikel 12 der Bundesverfassung sei immer schon eine Anomalie gewesen, sagte Gerstl, nun werde
diese fast 100 Jahre alte Anomalie zumindest in Teilbereichen beseitigt. Bis jetzt sei es noch niemandem gelungen,
diesen Knoten zu lösen, hielt Stefan fest. Die Befürchtung, dass die Länder die Standards für
die Jugendhilfe senken könnten, teilt Stefan nicht. Nicht alles was zentral geregelt sei, sei automatisch
besser.
"Da ist ein schönes Stück gelungen", betonte auch Klaus Fürlinger (ÖVP). Mit dem
Paket werde der Boden für weitere Schritte gelegt. Laut Justizminister Moser ist sein Ressort gerade dabei,
die restlichen drei Materien, die vorläufig im Artikel 12 der Bundesverfassung verbleiben, so aufzubereiten,
dass darüber strukturiert diskutiert werden kann. Konkret geht es um einen Aufriss, wer tatsächlich welche
Kompetenzen wahrnimmt und welche Lösungsvorschläge es für eine Entflechtung gibt. Vorliegen soll
der Problemaufriss bis 18. März, dann will Moser mit den Ländern und den Parteien verhandeln.
Kritisch zum Gesetzespaket äußerten sich Nikolaus Scherak (NEOS) und Alfred Noll (JETZT). Sie begrüßten
zwar das Vorhaben, die Materien, in denen der Bund für die Grundsatzgesetzgebung und die Länder für
die Ausführungsgesetze zuständig sind, zu reduzieren. Sowohl Scherak als auch Noll sind aber überzeugt,
dass die Kinder- und Jugendhilfe besser beim Bund aufgehoben wäre. Die Kompetenzübertragung an die Länder
sei "falsch", meinte Scherak. Die SPÖ mache sich zum Erfüllungsgehilfen von ÖVP und FPÖ
und falle "ohne Not um", ergänzte Noll. Auch die geplante Bund-Länder-Vereinbarung ist für
Scherak nur eine "hatscherte Lösung".
Auch von der SPÖ kritisiert wurde, dass der Evaluierungsbericht zum 2013 beschlossenen Kinder- und Jugendhilfegesetz
bislang nicht vorgelegt wurde. Katharina Kucharowits (SPÖ) kündigte in diesem Sinn einen Entschließungsantrag
im Plenum des Nationalrats an. Grundsätzlich betonte Kucharowits, dass Kinderschutz für die SPÖ
höchste Priorität habe. Ein Kind sei ein Kind, unabhängig davon, welche Eltern es habe oder ob es
ohne Eltern aufwachse. In diesem Sinn hält sie die Sicherstellung hoher Qualitätsstandards in diesem
Bereich für ganz zentral. Ihr Fraktionskollege Johannes Jarolim sprach von einer "seltsamen Gesetzeswerdung"
und interpretierte die "Verländerung" der Materie so, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz die Kinder-
und Jugendhilfe offenbar egal, den Ländern aber ein wichtiges Anliegen sei.
Bund und Länder werden sich Gesetzgebungskompetenz nur noch in wenigen Materien teilen
Im Konkreten sieht der Gesetzentwurf vor, nur noch die Kompetenztatbestände Armenwesen, Heil- und Pflegeanstalten
sowie Elektrizitätswesen im Artikel 12 der Bundesverfassung zu belassen, welcher jene Materien umfasst, in
denen dem Bund die Grundsatzgesetzgebung obliegt und den Ländern die Ausgestaltung der Ausführungsgesetze
und die Vollziehung zukommt. Dazu gehören etwa auch die Mindestsicherung und die Krankenhäuser. Von den
neun übrigen Kompetenztatbeständen wird ein Großteil in die alleinige Zuständigkeit der Länder
wandern. Das betrifft etwa die Säuglings- und Jugendfürsorge, den Pflanzenschutz, die Bodenreform, natürliche
Heilvorkommen (Thermalwasser) und Kuranstalten. Dem Bund werden demgegenüber die alleinigen Gesetzgebungskompetenzen
für Bevölkerungspolitik, Arbeitsrecht im Bereich Land- und Forstwirtschaft und die außergerichtliche
Streitvermittlung in Angelegenheiten des Zivilrechtswesens und des Strafrechtswesens übertragen. Gemeindevermittlungsämter,
Antidiskriminierungsstellen, Beratungsstellen und ähnliche Einrichtungen sind davon laut Erläuterungen
jedoch nicht umfasst.
Reduzierung der wechselseitigen Zustimmungsrechte von Bund und Ländern
Mit dem Gesetzespaket werden darüber hinaus die wechselseitigen Zustimmungsrechte von Bund und Ländern
reduziert. Das betrifft nicht nur die Festlegung der Grenzen von politischen Bezirken als künftig alleinige
Kompetenz der Länder und von Gerichtssprengeln als alleinige Kompetenz des Bundes, sondern auch die Organisation
der Ämter der Landesregierung, die Bestellung von LandesamtsdirektorInnen und die Verleihung des Stadtrechts
an Städte mit mehr als 20.000 EinwohnerInnen. In diesen drei Bereichen wird der Bund künftig ebenfalls
kein Vetorecht mehr haben. Außerdem ist eine einheitliche Vorgangsweise bei verbleibenden Einspruchsrechten
der Bundesregierung gegen einzelne Landesgesetze vorgesehen.
Ungeachtet der geplanten neuen Bestimmungen will die Regierung die Interessen der Länder bei einer Änderung
der Sprengel der Bezirksgerichte jedoch weiter berücksichtigen, wie in den Erläuterungen zum Gesetzespaket
festgehalten wird. Zudem ist dort die Zusage festgehalten, dass in jedem Bundesland zumindest ein Landesgericht
bestehen soll.
Zugunsten von mehr Flexibilität bei Postenbesetzungen gestrichen wird die Bestimmung, wonach LandesamtsdirektorInnen
und MagistratsdirektorInnen aus dem Kreis der BeamtInnen kommen müssen. Weiters können in Hinkunft die
Rechtsvorschriften aller Behörden, also etwa auch von Bezirksverwaltungsbehörden, Gemeinden, Gemeindeverbänden
und von in den Ländern eingerichteten Selbstverwaltungskörpern (z.B. Ärztekammern), sowie von Verwaltungsgerichten
im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) kundgemacht werden.
|