Regierungsfraktionen loben Jahrhundertprojekt,
Opposition ortet "Drei-Klassen-Medizin" – Opposition warnt vor erstem Schritt in Richtung Privatisierung
des Gesundheitssystems
Wien (pk) – Bei den Sozialversicherungen (SV) wird sich einiges ändern. Mit ÖVP-FPÖ-Mehrheit beschloss
der Nationalrat am 13. Dezember die im Vorfeld breit diskutierte Reform der Sozialversicherungsträger. Sozialministerin
Beate Hartinger-Klein würdigte die Entscheidung mit den Worten "Wir schreiben Geschichte." Die Regierung
zeige den Mut zu einer Reform, "die seit Jahrzehnten notwendig war". Eindeutige Gewinner der Sozialversicherungsreform
seien die Versicherten. Die Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ pflichteten ihr bei, die Vorteile der verschlankten
Sozialversicherungsstruktur würden für die PatientInnen durch eine bessere ärztliche Versorgung
und mehr Leistungsgerechtigkeit spürbar. "Daher gibt es große Zustimmung für die Reform",
befand Dagmar Belakowitsch (FPÖ).
Ganz anders der Tenor unter den Oppositionsparteien: SPÖ und JETZT sehen in der Strukturreform den Anfang
einer "Drei-Klassen-Medizin" und übten massive Kritik an der Neuaufstellung der Entscheidungsgremien
in den Kassen. Dabei würden die Interessen der Arbeitgeberseite über Gebühr gestärkt. Von einer
echten Leistungsharmonisierung könne bei der Reform keine Rede sein, stimmten die NEOS in die Kritik ein.
Gerald Loacker (NEOS) verwies beispielsweise auf Privilegien bei den Krankenfürsorgeanstalten für öffentlich
Bedienstete, die man nicht antasten wolle, zulasten der ArbeiterInnen und ArbeitnehmerInnen. "Die FPÖ
ist im Liegen umgefallen", erklärte SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner das Zustandekommen des Reformgesetzes.
"Sie hat ihre Wähler und Wählerinnen auf Geheiß der ÖVP verraten."
Das sogenannte Sozialversicherungs-Organisationsgesetz führt unter anderem zu einer Reduktion der Sozialversicherungsträger
von 21 auf 5, heißt es im Regierungsvorschlag. Die Gebietskrankenkassen werden in der Österreichischen
Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengefasst, die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft mit jener
der Bauern zur Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) verschmolzen und die Versicherungsanstalt
für Eisenbahnen und Bergbau mit der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter zur neuen BVAEB fusioniert.
Erhalten bleiben die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), wobei
Letztere eine Reihe von Sparauflagen zu erfüllen hat. An die Stelle des Hauptverbands tritt künftig ein
verschlankter Dachverband, die Zahl der FunktionärInnen sinkt. Gleichzeitig sollen UnternehmervertreterInnen
in der neuen Selbstverwaltung mehr Einfluss in den Kassen bekommen sowie die Aufsichtsrechte des Sozialministeriums
und des Finanzministeriums ausgeweitet werden.
Während der Debatte brachten Abgeordnete der Regierungsfraktionen und der Opposition mehrere Anträge
zur Gesetzesvorlage ein. Mehrheitlich Zustimmung erhielten zwei Abänderungsanträge von ÖVP und FPÖ
sowie ein Entschließungsantrag der Koalitionsparteien, mit dem die Bundesländer weiterhin die Möglichkeit
zur Rücklagennutzung der Gebietskrankenkassen erhalten. Nur eine Minderheit billigte die NEOS-Vorschläge
zur Sozialversicherungsreform, festgehalten in einem Abänderungs- und einem Entschließungsantrag. Genauso
mehrheitlich abgelehnt wurden ein Entschließungsantrag von JETZT zur Selbstverwaltung und ein Antrag auf
Rückverweisung des Gesetzesentwurfs in den Sozialausschuss.
Neben der Sozialversicherungsreform beschloss der Nationalrat heute mehrheitlich eine weitere Novelle zum Allgemeinen
Sozialversicherungsgesetz (ASVG): jene zur Telerehabilitation , wobei ergänzend auch das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz
(GSVG), das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert
wurden. Mit einem im Rahmen der Sitzung von den Koalitionsparteien eingebrachten Abänderungsantrag wird festgelegt,
dass Zeitungskolporteure und -zustellerInnen künftig jedenfalls nach dem GSVG – und nicht nach dem ASVG –
pflichtversichert sind.
Die Debatte über die Reform wurde über weite Strecken sehr emotional geführt, was die Vorsitzenden,
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Zweite Präsidentin Doris Bures, auch mehrfach zum Einschreiten
veranlasste. Neben Ermahnungen und dem Ersuchen, die Debatte sachlich zu führen, wurden auch einige Ordnungsrufe,
etwa an Josef Muchitsch (SPÖ) für den Vorwurf der Lüge, ausgesprochen. Sobotka entschied sich nach
wiederholten gleichartigen "tatsächlichen Berichtigungen" außerdem dazu, diese an das Ende
der Debatte zu verlegen, was ihm Kritik vom geschäftsführenden Klubobmann der SPÖ Jörg Leichtfried
einbrachte. Bures verzichtete später darauf, diese Praxis weiterzuführen. Die SPÖ opponierte mit
mehrfachen tatsächlichen Berichtigungen, insbesondere gegen die Darstellung, dass die 21 Sozialversicherungsträger
zu 5 zusammengeführt werden, und verwies auf die – in anderer Form – weiterbestehenden Betriebskrankenkassen
und die Versorgungsanstalt des Notariats (Details zur Sozialversicherungsreform siehe Parlamentskorrespondenz Nr.
1209/2018).
Opposition bezweifelt veranschlagte Einsparungen…
Im Zeitraum 2020 bis 2023 erwartet die Regierung mit der Reform kumulierte Einsparungen bei Verwaltungs- und Sachaufwand
im Ausmaß von 1 Mrd. €, stößt bei der Opposition damit aber auf große Zweifel. "In
der Luft zerfetzt" hätten Rechnungshof und parlamentarischer Budgetdienst die Berechnungen in der Regierungsvorlage,
hielt JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann ÖVP und FPÖ "Zahlentrickserei" vor. Daniela Holzinger-Vogtenhuber,
Sozial- und Gesundheitssprecherin der Liste JETZT, stellte aus Sorge um massive Einsparungen bei den Gesundheitsleistungen
in den Bundesländern infolge der Kassenreform einen Rückverweisungsantrag. Das Gesetz müsse im Sozialausschuss
nochmals eingehend diskutiert werden, zumal die Einsparungssumme von 1 Mrd. € im Gesetzestext nirgends aufscheine.
Außerdem forderte sie, die demokratische Legitimität der Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch
die Einführung einer Sozialwahl zu stärken. Die Versicherten müssten die Kontrolle über die
Verwendung ihrer Beiträge beibehalten.
…warnt vor "Drei-Klassen-Medizin"
SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner stellte die angekündigte "Patientenmilliarde" ebenfalls
in Abrede, wie auch die übrigen Versprechen der Regierung im Zusammenhang mit der Sozialversicherungsreform.
Statt gleicher Gesundheitsleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger gebe es künftig eine "Drei-Klassen-Medizin",
in dem die sieben Millionen ÖKG-Versicherten die "großen Verlierer" darstellten, so Rendi-Wagner.
Die Strukturen würden dabei nicht schlanker, vielmehr richte die Regierung eine zusätzliche "fette"
Verwaltungsebene in der Österreichischen Gesundheitskasse ein, mit ausgeweitetem Einfluss der Wirtschaft.
Für die Patientenversorgung bliebe da keineswegs mehr Geld übrig, betonte die Klubobfrau, die im Gegenteil
die Einführung von Selbstbehalten und Ambulanzgebühren herandrohen sieht. "Brandgefährlich
für das solidarische Gesundheitssystem" nannte sie das Handeln der Regierung, werde damit doch eine "gut
funktionierende, ausfinanzierte Gesundheitsversorgung aufs Spiel gesetzt". Rossmann nimmt wie SPÖ-Sozialsprecher
Josef Muchitsch außerdem an, "der Gesundheitsbereich soll für den privaten Markt geöffnet
werden", immerhin verschiebe sich im neuen Selbstverwaltungssystem der Sozialversicherungen der Einfluss zugunsten
der Arbeitgeberseite. Im Rahmen einer "rücksichtslosen Machtpolitik" installiere die Regierung neue
Posten für ihre eigenen FunktionärInnen, so Muchitsch. "Da geht es Ihnen nicht um die Versicherten."
Anhand einer Tafel am Rednerpult wies er auf vergleichsweise niedrige Verwaltungskosten im bisherigen Sozialversicherungssystem
hin, das nicht zuletzt aufgrund seines vielfältig besetzten Funktionärskreises die beste Versorgung
für die gesamte Bevölkerung sichergestellt habe. Dieses System werde nun zerstört, prophezeite Muchtisch
wie schon Rendi-Wagner eine Drei-Klassen-Medizin, mit weniger Leistungen für den Großteil der PatientInnen.
Die SPÖ werde alles tun, um die Reform, die eine Reform für Großkonzerne, privat Versicherte und
Reiche sei, beim Verfassungsgerichtshof zu Fall zu bringen. Die SPÖ-Abgeordneten Rainer Wimmer, Gabriele Heinisch-Hosek,
Alois Stöger und Verena Nussbaum bekräftigten die Reformkritik ihrer Partei. So ortet Stöger etwa
eine "Rückkehr in das 18. Jahrhundert". Die Regierung führe das Verhältnis von Herr und
Knecht wieder ein. Nicht mehr die ArbeitnehmerInnen würden künftig darüber entscheiden, welche Gesundheitsleistungen
sie für ihre Beiträge erhalten, sondern die UnternehmerInnen. Schon die erste schwarz-blaue Regierung
habe mit der Einführung von Selbstbehalten und Ambulanzgebühren viel Schaden angerichtet, sagte Stöger,
diese Politik werde nun fortgesetzt. "Warum fahren Sie das Gesundheitssystem gegen die Wand?" wollte
auch Nussbaum wissen und sprach von einer Enteignung der ArbeitnehmerInnen und dem "größten Diebstahl
der Zweiten Republik". Wimmer ist überzeugt, Bauern, Selbständige und BeamtInnen werden weiterhin
bessere Leistungen erhalten, während die Österreichische Gesundheitskasse zur "Kasse der Armen"
mutiere.
Stöger und Muchitsch wandten sich darüber hinaus gegen das ständige "Schlechtmachen" von
FunktionärInnen durch die Regierungsparteien. Es seien die FunktionärInnen, die dafür sorgen, dass
ein System funktioniert, machte Stöger geltend. Auch die Behauptung, die Sozialversicherungen würden
Reformen verweigern, wiesen er und seine FraktionskollegInnen zurück. Die Betriebskrankenkassen hätten
längst damit begonnen, ihre Leistungen zu harmonisieren und andere Reformschritte zu setzen, sagte Heinisch-Hosek,
die in der Regierungspolitik eine Gefährdung des sozialen Friedens und der Demokratie ausmacht.
…und prangert parteipolitisches Kalkül an
"Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger entpuppt sich als Schmäh", zeigte sich Beate
Meinl-Reisinger, Klubobfrau der NEOS, entrüstet. Tatsächlich seien nur die Gebietskrankenkassen betroffen,
die übrigen Krankenkassen blieben "unangetastet". Die sogenannte Patientenmilliarde gebe es ebenso
wenig wie verbesserte Leistungen oder mehr Kassenärzte, stattdessen würden lediglich die Funktionäre
und Funktionärinnen "umgefärbt". Das Gesetz sei wahrscheinlich verfassungswidrig, bestätigte
sie Muchitsch mit Blick auf die Neuausrichtung der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen. NEOS-Sozialsprecher
Gerald Loacker findet ebenfalls, bei der Reform gehe es vorrangig um politisches Kalkül, das im Austausch
roter FunktionärInnen mit türkisen und schwarzen EntscheidungsträgerInnen resultiere. Die Zusammenlegungen
der Sozialversicherungen führten nicht wie versprochen zu Leistungsharmonisierungen und Einsparungen, da die
Strukturen innerhalb der neuen Träger unverändert blieben bzw. sozialdemokratisch geprägte Versicherungen
wie jene der Eisenbahner an solche mit ÖVP-Mehrheit, konkret die Beamtenversicherung, gekoppelt würden.
Nötig ist aus Loackers Sicht vor allem ein Risikostrukturausgleich zwischen den Trägern, sodass die Gesundheitskosten
unter den Versicherungen gleichmäßig aufgeteilt werden. Mit einem Entschließungs- und einem Abänderungsantrag
versuchte er, die ihm zufolge erforderlichen Sozialrechtsänderungen anzustoßen. Unter anderem sollten
zwecks bedarfsgerechter Finanzierung der Gebietskrankenkassen die Arbeitsunfall-Versicherung umfassend reformiert
und die "Hebesätze" der Pensionsversicherung, über die aus Beiträgen der Erwerbstätigen
die PVA finanziert wird, gesenkt werden.
ÖVP und FPÖ: Reform bringt mehr Geld für Patientenversorgung…
"Die größte Reform der Sozialversicherungen" werde heute beschlossen, traten die RednerInnen
von ÖVP und FPÖ den Aussagen der Opposition entschieden entgegen. FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch
verurteilte besonders die Haltung der SPÖ, unter deren Führung des Sozialressorts trotz jahrzehntelanger
Diskussionen über eine Sozialversicherungsreform eine solche nicht zustande gekommen sei. "Verlierer
sind die roten Funktionäre, die gestern auf der Straße gestanden sind und Ambulatorien zugesperrt haben",
richtete sie den SozialdemokratInnen aus, keineswegs die erwähnten sieben Millionen ÖKG-Versicherten.
In deren Interesse reduziere man nun die SV-Funktionärszahl und modernisiere die Versicherungsstruktur, sodass
sie den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht werde. ÖVP-Klubobmann August Wöginger zog nach:
ArbeiterInnen und ArbeitnehmerInnen würden mit der Reform bundesweit für gleiche Beiträge die gleichen
Leistungen erhalten, anstatt ihre Beitragszahlungen in der Verwaltung verschwinden zu sehen. "Wir halten,
was wir versprochen haben."
Die Strukturen der Sozialversicherungsträger würden dank der Zusammenführung verschlankt, ohne die
Bediensteten deswegen zu entlassen oder Spitäler zu schließen. Die früheren Regierungen seien bei
derartigen Vorhaben immer an den SPÖ-Funktionärsstrukturen gescheitert, die jetzige handle hingegen im
Sinne der Patientinnen und Patienten. Wöginger ist im Übrigen überzeugt, dass die Kassenreform verfassungskonform
ist. Ausdrücklich wiesen Wöginger und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus außerdem darauf hin, dass
die Auflösung der Betriebskrankenkassen eine Muss-Bestimmung im Gesetz sei. Daher sei die Darstellung, dass
sich die Zahl der Sozialversicherungsträger von 21 auf 5 reduziere, richtig.
…verschlankt die Verwaltung
Die tatsächliche Zahl der Versicherungen sei für die Versicherten völlig uninteressant, meinte FPÖ-Mandatarin
Brigitte Povysil, Vorsitzende im Gesundheitsausschuss. Wichtig sei den PatientInnen, ausreichend Kassenärzte
vorzufinden sowie medizinische Leistungen einfacher und auf gleich hohem Niveau zu erhalten. Aus diesem Grund reformiere
die Regierung nun das veraltete, komplizierte und ungerechte Sozialversicherungssystem, wobei verschlankten Träger
und die reduzierte Funktionärszahl die nötigen Einsparungen zur besten Patientenversorgung sicherstellen
würden, umschrieb Povysil den Hauptnutzen der Reform mit dem Wort "Effizienz". Gestärkt werde
dabei der niedergelassene Bereich, die Länder erhielten aus einem Investitionsfonds Gesundheit jährlich
200 Mio. €. Eine unterschiedliche Behandlungen von PatientInnen abhängig von ihrer Versicherung sei mit dem
Reformgesetz ausgeschlossen. Michael Hammer (ÖVP) war völlig einer Meinung, das neue System führe
zu einer Leistungsharmonisierung, wovon die Versicherten profitieren würden. Hammer brachte überdies
einen Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen ein, wonach den Bundesländern die Leistungssicherungsrücklagen
der ÖGK jedenfalls weiterhin zustehen. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen.
Hinter die Reform stellten sich auch Rebecca Kirchbaumer (ÖVP), Werner Neubauer (FPÖ), Georg Strasser
(ÖVP), Angelika Kuss-Bergner (ÖVP) und Klaus Fürlinger (ÖVP). Mit dem vorliegenden Paket werde
umgesetzt, was seit Jahrzehnten gefordert wird, sagte Kirchbaumer. Durch die Zusammenlegung der Sozialversicherungen
könne die Zahl der 20.000 Beschäftigten in den nächsten zehn Jahren um rund 30% reduziert werden.
Anders als die Opposition behaupte, würden keine Krankenhäuser geschlossen, keine ÄrztInnen entlassen
und keine Leistungen gekürzt, sondern im System und in der Verwaltung gespart.
Das hoben auch Kirchbaumers Fraktionskollegen Strasser und Fürlinger hervor. Es komme zu schlankeren Strukturen
bei gleichzeitiger Beibehaltung der Bürgernähe, unterstrich Strasser. Auch bei der Leistungsharmonisierung
sieht er die Politik am richtigen Weg. Sie sei stolz, an der Reform mitwirken zu dürfen, ergänzte Kuss-Bergner:
Es wäre "der reinste Wahnsinn" würde man alles beim alten lassen und gleichzeitig hoffen, dass
sich etwas ändert. Fürlinger meinte in Richtung SPÖ, man könne "Verschwörungstheorien
und Mythen" nicht im Raum stehen lassen.
…und beendet teuren Stillstand
Seitens der FPÖ hob Werner Neubauer die Notwendigkeit hervor, mit "den Privilegien und der Parteibuchwirtschaft"
in den Sozialversicherungsanstalten aufzuräumen. Seit 30 Jahren gebe es entsprechende Versuche, nun würden
endlich die richtigen Reformschritte gesetzt. Eine "paradoxe Situation" machte Gerhard Kaniak aus. Die
vor mehr als hundert Jahren gegründeten Sozialversicherungen hätten "Großartiges geleistet",
doch habe in den letzten drei Jahrzehnten hier Stillstand geherrscht, was zu immer höheren Kosten ohne Leistungsverbesserung
geführt habe. Mit einem ÖVP-FPÖ-Abänderungsantrag nahm Kaniak auf den rotierenden Vorsitz im
Dachverband der Sozialversicherungen Bezug. Die jährlich zwischen den Obleuten der Sozialversicherungsträger
wechselnde Vorsitzführung habe demnach "aus der Mitte der Konferenz" – dem geschäftsführenden
Organ des Dachverbands - gewählt zu werden. Ein weiterer in der Debatte eingebrachter Abänderungsantrag
der Regierungsfraktionen soll im Fall des gleichzeitigen In-Kraft-Tretens des Pensionsanpassungsgesetzes 2019 und
des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes Rechtssicherheit schaffen. Beiden Abänderungen der Gesetzesvorlage
stimmte die Nationalratsmehrheit zu.
Hartinger-Klein: Größte Sozialversicherungsreform der Zweiten Republik
Der Nationalrat beschließe heute die "größte Reform der Zweiten Republik" im Bereich
der Sozialversicherungen (SV), dankte Bundesministerin Hartinger-Klein den Abgeordneten. Aus der neuen Trägerstruktur
und dem verschlankten Dachverband ergäben sich bessere Leistungen für die Versicherten. Nicht nur würden
Verwaltungskosten eingespart, das System werde mit weniger Entscheidungsträgern auch "agiler". Das
von der Opposition angezweifelte Einsparungsvolumen von 1 Mrd. € beruhe auf den erwarteten 30%-igen Einsparungen
bei Personal und Sachaufwendungen pro Jahr, wobei sich die Kosten der Trägerzusammenlegung jährlich amortisieren
würden. Das verstärkte Aufsichtsrecht des Bundes ist laut Hartinger-Klein zur Gewährleistung von
Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der SV-Gebarung notwendig. Ungeachtet der Sparmaßnahmen
bei der Verwaltung werde das Budget für Gesundheitsleistungen nicht kleiner, unterstrich die Ministerin: "Das
Beitragsvolumen wird nicht weniger, das garantiere ich."
Den mehrmals von SPÖ, NEOS und JETZT geäußerten Vorwurf, die im Gesetz festgehaltene Reduktion
der Sozialversicherungsträgerzahl von 21 auf 5 entspreche nicht der Realität, ließ Hartinger-Klein
nicht gelten. Übersehen werde die Möglichkeit der bestehenden Betriebskrankenkassen, in die ÖGK
hineinzuoptieren oder zu einer privaten Gesundheitseinrichtung zu werden. Die Notariatskasse wandle man in eine
eigenständige Berufsversorgungsanstalt um. Innerhalb der Träger komme es zu einer "gänzlichen
Harmonisierung der Leistungen", etwa durch eine bundeseinheitliche Satzung in der ÖGK. "Bei uns
stehen die Patienten und die Versicherten im Mittelpunkt, nicht die Funktionäre", schloss die Sozial-
und Gesundheitsministerin.
Telerehabilitation soll Therapien erleichtern
Die Gesetzesänderung zur Telerehabilitation lehnte die SPÖ als einzige Fraktion ab. Zu viele Fragen seien
dabei noch offen, die in der Novelle nicht ausreichend geklärt wurden, meinte Dietmar Keck (SPÖ). So
sei etwa nicht genau definiert, was unter dem Begriff "Telerehabilitation" verstanden wird und für
welchen Personenkreis die Therapiemethode gedacht sei. Auch warum diese Form der Rehabilitation nur in der Pensionsversicherung,
nicht aber in der Krankenversicherung vorgesehen ist, konnte er nicht nachvollziehen. Der Abgeordnete zeigte sich
zudem nicht nur über die Personalintensivität der Maßnahme besorgt, sondern äußerte
auch Bedenken in Bezug auf den Datenschutz. Da die Telerehabilitation in erster Linie zu Hause in den eigenen vier
Wänden durch Verwendung von Webcams stattfinde, müsste man auf den Schutz des Privatlebens besonders
achten. Grundsätzlich sei es aber ein unterstützenswertes Vorhaben, Maßnahmen zur Telerehabilitation
zu beschließen, sagte Keck.
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Mit einem im Laufe der Nationalratssitzung eingebrachten Entschließungsantrag wollten die Regierungsfraktionen
die Debatte über die von der Opposition beklagte Einführung einer Sonderklasse in Spitalsambulanzen beenden.
Darin wird die Gesundheitsministerin ersucht, im Rahmen eines geeigneten Monitorings sicherzustellen, dass keine
Unterschiede bei der Behandlung, insbesondere was den Umfang und die Qualität betrifft, sowie beim Zugang
zur medizinischen Leistung vor allem im Hinblick auf Terminvergabe und Wartezeiten zwischen den einzelnen Versichertengruppen
gemacht werden. Hartinger-Klein verwahrte sich gegen die "Horrorszenarien", die von der Opposition an
die Wand gemalt würden. Es würde ihr nicht einmal im Traum einfallen, dass es eine Ungleichbehandlung
von PatientInnen in Ambulanzen geben kann, unterstrich die Ressortchefin.
Auslöser des medialen Aufregers der letzten Tage war der Beschluss der Kranken- und Kuranstaltengesetz-Novelle
( KAKuG) im Gesundheitsausschuss vor einer Woche. Darin findet sich die Passage, dass Länder die Möglichkeit
zur Einhebung von Sonderklassegebühren für jene ambulanten Leistungen haben, die bisher stationär
erbracht wurden. Umstritten war vor allem der Zusatz, wonach der Einhebung solcher Sondergebühren "adäquate
Leistungen gegenüber zu stehen" haben. Auch mit der nun vorliegenden Entschließung, die noch dazu
unverbindlich ist, sei die Frage nicht geklärt, welche Leistungen darunter fallen, bemängelte NEOS-Mandatar
Gerald Loacker. Lautstarke Kritik kam auch von Seiten des SPÖ-Abgeordneten Philip Kucher, der die Einrichtung
von VIP-Bereichen und Business-Loungen in den Ambulanzen befürchtete. Als einen "Wunsch ans Christkind"
bezeichnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT) den Antrag der Regierungsfraktionen. Die vom Kanzler in Aussicht
gestellte gesetzliche Klarstellung gebe es nun doch nicht.
Die VertreterInnen der Regierungsfraktionen wiederum sprachen von einem "politischen Spiel" der Opposition,
das absolut nichts mit den Tatsachen zu tun habe. Sie wiesen darauf hin, dass etwa auch die Stadt Wien in ihrer
Stellungnahme zum Gesetzentwurf eine gesetzliche Regelung zur Einhebung von Sonderklassegebühren im ambulanten
Bereich einforderte. Anderenfalls würde es zu einem enormen Ausfall von Einnahmen kommen.
Die Anpassung des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten wurde schließlich – ebenso wie
der ÖVP-FPÖ-Entschließungsantrag – mehrheitlich angenommen. Die Initiative von Seiten der SPÖ
und von JETZT, die auf ein explizites Verbot der Einhebung von Sonderklassegebühren für jede Art von
ambulanten Leistungen im Gesetz abzielte, fand nicht die ausreichende Unterstützung. Auch der JETZT-Antrag
betreffend intransparente und benachteiligende Sonderklasse in Spitälern blieb in der Minderheit.
Flexiblere und einfachere Spitalsorganisation, Dokumentation von Krankenhauskeimen und ein Entschließungsantrag
Eigentliche Grundlage der Debatte war eine Regierungsvorlage zur Anpassung des Kranken- und Kuranstaltengesetzes,
die vor allem der Umsetzung des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG 2017) dient. Durch die
KAKuG-Novelle werden unter anderem weitere – und gleichzeitig vereinfachte – flexible Formen der Organisation in
Spitälern ermöglicht. Außerdem gibt es im Zusammenhang mit Infektionen mit Krankenhauskeimen die
Verpflichtung, laufend Aufzeichnungen in elektronischer Form zu führen und entsprechende Maßnahmen zu
setzen.
Die Kritik der Opposition entzündete sich aber an den Erläuterungen zum Paragraphen 27b Absatz 3, der
– so ist es dem Text zu entnehmen - aufgrund der verbindlichen Anwendung des spitalsambulanten Abrechnungsmodells
ab 1. Jänner 2019 angepasst werden musste. Durch den von den Regierungsfraktionen eingebrachten Entschließungsantrag
wird die zuständige Ministerin aufgefordert, mittels eines geeigneten Monitorings sicherzustellen, dass auch
im spitalsambulanten Bereich "keine Unterschiede bei der Behandlung (insbesondere Umfang und Qualität)
sowie beim Zugang zur medizinischen Leistung (insbesondere Terminvergabe und Wartezeiten) zwischen PatientInnen
der allgemeinen Gebührenklasse und PatientInnen mit Sondergebührenverrechnung gemacht werden". In
rechtlicher Hinsicht wird festgehalten, dass Paragraph 27 Abs. 4 KAKuG in der seit 1996 geltenden Form, der schon
bisher die Festsetzung von Sondergebühren für den spitalsambulanten Bereich ermöglichte, durch die
nunmehr vorliegende Novelle nicht geändert wird. Ein Verbot von Sondergebühren würde zudem dazu
führen, dass zusatzversicherte PatientInnen in den Bereich der privaten Krankenanstalten abwandern und so
dem öffentlichen Gesundheitswesen wesentliche Einnahmen entgehen.
Auch in Zukunft müsse für alle PatientInnen gewährleistet sein, heißt es weiter im Antrag,
dass es keine Unterschiede bei der Behandlung sowie beim Zugang zur Behandlung (Zeitpunkt der Behandlung) im spitalsambulanten
Bereich gibt. Die Landesgesetzgebung als Ausführungsgesetzgeber werde demnach erforderlichenfalls sicherzustellen
haben, dass die Benachteiligung von PatientInnen der allgemeinen Gebührenklasse bei der Behandlung und beim
Zugang zu medizinischen Leistungen auch im Ambulanzbereich von LKF-finanzierten Krankenanstalten zuverlässig
vermieden wird. Jedenfalls ausgeschlossen müssen nicht medizinisch indizierte Differenzierungen (z.B. "fast
lane" oder dergleichen) in Unfall-, Notfall- bzw. Akutambulanzen sein.
Regierungsfraktionen werfen Opposition massive Verunsicherung vor und verteidigen Maßnahme
FPÖ-Gesundheitssprecherin Brigitte Povysil ging zunächst auf die Eckpunkte der KAKuG-Novelle ein, die
in Umsetzung des ÖSG einfachere, flexiblere und interdisziplinäre Organisations- und Arbeitsformen in
den Krankenhäusern gewährleistet. Verbessert werde auch die Zusammenarbeit zwischen Spitälern und
niedergelassenem Bereich, wobei insbesondere auch auf die regionalen Bedürfnisse eingegangen wird.
Was nun den umstrittenen Passus angeht, so wies die ausgebildete Ärztin darauf hin, dass es nicht nur politisch
gewollt sei, sondern auch der medizinische Fortschritt dazu beigetragen habe, dass immer mehr stationäre Leistungen
auf ambulante Weise erbracht werden. Durch die Erläuterungen im Gesetz wollte man erreichen, dass die Privatversicherungen
auch weiterhin in die Pflicht genommen werden und zudem verhindern, dass Sonderklasse-PatientInnen bei tagesklinischen
Eingriffen (z.B. Chemo-Therapien, Graue Star-Operationen etc.) nur noch in Privatspitäler abwandern. Den öffentlichen
Krankenhäusern würden dadurch sehr hohe Einnahmen entgehen, gab Povysil zu bedenken, allein in Oberösterreich
würde ein Defizit von 3 Mio. € entstehen. Insgesamt gebe es 1,8 Millionen PatientInnen mit Zusatzversicherungen
in Österreich, die einen Beitrag von 880 Mio. € zum Gesundheitssystem und somit auch zur Finanzierung der
Krankenanstalten leisten. Der SPÖ gegenüber stellte sie fest, dass im sozialdemokratisch regierten Wien
allein 1,8 Mrd. € beim Bau des Krankenhauses Nord verschleudert wurden und die Menschen teils bis zu acht Stunden
in den Ambulanzen zu warten hätten. Auch wenn durch Paragraph 16 im KAKuG ohnehin schon garantiert sei, dass
es zu keiner Besserstellung von Privatversicherten kommen kann, habe man einen Entschließungsantrag ausgearbeitet,
der noch einmal klarstellt, dass es keine Ungleichbehandlung von PatientInnen geben dürfe.
ÖVP-Abgeordneter Norbert Sieber warf der Opposition vor, wider besseres Wissen Sachen in das Gesetz hinein
zu interpretieren, die gar nie beabsichtigt waren. Es sei nie um den Aufgabenbereich von Notfallambulanzen, sondern
nur um ausgewählte, selektive und geplante Behandlungen gegangen, die wie bisher von den Spitälern in
der allgemeinen und in der Sonderklasse durchgeführt und als stationäre Fälle abgerechnet werden.
Als Beispiel nannte er Bestrahlungs- und Chemotherapien. Schließlich erinnerte er noch daran, dass die Stadt
Wien in ihrer Stellungnahme zum Entwurf darauf gedrängt habe, in den angesprochenen Fällen auch in Zukunft
weiterhin Sondergebühren verrechnen zu können.
Es sei notwendig, das heimische Gesundheitssystem regelmäßig an die aktuellen Herausforderungen anzupassen,
damit es auch weiterhin eines der besten der Welt bleibt, urteilte Johann Höfinger (ÖVP), der die Eckpunkte
des Gesetzes wiederholte. Wichtig sei auch daran zu erinnern, dass die Länder bereits seit 1996 die Möglichkeit
haben, geeignete Serviceeinrichtungen für ihre PatientInnen zu etablieren. Die von der Opposition ständig
ins Treffen geführten Vorreihungen von einzelnen Versicherten werde es keinesfalls geben, bekräftigte
er. PatientInnen sollten dennoch das Recht haben, sich wohl zu fühlen und die beste medizinische Behandlung
zu bekommen, die sie verdienen.
Abgeordneter Gerhard Kaniak (FPÖ) schloss sich den Ausführungen von Povysil an, wonach die KAKuG-Novelle
primär dazu diene, den Österreichischen Strukturplan Gesundheit 2017 umzusetzen. Es komme zu einer Vereinfachung
der Regelungen, einer Flexibilisierung der Spitalsorganisation und zu einem Ausbau der interdisziplinären
Zusammenarbeit. Es werde auch die Basis dafür geschaffen, die Bettenanzahl zu reduzieren, ohne dass es zu
Verschlechterungen für die PatientInnen kommt. Für besonders wichtig erachtete Kaniak zudem die Verpflichtung
zur Dokumentation der immer häufiger auftretenden Fälle von Infektionen mit speziellen Krankenhauskeimen,
die mehrfach antibiotikaresistent sind, sowie die Bestimmungen in Bezug auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen
in der Psychiatrie.
Letzter Punkt sei eben die Einführung eines transparenten, verpflichtenden und einheitlichen Abrechnungsmodells
für alle ambulanten Leistungen. Dadurch werde es ermöglicht, dass die Leistungsverlagerung in den ambulanten
Bereich nachvollziehbarer und vergleichbarer wird. Kaniak appellierte an die Opposition, sich nicht an "fehlerhafte
Interpretationen" zu klammern, sondern dem Gesetz zuzustimmen. Die Regierungsvorlage sei nämlich Garant
dafür, dass es eben nicht zu einer Zwei-Klassen-Medizin kommt, hielt Dagmar Belakowitsch (FPÖ) den Kritikern
entgegen.
Opposition beklagt Institutionalisierung der Zwei-Klassen-Medizin
Bei der schon in den Medien breit kolportierten Geschichte mit der Sonderklasse im ambulanten Spitalsbereich gehe
es vor allem um das Geld, unterstrich NEOS-Vertreter Gerald Loacker, und zwar im konkreten um jenes der PrimarärztInnen,
der Länder sowie der Versicherungen. Auf die Frage im Gesundheitsausschuss, worin die Zusatzleistungen in
den Ambulanzen bestehen könnten, bekam er von Seiten der Ministerin und des FPÖ-Abgeordneten Kaniak die
Antwort, "das zeigt sich in einem anderen Wartebereich zum Beispiel". Dabei wurde der Vergleich zu den
Flughäfen gezogen. Letztendlich konnte die Frage aber nicht endgültig geklärt werden. Bedauerlicherweise
löse auch der "ganz nette Entschließungsantrag" das Problem nicht, da weder der Gesetzestext
noch die Erläuterungen geändert werden. Angesichts der in Österreich bestehenden "hypertrophen
Spitalsstruktur" müsste man ohnehin über eine grundlegende Reform nachdenken. Statt aber die Länder
dazu zu bewegen, endlich Reformen anzugehen, unterstütze die Regierung noch diese Haltung mit dem vorliegenden
Gesetz, kritisierte Loacker, und nehme dabei sogar eine Institutionalisierung der Zwei-Klassen-Medizin in Kauf.
Es sei Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass alle Menschen in Österreich die bestmögliche Gesundheitsversorgung
erhalten, betonte Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ). Zudem müsse man danach trachten, ein optimales Umfeld
für die im Gesundheitsbereich beschäftigten MitarbeiterInnen zu schaffen. Mit dem vorliegenden Gesetz,
das VIP-Bereiche und Sondergebühren in Ambulanzen ermögliche, gehe man aber genau in die entgegengesetzte
Richtung. Alles das, was es bereits auf Flughäfen gibt - Lounges mit Ledersofas, WLAN, Getränkeservice
und Snacks – soll nun auch in Österreichs Ambulanzen Realität werden. "Ist das euer Ernst?"
Dies bedeute nämlich, dass die Mutter mit dem kranken Kind warten soll, während der Generaldirektor durchmarschiert,
gab Kucher zu bedenken. Damit werde der erste Schritt in Richtung Privatisierung des Gesundheitssystems eingeleitet,
warnte Verena Nussbaum (SPÖ).
Auch ihre Fraktionskollegin Selma Yildirim zeigte sich entsetzt darüber, dass es nun wohl doch zu einer Business-Class
für Besserversicherte kommen wird. In einem steuerfinanzierten System müssen alle die gleichen Leistungen
erhalten, forderte sie. Außerdem trat sie für ein angemessenes und leistungsgerechtes Einkommen für
die Beschäftigten im Gesundheitssystem ein. Durch den von ihr eingebrachten Abänderungsantrag soll im
Gesetz eingefügt werden, dass die Einhebung von Sonderklassegebühren für jede Art von ambulanten
Leistungen jedenfalls ausgeschlossen ist.
Da die umstrittene Passage in den Erläuterungen noch immer im Gesetz steht, werde sie der Vorlage keinesfalls
zustimmen, erklärte Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT). Obwohl Bundeskanzler Kurz eine gesetzliche
Regelung in Aussicht gestellt habe, gebe es nur eine unverbindliche Entschließung, also "einen Wunsch
ans Christkind". Ebenso wie Loacker wollte sie die Frage beantwortet wissen, was man nun unter den "adäquaten
Leistungen" für SonderklassepatientInnen zu verstehen hat. Die bei der stationären Behandlung mögliche
"Hotelkomponente", also z.B. Einbettzimmer, spezielle Verpflegungswünsche oder freie Arztwahl, sei
im ambulanten Bereich in der Form nicht umsetzbar. Es kursierten bereits die verschiedensten Ideen, von der Fast
lane, Sonderöffnungszeiten am Nachmittag bis hin zur Rufbereitschaft für WahlärztInnen etc, die
aber allesamt kategorisch abzulehnen seien. Auch die Patientenanwaltschaft warne vor den Auswirkungen solcher Entwicklungen,
zumal die Wartezeiten in den Ambulanzen schon jetzt bis zu acht Stunden betrage.
In einem Entschließungsantrag plädierte Holzinger-Vogtenhuber noch dafür, das veraltete, intransparente
und nicht mehr leistungsgerechte, sowie auch für einige Ärztegruppen und das sonstige Gesundheitspersonal
benachteiligende, System der derzeitigen Sonderklassen zu reformieren, und es - an modernen Gesichtspunkten eines
allgemeinen hochwertigen Gesundheitssystems für alle Menschen orientiert - neu aufzusetzen.
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